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  • Johannes Bauer vor Gericht

Richter in Berlin bestätigt Polizeigewalt

Vier Jahre nach der Tat gewinnt ein Polizeiopfer einen Prozess in Berlin

  • Simon Zamora Martin
  • Lesedauer: 4 Min.

Am 1. Mai 2020 hatte sich Johannes Bauer coronakonform mit einer Freundin im Park zum Picknick verabredet, erklärt er am Donnerstag vor Gericht. Auf dem Weg zurück nach Hause sei er durch Berlin-Kreuzberg geschlendert und dabei auf eine Handvoll Demonstrierende gestoßen. Dieses Treiben habe er sich vom Gehweg aus angesehen. Plötzlich habe die Polizei einen Fahrradfahrer geschubst, vor den sich Bauer daraufhin schützend gestellt haben will.

»Noch bevor ich Kontakt mit der Polizei hatte, folge der erste Schlag ins Gesicht«, sagt Bauer aus. Dabei sei er friedfertig gewesen, was von Umstehenden aufgenommene Videos belegen. Darauf ist zu sehen, wie er mit erhobenen Händen rückwärtsgeht. Trotzdem packt ihn derselbe Polizist und bringt ihn mit zwei gezielten Schlägen ins Gesicht zu Fall. Mehrere Polizisten treten und schlagen anschließend auf den am Boden Liegenden ein und prügeln ihn im wahrsten Sinne des Wortes blau.

Am Mittwoch stand Bauer vor dem Strafgericht – jedoch nicht als Zeuge, sondern als Angeklagter. Ihm wurden Widerstand, Körperverletzung und ein tätlicher Angriff auf Polizeibeamte vorgeworfen. Zusammen mit zwei zivilrechtlichen Klagen auf Schadenersatz soll er insgesamt 20 000 Euro zahlen. »Ich habe ein Jahreseinkommen von 10- bis 12 000 Euro, und jetzt soll ich zahlen, weil ich verprügelt wurde?«, fragt sich der freiberufliche Tänzer und Student im Gespräch mit dem »nd«.

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Mit einer Anklage gegen Opfer von Polizeigewalt schützen sich Beamt*innen gegen eine Strafverfolgung, so ist es aus vielen anderen Fällen bekannt. Vor Prozessbeginn hatte Bauer deshalb wenig Hoffnung, dass er trotz guter Beweislage freigesprochen wird. »Es gibt viele wissenschaftliche Untersuchungen, die zeigen, dass das Wort von Polizisten vor Gericht mehr zählt als das von Betroffenen von Polizeigewalt.«

Dabei schien es zunächst andersherum zu laufen: Nachdem Johannes Bauer am frühen Morgen aus dem Polizeigewahrsam entlassen worden war, postete er auf Facebook ein Foto seines blau geschlagenen Gesichtes, das tausendfach geteilt wurde. Laut Akten, die dem »nd« vorliegen, führte dies bei der Polizei zu Ermittlungen wegen Körperverletzung im Amt. Allerdings sagten sechs Wochen nach der Tat neun Beamte gegen Bauer aus und erweiterten die Vorwürfe, die zunächst von dem polizeilichen Schläger gegen ihn erhoben wurden.

Als Hauptzeuge trat der hager wirkende Polizist Phillip W. auf – dabei ging es um die Bauer vorgeworfene Körperverletzung und einen tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte: Er habe sich im Einsatz am 1. Mai 2020 den Mittelhandknochen gebrochen, auch nach drei Operationen sei sein kleiner Finger immer noch steif, sagte der Polizist. Die Schläge gegen den am Boden liegenden Bauer gab er zu, behauptete aber, dieser habe sich einer Festnahme widersetzt.

In seiner schriftlichen Aussage hatte W. noch erklärt, der Angeklagte habe in dieser Situation seine Hand gepackt, verdreht und dadurch gebrochen. Vor Gericht revidierte er diese Version und sagte aus, er habe sich den Knochen möglicherweise durch einen Schlag gebrochen. Auch die behandelnden Ärzte hätten vermutet, dass ein Schlag ursächlich für den Bruch sei.

Der zweite Zeuge, ein Kollege von W., konnte sich an nichts erinnern, da er sein Vernehmungsprotokoll vor der Verhandlung nicht noch mal habe lesen können. Der Vorsitzende Richter spielte ihm deshalb eines der Videos noch einmal vor. »Sie boxen ihm direkt ins Gesicht«, sagte er und stellte fest, vom Angeklagten seien keine Schläge zu sehen. »Das könnte Körperverletzung im Amt sein«, so der Richter in der Vernehmung.

Am Ende erhält Bauer einen Freispruch, darauf hatte selbst die Staatsanwaltschaft plädiert. Die Polizeimaßnahmen seien nicht begründet gewesen, stellt der Richter fest und erklärt: »Das ist Polizeigewalt.«

Der Angeklagte ist zufrieden mit dem Urteil. »Aber ich bin mir bewusst, dass ich Glück hatte«, erklärt er dem »nd« nach dem Prozess, und fährt fort: »Ich bin weiß, es gab gute Beweisvideos, und meine Familie hatte Geld und Kontakte zu guten Anwälten.«

Die Justiz habe die Polizeigewalt »ausgebügelt«, erklärt Bauers Strafverteidiger Michael Plöse nach der Urteilsverkündung gegenüber »nd«. Auch sein zweiter Verteidiger Michael Lippa ist erfreut, dass dieses Phänomen klar vom Richter benannt wurde, und hegt die Vermutung: »Bei den jüngeren Kollegen im Justizapparat macht sich offenbar langsam auch ein Wandel bemerkbar.«

Ob die Strafverfolgung gegen die verantwortlichen Polizisten wieder aufgenommen wird, ist ungewiss. Johannes Bauer will nun auf Schadenersatz gegen die Täter in Uniform klagen.

Johannes Bauer am damaligen Tatort in Kreuzberg.
Johannes Bauer am damaligen Tatort in Kreuzberg.
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