Champions League: Borussia Dortmunds letzte Nacht für Nostalgiker

Für Borussia Dortmund schließt sich mit der Finalniederlage gegen Real Madrid ein Kreis der Vergeblichkeit

  • Daniel Theweleit, London
  • Lesedauer: 5 Min.

Tapfer und krisenerprobt wie die Angehörigen von Borussia Dortmund nun mal sind, hatten sie schnell ein paar positive Formulierungen parat, als eigentlich nicht viel mehr als bitterer Schmerz in der Frühlingsnacht von Wembley zu spüren war. In kaum einem Rückblick auf das große Endspiel der Champions League gegen Real Madrid fehlte der Begriff »Stolz«, den die Spieler und das Umfeld der Mannschaft empfunden haben wollen, nachdem sie gerade mit 0:2 verloren hatten. Nicht nur Sportdirektor Sebastian Kehl hatte das Gefühl, »supernah dran« gewesen zu sein an einem historischen Coup. Nur noch ein letzter kleiner Schritt fehlte zur Unsterblichkeit, wie in der mit Superlativen angefüllten Fußballwelt gerne behauptet wird, wenn es um die ganz, ganz großen Titel geht.

Marcel Sabitzer hatte schon auf dem Spielfeld bitterlich geweint, andere starrten mit blassen Gesichtern vor sich hin. »Es tut weh«, fasste Kapitän Emre Can die Lage zusammen. Die Trauer war nur zu verständlich, denn wenn kein großes Wunder geschieht, kommt so eine Chance nicht so schnell wieder. Zugleich war aber auch noch ein anderes Gefühl präsent, ein Staunen über eine geheimnisvolle Kraft, die die englische »Sun« am Sonntag als »die schwarze Magie der Männer in Weiß« beschrieb und dem der BVB zum Opfer gefallen war. Ein Zauber Real Madrids, der tatsächlich an die Erbarmungslosigkeit von Harry Potters Gegenspieler Voldemort erinnerte.

Dass hinter der Grausamkeit der Spanier keine Absicht steckt, war wenig tröstlich. Niederlagen gegen Real Madrid enthalten in dieser Saison automatisch den Stoff, aus dem Alpträume entstehen. Wie so viele andere Teams zuvor hatten auch die Dortmunder das Gefühl, nur einen kleinen Schritt entfernt zu sein vom großen Coup, in diesem Fall sogar von der Erfüllung eines der süßesten Fußballerträume überhaupt. Real wirkte satt, träge, müde, taumelnd, reif für den Sturz vom Gipfel, um am Ende doch zu triumphieren.

Im Rückblick erschien die verblüffend klare Überlegenheit der Dortmunder wie eine großer Bluff. Niclas Füllkrug traf den Pfosten (24.), nachdem Karim Adeyemi kurz zuvor eine noch bessere Möglichkeit im Eins-gegen-Eins-Duell gegen Madrids Torhüter Thibaut Courtois vergeben hatte (21.). »Wenn wir das 1:0 machen, haben wir sehr große Chancen, das Ding zu ziehen«, meinte Nico Schlotterbeck, wobei Real in der zweite Halbzeit gute Antworten auf die anfänglichen Schwächen fand und daher keinesfalls mit Glück gewann.

Splitter zum Finale

Fans von Borussia Dortmund haben beim Champions-League-Endspiel am Samstagabend mit Transparenten gegen den umstrittenen Deal ihres Klubs mit dem Rüstungskonzern Rheinmetall protestiert. »Rheinmetall: Mit dem Fußball zum Saubermann-Image?«, stand etwa auf einem Banner. Die Ankündigung des drei Jahre laufenden Sponsorings hatte schon vor dem Finale für Debatten gesorgt.

