Versammlungsgesetz: »Aus dem Besteckkasten autoritärer Staaten«

Sachsens Landtag verabschiedet neues Regelwerk. Bündnis ruft zu Protest auf

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor gut einem Jahr sollte in Leipzig am sogenannten Tag X eine Demonstration für Versammlungsfreiheit stattfinden. Anlass war ein Verbot von Aufzügen nach dem Dresdner Urteil gegen Lina E. und drei weitere Antifaschisten. Die zuletzt angemeldete Demonstration hätte sich nach Einschätzung des Ordnungsamtes der Stadt in Bewegung setzen dürfen, erinnert sich die Linke-Abgeordnete Kerstin Köditz. Die Polizei jedoch widersprach der Behörde und kesselte über 1000 Demonstranten stundenlang ein.

So etwas könne in Sachsen wieder passieren, sagte Köditz jetzt in der abschließenden Debatte des Landtags über ein neues Versammlungsgesetz. Dieses sehe für Demonstrationen künftig eine parallele Zuständigkeit von kommunalen Versammlungsbehörden und Polizei vor. Köditz, die dem Thema eine ihrer letzten Reden im Parlament widmete, weil sie nach 23 Jahren nicht erneut kandidiert, warnte vor »widersprüchlichen Auflagen« und davor, dass im Fall von Konflikten »die Polizei die Regie übernimmt«. Die Folgen illustriere der Tag X: »Das neue Gesetz begünstigt so etwas.«

Dabei bezweifelte auch Köditz nicht, dass eine Modernisierung des Versammlungsrechts notwendig war. Der grüne Innenexperte Valentin Lippmann merkte an, dass im Anfang der 90er Jahre aus der alten Bundesrepublik übernommenen bisherigen Regelwerk selbst das 1985 ergangene Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch nicht berücksichtigt gewesen sei, wonach eine fehlende Anmeldung nicht die Auflösung einer Demonstration rechtfertigt: »Das ist ein Fossil«, sagte er.

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Dass es ersetzt wird, war indes nicht selbstverständlich. Zwar hatte sich die Koalition aus CDU, Grünen und SPD in ihrem 2019 geschlossenen Vertrag verpflichtet, das Gesetz zu überarbeiten, »um dem verbürgten Recht auf politische Teilhabe größtmögliche Wirksamkeit zu verleihen«. Das Gesetz solle »bis 2021 praxisgerechter und verständlicher« gestaltet werden. Doch viele Vorhaben aus dem Vertrag scheiterten: ein Agrarstrukturgesetz, ein Vergabegesetz oder eine Verfassungsreform, die unter anderem Hürden für direkte Demokratie hätte senken sollen. Insofern wundert es nicht, dass sich die Beteiligten für das Versammlungsgesetz lobten, auch wenn es mit drei Jahren Verspätung erst in der allerletzten Plenarwoche vor der Landtagswahl am 1. September beschlossen wurde. Das Regelwerk sei »im bundesweiten Vergleich sehr fortschrittlich und das beste, was Sachsen je hatte«, sagte etwa SPD-Innenpolitiker Albrecht Pallas.

Unbestritten ist, dass es auch aus Sicht von Linken und Antifaschisten Verbesserungen gibt. Die Störung von Demonstrationen durch friedliche Blockaden etwa sei nicht mehr strafbar, betonte Lippmann. Die bisherige Regelung hatte zur Kriminalisierung derartiger Protestformen gegen die regelmäßigen Nazi-Aufmärsche rund um den 13. Februar in Dresden geführt. Abgeschafft wurde auch das von CDU und FDP im Jahr 2009 beschlossene Verbot von Versammlungen an bestimmten Tagen und Orten. Linke, SPD und Grüne hätten dagegen eine Verfassungsklage angestrengt, erinnerte Lippmann. Aber erst 15 Jahre später sei »der Irrweg beseitigt« worden.

Allerdings sorgen neue Regelungen für Kontroversen. So sollen bei Versammlungen mit Eskalationspotenzial persönliche Daten der Ordner erhoben und gespeichert werden. Das sei bundesweit einmalig, wirke abschreckend und passe eher »in den Besteckkasten eines autoritären Staates, der wir nicht sind«, sagte Köditz. Lippmann verwies indes auf die schon bisher von Ordnungsbehörden geübte entsprechende Praxis und erinnerte daran, dass Antifaschisten sich »diebisch gefreut« hätten, wenn Nazis am 13. Februar nicht demonstrieren durften, weil sie keine Ordner ohne Vorstrafen finden. Er betonte aber, eine »Ordnungskräfte-Datei bei den Behörden« werde es nicht geben.

Dennoch bleiben Punkte wie dieser in der Kritik. Ein außerparlamentarisches Bündnis kritisierte die »massive Erweiterung des Spielraums für Polizei und Behörden« und warnte: »Tür und Tor für willkürliche Repression« seien geöffnet. Für den 22. Juni wird zu einer Demonstration nach Dresden mobilisiert.

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