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Andy Warhol: Sinn für Drag und Fummel
Die Neue Nationalgalerie Berlin zeigt über 300 Nebenwerke von Andy Warhol
Auch die Neue Nationalgalerie zu Berlin verfügt jetzt über ein gewichtiges, in die Gegenwart ragendes Kunstwerk, aber sie will es partout nicht haben. Die Künstlerin Dafne B stellte vor einigen Wochen ihre »Panzersperre« als Friedenszeichen vors Haus. Die Direktion protestierte heftig. Inzwischen steht das tonnenschwere Teil ein wenig abgerückt auf einer Grünfläche, aber wer sich der Nationalgalerie von hinten nähert, was eh zu empfehlen ist, kann es noch sehen. Im Pavillon gibt es gerade eine Ausstellung über Andy Warhol, Schönheit und Schwulsein.
Was soll eine Nationalgalerie, die ihrem Namen Ehre erweisen will, in Zeiten tun, da Kriegstüchtigkeit gefordert ist? Sicher nicht Panzersperren aufstellen. Noch zu früh scheint es zu sein, gleich Arno Breker und ähnliche Verherrlicher des kriegstüchtigen Körpers aus dem Depot zu holen. Also nähern wir uns dem männlichen Ideal des Kriegers über Muskeln und »Schönheit« – freilich unter Mühen. Denn das ganze Unterfangen ist, wie Direktor Klaus Biesenbach klagte, wieder einmal unterfinanziert. Ohne die Hilfe der schwerreichen »Freunde der Nationalgalerie« liefe gar nichts mehr (ein paar Freundinnen werden wohl auch dabei sein).
Athleten aus Warhols Privatschatulle also, kuratiert vom Chef persönlich und seiner Adlata Lisa Botti, assistiert von 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – sehen wir zu, ob damit Staat oder wenigstens Nation zu machen ist. Ausgestellt werden gut 300 Arbeiten, meistens kleinere, grafische oder fotografische Nebenwerke. Und doch wird manch interessanter Hintergrund geboten. Wer hätte gedacht, dass der ganz frühe Warhol unter dem Einfluss von Jean Cocteau stand? Warhols »Gold Book« zeigt diesen Einfluss vor allem in der Aktzeichnung.
Cocteau war in Europa verpönt, nicht nur wegen seiner intimen Verbindung mit Breker und den Nazis, sondern auch, weil er schwul war. Es gibt Randbemerkungen bei den Schriftstellern Francis Ponge oder André Breton – was das betrifft, deprimierend eindeutig. In den USA dagegen übte Cocteau mit seinen Filmen, insbesondere mit »Das Blut eines Dichters« (1930), einen erheblichen Einfluss auf die Avantgarde aus, etwa auf den jungen Stan Brakhage und auf Maya Deren. Das wäre der surreale Cocteau, aber es gibt auch den schwulen, etwa den des »Weißbuchs« (1928). Darin finden sich erotische Zeichnungen, die Warhol erkennbar nachahmt.
Dieser Cocteau-Strang zieht sich bei näherem Hinsehen durchs komplette erotische Werk. Keine Neben-, sondern wirkliche, bislang wenig bekannte Hauptwerke sind die »Sex Parts« von Mitte der 70er Jahre. Auf einem Bild der Serie sehen wir das Hinterteil eines Mannes, den erigierten Penis eines andern, ein Analverkehr wird angebahnt. Das Ganze ist überaus geschickt und auch gefällig – eben wie von Cocteau – arrangiert.
Ansonsten dominieren die Bilder gut gebauter, glatt rasierter, athletischer Männerkörper; die Bilder entstanden in unterschiedlichen Techniken, doch stets gingen ihnen Fotografien voraus. Etwa basieren die Torso-Gemälde auf über 1600 Polaroids von fast ausschließlich männlichen Akten.
Die Gemälde tourten 1977 bis 1979 um die Welt. Doch was Schöngeister an Michelangelo erinnert, könnte ganz schlicht dem in den 50ern einflussreichsten Schwulenmagazin der USA entnommen sein: »Physique Pictorial«. Dessen Bilder von halb nackt posierenden Hunks kursierten in der amerikanischen Schwulenszene und prägten eine ganze Generation, erkennbar auch Warhol, der sich allerdings einen Sinn für Drag und Fummel bewahrte und sich sogar selbst im Fummel zeigte. Die Dragqueen Wilhelmina Ross hat gleich im Eingang der Ausstellung einen flamboyanten Auftritt.
Spätestens hier stellt sich die Frage, ob Warhols Körper wirklich so kriegerisch sind. Dass sie erotisch wirken (sollen), widerspricht dem allein aber noch nicht. Brekers Krieger und ihr Pimmelpomp wirkten ebenfalls auf viele erotisch, allerdings hätten sie sich nicht ohne Weiteres mit Dragqueens vertragen. Immerhin, in der Fitness der von Warhol bevorzugten Darsteller liegt eine Nähe zu dem, was man in den Queer Studies »Zwangsabilität« nennt, also zur Fiktion vom gesunden, fähigen Körper. Doch so, wie es möglich ist, einem männlichen Mannequin Soldatisches beizulegen, so ist es umgekehrt möglich, einen Soldaten zum Mannequin zu machen, das wäre sogar nachgerade ein ziviler Akt.
Nebenbei sei erwähnt, dass Biesenbach sich dazu bekennt, Zivildienst geleistet zu haben; dazu scheint inzwischen Mut zu gehören. Die Fragwürdigkeit seiner Ausstellung liegt nicht in dem »samtigen Zorn«, der »Velvet Rage«, die sie dokumentieren will, also dem offen gelebten Schwulsein Warhols, sondern in der behaupteten »Schönheit«.
Schönheit, schreibt Biesenbach, sei etwas, das Warhol gesucht habe, weil er selbst ein hässliches Entlein war. Einverstanden. Schönheit, schreibt Biesenbach weiter, sei auch »zeitlos«. Man hat es geahnt, ja befürchtet, aber auf dem hastig beschrittenen Weg des Landes zurück in die Vormoderne samt Militär und Obrigkeit sind wir nun wieder beim »Idealschönen« von Johann Joachim Winckelmann angelangt, beim alten Versuch des Bürgertums, sich von den Übeln der Zeit und des eigenen, blutigen Tuns in gut gepolsterter Metaphysik zu entspannen. Gerade diese längst überwunden geglaubte Ideologie belegt, wie perfekt die Ausstellung in unsere Zeit passt.
Andy Warhol kann nichts dafür. Übrigens stimmt es nicht, was die Kuratoren behaupten: Man hätte vor ihrer Schau gar nicht ahnen können, dass der Künstler auch ein Mensch mit Privatleben war. Das konnte man auf recht vergnügliche Weise schon 1992 an einer Präsentation seiner Fotografien (»Social Disease«) erkennen. Meine liebste darin ist ein Dackel mit Piloleus und Soutane: »Andy Warhols Hund Archie, als Papst verkleidet«.
»Andy Warhol. Velvet Rage and Beauty«. Neue Nationalgalerie, Berlin, Kulturforum, bis 6. Oktober.
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