- Politik
- Wissenschaft
Stark-Watzinger: Wider die Wissenschaftsfreiheit
FDP-geführtes Bundesbildungsministerium wollte Akademikern Fördermittel streichen
Nach der Meinungs- und Versammlungsfreiheit gerät wegen des Gaza-Krieges auch die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland unter die Räder. Das belegt ein Bericht des ARD-Magazins »Panorama«, wonach das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Maßnahmen gegen Hunderte Akademiker prüfen ließ. Anlass war ein offener Brief, der die polizeiliche Räumung einer propalästinensischen Besetzung der Berliner Freien Universität kritisierte und für einen Dialog mit den Studierenden warb. »Der Schutz der Hochschulen als Räume der kritischen Öffentlichkeit sollte oberste Priorität haben«, hieß es in dem Statement, das fast 400 Berliner Hochschullehrende erstunterzeichnet hatten. Über 1000 Unterschriften kamen später hinzu.
Das BMBF wird geleitet von Bettina Stark-Watzinger (FDP), die sich kurz nach Veröffentlichung des offenen Briefes als »fassungslos« bezeichnete. Der »Bild«-Zeitung sagte sie, die Unterzeichnenden verharmlosten Gewalt und insuinierte, diese stünden nicht »auf dem Boden des Grundgesetzes«.
Laut »Panorama« hat das BMBF anschließend eine interne Prüfung veranlasst, ob den namentlich bekannten Unterzeichnenden Fördermittel gestrichen werden können. Außerdem sollte juristisch geprüft werden, ob sich in dem Brief strafrechtlich Relevantes findet, darunter etwa Aussagen mit Volksverhetzung oder welche, die nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt seien.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Schließlich habe die Prüfung ergeben, dass sich der offene Brief »noch im grundrechtlich geschützten Bereich der Meinungsfreiheit« bewege, erklärte das Ministerium auf Anfrage von »Panorama«.
»Das klingt mir zu verharmlosend«, sagt der Berliner Professor für öffentliches Recht, Clemens Arzt, dem »nd« nach einer Anfrage. »Immerhin hat die Hausleitung hier offenkundig erhebliche Eingriffe in die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit prüfen lassen und ist erst nach Bekanntwerden des Vorgangs zurückgerudert.« Das geht womöglich auf Mitarbeitende der Fachebene des Ministeriums zurück, die sich laut dem von »Panorama« veröffentlichten Mailwechsel von Anfang gegen die Hausleitung gestellt haben.
Das »nd« hat einige Erstunterzeichnende sowie Unterstützende des offenen Briefes um eine Einordnung gebeten. Viele wollen anonym bleiben. »Meines Erachtens ist dies ein weiterer Ausdruck der autoritären Wende, die wir gerade erleben«, erklärt eine Lehrende, und fährt fort: »Dazu braucht es keine AfD.« »Kolleg*innen fürchten um ihre berufliche Zukunft. Stark-Watzinger hat ein Zeichen der Einschüchterung gesetzt«, heißt es in einer anderen Antwort. »Für mich bedeutet das auch, in meiner Karriereplanung nicht auf den Wissenschaftsstandort Deutschland zu bauen, obwohl ich hier bislang durchaus erfolgreich war und bin«, erklärt eine weitere Person.
Offene Debatten könnten an Berliner Hochschulen kaum noch stattfinden, beklagen mehrere der Angefragten. Das liege an der »schieren Angst, etwas zu sagen oder zu tun, das gegen Regeln verstoßen könnte, die erst noch am Entstehen sind«, lautet eines der Statements. »Es ist wie in einer Karikatur der Lehre von Carl Schmitt; alles wird danach beurteilt, ob es in letzter Instanz der einen oder anderen Seite nützt. Was mich auch besorgt, ist, dass Deutschland hier seine eigene, nur halb bewältigte Gewaltgeschichte auf andere projiziert«, sagt ein anderer Unterzeichner.
Wieder andere fordern offen den Rücktritt der Bildungsministerin. »Da sieht man, wie dieser sehr deutsche McCarthyismus im Namen der Staatsräson grundlegende Prinzipien der Wissenschaftsfreiheit und der Demokratie über Bord wirft – in einem vermeintlich liberalen Ministerium und in einer Zeit des massiven Rechtsrucks«, sagt Robin Celikates, einer der Erstunterzeichner des offenen Briefes auf Anfrage des »nd«. Stark-Watzinger sei deshalb nicht mehr tragbar, so der Professor für Philosophie an der Freien Universität Berlin.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.