Die Fußball-Bundesliga wird kommende Saison nicht mit der historischen Höchstzahl von sechs Teams in der Königsklasse antreten. Aufgrund der Niederlage Dortmunds bleibt der Ligasechste Eintracht Frankfurt doch Teilnehmer der Europa League. Bei einem Sieg des BVB wären die Hessen aufgerückt, weil der Sieger eine Wildcard erhält.

Francisco Gento ist nicht mehr alleiniger Rekordhalter. 1966 hatte er mit Real Madrid zum sechsten Mal den Pokal der Landesmeister gewonnen, der längst Champions League heißt. Am Samstag zogen gleich vier Spieler mit dem 2022 verstorbenen Spanier gleich – und alle vier tragen ebenfalls das Real-Trikot: Toni Kroos, Luka Modric, Dani Carvajal und José »Nacho« Iglesias. Agenturen/nd

Die Spanier nutzten mal wieder diesen einen kleinen Fehler des Gegners, als Toni Kroos einen perfekt ausgeführten Eckball auf Daniel Carvajal schlug, der seinem Gegenspieler Ian Maatsen entkommen war und das 1:0 köpfte (74.). Der arme vom FC Chelsea ausgeliehene Maatsen, den der BVB gerne fest verpflichten möchte, produzierte dann noch einen schweren Fehlpass, der Reals zweites Tor durch Vinicius Junior erst ermöglichte (83.).

Reals Trainer Carlo Ancelotti hatte mal wieder in der Halbzeitpause die passende Feinjustierung vorgenommen, ließ seine Mannschaft tiefer stehen, während die Borussia keine hilfreichen Impulse mehr bekam. Auswechslungen machen diese Mannschaft schon länger eher schwächer als besser, selbst wenn wie am Samstagabend kein wichtiger Spieler im Kader fehlte. Dessen Qualität ist in der Breite verbesserungswürdig. Die eingewechselten Marco Reus, Jamie Bynoe-Gittens, Sébastien Haller und Donyell Malen brachten nicht eine einzige gefährliche Aktion zustande. »Es war ein schwieriges Spiel für uns vor allem in der ersten Halbzeit«, sagte Ancelotti, aber: »Es geht im Finale darum, zu gewinnen, nicht darum zu spielen.«

Einen ganz ähnlichen Satz hatte vor der Partie auch schon sein Dortmunder Gegenüber Edin Terzic formuliert, mit dem Unterschied, dass Real sich seit mehr als 40 Europapokaljahren an diesen Grundsatz hält, während sich in Dortmund ein Kreis der Vergeblichkeit schließt. 2013, als man letztmals im Endspiel dieses Wettbewerbs stand, hatte Klubchef Hans-Joachim Watzke den BVB zum »zweiten Leuchtturm« im deutschen Fußball neben dem FC Bayern erklärt. Stattdessen folgte eine Phase der Münchner Dominanz, in der Marco Reus zum Gesicht unerfüllter Dortmunder Träume wurde.

Reus absolvierte in London die letzte Partie für seinen Herzensklub, auch Mats Hummels wird den Verein möglicherweise verlassen. Nachdem er Trainer Edin Terzic in der Woche vor dem Endspiel mit harten Worten kritisiert hatte, ist eine weitere Zusammenarbeit kaum noch vorstellbar. Die sportliche Verantwortung hat Watzke nun an Lars Ricken übergeben, er wird die Causa Hummels wohl entscheiden müssen.

Die Königsklasse wird in der kommenden Saison in neuem Format gespielt, 2025 nimmt Dortmund außerdem an der auf mehr als vier Wochen aufgeblähten Klub-WM teil. Und der neue Sponsor, Waffenproduzent Rheinmetall, wird immer dabei sein, was das Image des Klubs spürbar verändert. Insofern war diese Nacht von London noch einmal etwas für Nostalgiker, die Abschied nehmen wollten. Von diesem faszinierend ursprünglichen BVB, der in den Jahren unter Trainer Jürgen Klopp entstand, von dem nach dem Sommer aber nicht mehr viel übrig sein wird.

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