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Himmlische Gesänge: Die Spanier fegen Kroatien vom Platz

In Todesgruppe B gelingt Spanien eine furiose erste Halbzeit, die in einem 3:0 gegen Kroatien mündet. Der Rekord-Europameister ist ein Titelkandidat

Qualm-Freunde: Kroatien-Fans erzeugen im Olympiastadion Schwefelduft.
Qualm-Freunde: Kroatien-Fans erzeugen im Olympiastadion Schwefelduft.

Ist Fußball Poesie? Eindeutig ja, wenn man die Sache in Spanisch abhandeln kann: »¿Qué pasará? ¿Qué misterio habrá? Puede ser mi gran noche« schallte es am Samstagabend in den Himmel über dem Berliner Olympiastadion. »Mi gran noche« (Meine große Nacht), lief über die Lautsprecheranlage, ein Chanson, interpretiert von einem gewissen Raphael im Jahr 1968. Schon bei der WM 2022 war »Mi gran noche« die Torhymne der Spanier. Das Lied wird bei der EM nach Siegen der »Furia Roja« abgespielt. »Qué pasará?« Was das wohl bedeutet?

Völlig losgelöst: Am Samstagabend stimmten Tausende Spanierinnen und Spanier inbrünstig mit ein, als das Lied erklang. 3:0 gegen den WM-Dritten Kroatien mit Ex-Weltfußballer Luka Modrić, eine wahrlich große Nacht! Das erste schwere Stück Arbeit in der Todesgruppe B hatten Kapitän Alvaro Morata und Kollegen hinter sich gebracht, nun standen sie lachend vor der Fankurve an der Westseite des Stadions. Das Licht der tief stehenden Abendsonne fiel gülden durchs Marathontor, Spieler und Anhang einte die Ahnung, dass der Song wohl noch das ein oder andere Mal bei dieser EM erklingen könnte. 

MI GRAN NOCHE de Raphael en la película DIGAN LO QUE DIGAN de Mario Camus

Eitel Sonnenschein, Spaniens erster Turnierauftritt: Zum einen durfte der 16-jährige Lamine Yamal von Beginn aufs Feld, womit er nun den Rekord des jüngsten EM-Spielers aller Zeiten innehat. Yamal, den der überschwängliche Nationaltrainer Luis de la Fuente jüngst »ein Geschenk Gottes« nannte, entthronte Polens Jungkicker Kacper Kozłowski, der 2021 im Alter von 17 Jahren und 246 Tagen als bisher Jüngster bei einer EM aufgelaufen war. 

Zum anderen wussten neben dem gewitzt aufspielenden Yamal auch die Altgedienten im spanischen Team zu überzeugen: Rodri (27) von Manchester City beispielsweise räumte vor der Abwehr auf, verteilte die Bälle, die Außenverteidiger David Carvajal (Real Madrid) und Marc Cucurella (Chelsea) machten leichtfüßig ein Großteil der kroatischen Angriffsbemühungen zunichte. 

Und vorne wirbelte neben dem Teenager Yamal und dem 21-jährigen Pedri auch Fabián Ruiz (28) freudig mit. Sein perfekt bemessener Steilpass in die Mitte traf die wackelige kroatische Abwehr mitten ins Herz: Alvaro Morata tippte den Ball einmal mit rechts an, um dann flach mit links abzuziehen. Das 1:0 in der 29. Minute, es fiel mitten in eine Sturm- und Drang-Phase der Rot-Weiß-Karierten, die im Stadionrund eindeutig die Übermacht hatten. Mindestens drei Viertel der mit 68 884 Menschen voll besetzten Arena waren den Balkan-Kickern zugeneigt, sie zündeten Rauchbomben und auch akustisch konnte kein Zweifel bestehen: »Hrvatska! Hrvatska!«

Doch es nutzte nichts: Zwei Minuten später ließ PSG-Angreifer Fabián an der gegnerischen Strafraumgrenze den ehemaligen Weltfußballer Luka Modrić sehr viel älter als 38 aussehen: Fabián schlug zwei Haken, schon war Modrić überspielt und die Bahn frei für den Treffer zum 2:0 (31.). Kroatien geschockt, doch es kam schlimmer, noch vor dem Pausenpfiff. Da leitete der Teenager mit der Zahnspange nämlich die Vorentscheidung des Spiels ein: Lamine Yamal flankte von rechts in den Strafraum, Außenverteidiger Daniel Carvajal rutschte herein und spitzelte den Ball direkt ins Tor. Kroatiens Goalie Dominik Livaković war chancenlos. Die kroatischen Gesänge verstummten. 

