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Der EM-Plan von Julian Nagelsmann: Die Kraft der Emotionen
Der Bundestrainer setzt die Atmosphäre des Heimturniers ganz bewusst ein
Julian Nagelsmann gibt alles, um die Stimmung zu heben. Fast alles. Mitsingen, das will der Bundestrainer nicht. Aus gutem Grund: »Ich muss meinen Job machen.« Zudem ist es noch viel zu früh, um in diesen Klassiker einzustimmen. »Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin«, schmetterten die deutschen Fußball-Fans am Mittwochabend in Stuttgart. Nachdem sich die DFB-Elf mit dem 2:0 gegen Ungarn als erstes Team für das Achtelfinale bei dieser Europameisterschaft qualifiziert hatte, sangen die begeisterten Zuschauer schon vom Finale in der Hauptstadt.
Die auch im Vorfeld erhoffte Euphorie will der Bundestrainer nicht bremsen. Ganz im Gegenteil. »Die Fans dürfen träumen, unser Job ist es, sie weiter träumen zu lassen.« Einerseits ist Nagelsmann selbst begeistert. Er genoss die »geniale Stimmung« und berichtete von einem »emotionalen Moment«, als »während des Spiels die Nationalhymne gesungen wurde«. Andererseits nutzt der Bundestrainer die Atmosphäre dieses Heimturniers und baut sie bewusst in seinen EM-Plan ein. Er habe seinen Spielern extra noch Bilder von der feiernden Fanmasse aus Hamburg gezeigt.
Wunderbar Neues
Stimmung ist natürlich Geschmackssache. Zwischen der in allen Stadien billig basslastigen und viel zu lauten Eventmusik ist bei einer Europameisterschaft mit 24 Nationen manchmal auch wunderbar Neues zu hören. In der Stuttgarter Arena sangen die ungarischen Anhänger mit »Nélküled« ein gemütvolles Lied voller Hingabe mit. Trost brachte es letztlich kaum. Ihre im Gegensatz zum Auftaktspiel gegen die Schweiz stark verbesserte Nationalmannschaft hat nach der zweiten deutlichen Niederlage in der Gruppe A kaum noch Chancen auf ein Weiterkommen.
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Für das »gute Gefühl« im eigenen Lager und unter den Anhängern hat Julian Nagelsmann auch in Stuttgart einiges getan. Die positive Emotionalität lebte der Bundestrainer an der Seitenlinie vor. Mit seinen insgesamt fünf und teilweise frühen Wechseln in der zweiten Halbzeit gab er Stammspielern wie Florian Wirtz und Kai Havertz, aber auch Robert Andrich, Jamal Musiala und İlkay Gündoğan notwendige Entlastung, anderen wie Leroy Sané, Niclas Füllkrug oder Emre Can wichtige Spielzeit. Und mit den Einwechslungen der Stuttgarter Profis Chris Führich und Deniz Undav schenkte er dem heimischen Publikum in der Schwaben-Metropole zusätzliche Momente der Freude. Gedankt und gefeiert wurde es lautstark.
Gefühlte Verbesserung
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Die spezielle Entwicklung unter Nagelsmann beschrieb der Bundestrainer am Mittwochabend gleich selbst: »Im November hätten wir dieses Spiel noch nicht gewonnen.« Damals, nach den Niederlagen gegen die Türkei und Österreich, fand er den Mut, der sich mehr und mehr auszuzahlen scheint. Nach dem nahezu kompletten Kaderumbruch machten schon die Siege gegen Frankreich und die Niederlande im März Hoffnung. Viel Zeit, all das Neue in Hierarchie und Spielweise zu verfestigen, blieb jedoch nicht. Wie es bis hierhin gelang, erklärte Niclas Füllkrug in Stuttgart. Der Bundestrainer habe »schon viele wichtige Entscheidungen getroffen und einige Sachen verändert«, sagte der Stürmer und ergänzte: »Er hat uns eine Idee mitgegeben, die zu uns passt und auch nicht zu kompliziert ist.« Dies ist ein entscheidender Unterschied zu Nagelsmanns Vorgängern. Weder Löw noch Flick waren bereit, ihre Vorstellungen vom Spiel den Gegebenheiten anzupassen.
Weniger prominent
Die größte und zugleich wichtigste Veränderung ist in der Rückwärtsbewegung des Teams zu erkennen. Dabei hilft auch die Installation eines weniger prominenten, aber überaus leidenschaftlichen Defensivarbeiters wie Robert Andrich im zentralen Mittelfeld. Entscheidend ist aber das mannschaftliche Verteidigen. Mit einer guten Orientierung für Raum und Gegner wurden auch gegen Ungarn alle gefährlichen Situationen entschärft. Die neue Abwehrlust in Zahlen: nur drei Gegentore in den letzten sechs Spielen.
In der Offensive setzt Nagelsmann auf Mut sowie einfaches und schnelles Spiel. Weil Fehler erlaubt sind, hat keiner Angst vor dem Risiko, weder im Dribbling noch beim Passen. Misslang gegen die Ungarn eine Kombination von Jamal Musiala, Havertz und Gündoğan mit jeweils nur einer Ballberührung in der 19. Minute noch, führte ein nahezu ähnlich vorgetragener Angriff in der 67. Minute zum 2:0. Die Stationen: Musiala, Maximilian Mittelstädt und Torschütze Gündoğan. Wie wichtig es ist, den Gegner beständig unter Druck zu setzen, zeigte sich schon nach 22 Minuten. Das DFB-Team bedrängte die Ungarn an deren Strafraum, Gündoğan setzte energisch nach – und Musiala traf zu Führung.
Ein Haken und doppelte Wirkung
Klug waren, wie schon angesprochen, Nagelsmanns Wechsel. Um Druck und Fokus hochzuhalten sowie Alternativen zu testen, mussten der immer noch etwas überspielt wirkende Florian Wirtz und Havertz nach knapp einer Stunde vom Platz. Hier kommt mal ein Haken: Weder Füllkrug noch Leroy Sané konnten zeigen, dass sie in die Startelf gehören. Gleiches galt mit Abstrichen für Führich, Undav hatte dafür zu wenig Spielzeit. Einzig der nachnominierte Can fügte sich nahtlos in das gute Spiel des DFB-Teams ein.
Am Ende aber blieb allseits das »gute Gefühl«. Dafür will der Bundestrainer auch weiterhin alles geben. »Wir wollen alle Spiele gewinnen«, sagte Nagelsmann mit Blick auf das abschließende Gruppenspiel am kommenden Sonntag gegen die Schweizer, die gegen Schottland nur zu einem 1:1 gekommen waren. »Das gibt eine Wirkung nach innen und nach außen, wenn du die Gruppe als Erster beendest«, erklärte er zum Abschluss nochmal seinen auch auf Emotionen beruhenden EM-Plan. Und ganz nebenbei hat der Bundestrainer in Stuttgart auch noch etwas für sich gemacht: Die Klausel, nach der sein Vertrag bei einem erneuten Vorrunden-Aus des DFB-Teams hätte gekündigt werden können, kann gestrichen werden.
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