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- Verkehrssicherheit
Weiter Rot für Tempo 30 in Berlin
Grüne und Linke fordern mehr Tempo-30-Zonen und strengere Verkehrskontrollen – ohne Erfolg
Hupen, fluchen und pöbeln – im Berliner Verkehrsalltag können manche Autofahrende öfter mal ihrem Ego nicht widerstehen und reißen durch Raserei einen gesamten Wohnblock aus dem Tiefschlaf. In anderen Fällen sind es Fahrradfahrer*innen, die sich zwischen eng nebeneinander fahrenden Autos hindurchbalancieren. In jedem Fall ist klar: Gefährliches Verkehrsverhalten führt immer wieder zu Unfällen, in tragischen Fällen auch zum Tod. Allein 2023 verzeichnete der Verkehrsclub Deutschland 45 Tote in der Hauptstadt, davon 14 Radfahrende, 15 Fußgänger*innen und 11 Autofahrer*innen.
Am Montag traf sich der Berliner Innenausschuss, um über einen Antrag der Grünen sowie partiell der Linken zur Priorisierung der Verkehrssicherheit zu diskutieren. Die Antragsparteien forderten eine Ausweitung der Geschwindigkeitskontrollen und die Errichtung von mehr Tempo-30-Zonen. Anlass zur Sitzung gaben die jüngst bekannt gewordenen Kürzungen im Haushalt: Die ursprünglich geplanten 1,5 Millionen Euro für Verkehrsüberwachung fallen weg, womit auch Beschaffung und Ersatz von Blitzersäulen, der Kauf dreier neuer Blitzeranhänger sowie neue Ausstattung der Fahrstaffel der Polizei gestrichen werden. Grüne und Linke kritisieren, dass die Kürzungen zu weniger Verkehrssicherheit führen könnten.
So seien viele Berliner Verkehrstote, die durch ein eingehaltenes Tempo 30 hätten verhindert werden können, »ein nicht zu akzeptierendes Resultat«, schimpft Antje Kapek, die als Verkehrspolitikerin für die Grünen im Abgeordnetenhaus sitzt. Für Schutzbedürftige Verkehrsteilnehmer*innen wie Kinder, Senior*innen und Radfahrende gehe die »größte Gefahr vom Berliner Straßenverkehr aus«. So würden bei einer Aufprallgeschwindigkeit von 30 km/h »nur« 30 Prozent der Fußgänger*innen zu Tode kommen, bei 50 km/h hingegen 80 Prozent. Bei letzterem Tempo bleibe Verkehrsbeteiligten also »kaum noch eine Chance zu überleben«. Außerdem erklärt die Grünen-Abgeordnete, dass Tempo 30 nachweislich zu besserer Luftqualität führe.
Ferner kritisiert Kapek, dass bereits vorhandene Technik nicht zum Einsatz kommt. Sie plädiert dafür, dass sich Berlin ein Vorbild an anderen Städten und europäischen Ländern nimmt und beispielsweise den Einsatz von Lichtsignalanlagen ausbaut oder günstigere Überwachungstechnik verwendet. Der Einsatz neuer Technik soll auch die Beamt*innen entlasten, die im Verkehrseinsatz kaum mehr hinterherkommen. Die Einstellung vieler Hobbyraser*innen nach dem Prinzip »In Berlin kannste fahr’n wie de willst«, müsse aufhören, so die Grünen-Abgeordnete.
Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, stimmt Kapek zu und kritisiert, dass der Abbau der Blitzer »komplett irrational« und die Koalition in puncto Verkehrssicherheit »viel weniger ambitioniert« sei. Er fordert mehr »Würdigung dieses Themas«.
Die CDU hält nicht viel von den Verkehrssicherheits-Anträgen der Oppositionsparteien. Dass es Verkehrstote durch Raser*innen gebe, die »gerne protzen wollen«, hält der CDU-Abgeordnete Christopher Förster für »echt tragisch«. Gleichzeitig sei er nicht davon überzeugt, dass Kontrollen jemals Rasende verhindern werden, und meint, dass es für die Verkehrssicherheit auch nicht zielführend sei, »wahllos überall Fahrradwege« anzulegen.
Marc Vallendar, rechtspolitischer Sprecher der AfD, bezeichnet die Anträge der Grünen als »Fahrradpopulismus«. Er gibt zu, dass es bei einer Geschwindigkeit von »null« km/h in der Tat keine Verkehrstoten geben würde. Gleichzeitig fordert er eine strengere Verfolgung von Verkehrsverstößen durch helmlose sowie über Rot fahrende Radfahrer*innen.
Aus den Reihen der SPD kommt während der Verkehrsdiskussion wenig. So auch von Orkan Özdemir. Der Abgeordnete hatte zuvor bei einem Antrag der AfD zur Staatsbürgerschaft darum gebeten, den Forderungen der rechten Partei nicht zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Bei der Abstimmung der Anträge zur Verkehrssicherheit stimmten er und weitere SPD-Mitglieder dagegen, sodass die Forderungen der Grünen und Linken zusammen mit den Stimmen der CDU und AfD abgelehnt wurden.
»Verkehrsbeteiligte haben kaum noch eine Chance zu überleben«
Antje Kapek
Verkehrspolitische Sprecherin der Grünen
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