Ein Abend der großen Gesten: Spaniens Alvaro Morata gegen Kroatiens Josip Sutalo (r.)
Ein Abend der großen Gesten: Spaniens Alvaro Morata gegen Kroatiens Josip Sutalo (r.)

In Halbzeit zwei versuchte Kroatien alles, doch dieses alles war viel zu wenig. Zwar sorgte der fleißige Hoffenheimer Andrej Kramarić für viel Unruhe, Luka Modrić kämpfte um jeden Ball, Trainer Zlatko Dalić wechselt ein, was die Bank hergab, doch mehr als ein wilder Elfmeter kam nicht dabei heraus: Der Schiedsrichter hatte in der 78. Minute auf Strafstoß entschieden, der gefoulte Bruno Petković trat selbst an den Elfmeterpunkt und zog ab. Spaniens Keeper Unai Simon hielt den Elfmeter, doch sein Abpraller prallte zum heranstürmenden Ivan Perisić, der den Ball zurück zu Petković spielte: Tor! Die Kroaten jubelten und hofften kurz auf ein Wunder, ehe der Schiri die Viereckgeste machte: VAR! Der Videoschiedsrichter erkannte das Tor wieder ab: Perisic war zu früh in den Strafraum gelaufen. Freistoß statt Anstoß für Spanien.

Nach dem Abpfiff Kroatiens ließ Trainer Zlatko Dalić kein gutes Haar an seinen Nationalspielern. »Wir waren zu langsam, wir waren zu weit weg und Aggression hat gefehlt«, so der 57-Jährige. »Wenn man so guten Spielern so viel Freiraum lässt, kann es nicht gutgehen.« Angesichts der vielen kroatischen Zuschauer tue es ihm besonders leid: »Es war eine tolle Atmosphäre. Ich entschuldige mich für dieses schlechte Spiel.«

Spaniens Trainer Luis de la Fuente hingegen war nach dem Abpfiff schwer ergriffen von seiner Auswahl: »Man könnte jeden meiner Spieler für das heutige Spiel loben. Sie sind selbstbewusst, sie glauben an das, was wir erreichen können und die Superstars stellen sich in den Dienst der Mannschaft«, schwärmte der 62-Jährige, der die Nationalelf seit Dezember 2022 trainiert, nachdem er zuvor zehn Jahre lang die Nachwuchsmannschaften der Real Federación Española de Fútbol (RFEF) betreut hatte. »Meine Mannschaft zeigt der Gesellschaft, wie Menschen an einem Strang ziehen können und sollten«, sang er sich seine eigene Lobeshymne. Opernreif.

Umsonst: Kroatiens Bruno Petkovic (2.v.r) verwandelte einen Elfmeter-Nachschuss, der Treffer wurde vom Video Assistant Referee (VAR) aberkannt.
Umsonst: Kroatiens Bruno Petkovic (2.v.r) verwandelte einen Elfmeter-Nachschuss, der Treffer wurde vom Video Assistant Referee (VAR) aberkannt.

Im zweiten Spiel der Todesgruppe müssen die Spanier nun am Donnerstag in Gelsenkirchen gegen Titelverteidiger Italien ran, das in Düsseldorf am späten Samstagabend nur ein freudloses 2:1 gegen Albanien zustande brachte. Den Spaniern muss keinesfalls bange sein, mit ihrem Sieg gegen Kroatien haben sie sich direkt in die erste Reihe der Titelkandidaten gespielt, in die sie als Rekord-Europameister eh gehören.

Die »Furia Roja« regt zum Träumen an, und zum Singen: »¿Qué pasará? ¿Qué misterio habrá? Puede ser mi gran noche«. Übersetzt heißt das: »Was wird passieren, welches Geheimnis wird es geben? Es kann meine große Nacht werden!«

Kämpferische Faust: Spaniens Trainer Luis de la Fuente nach dem Spiel
Kämpferische Faust: Spaniens Trainer Luis de la Fuente nach dem Spiel
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