Persönliche Assistenz: Tarifvertrag ins Nichts

Beschäftigte der persönlichen Assistenz demonstrieren vor der Zentrale der AOK Nordost in Berlin

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

»Nicht mit uns«, die Parole war am Mittwochnachmittag schon von Weitem zu hören. Skandiert wurde sie von etwa 100 Menschen, die sich vor der Zentrale der Krankenkasse AOK Nordost in Berlin-Kreuzberg versammelt hatten. Beschäftigte der Einrichtungen Ambulante Dienste und Neue Lebenswege forderten eine sofortige Umsetzung des schon abgeschlossenen Tarifvertrags.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hatte mit den beiden Anbietern für persönliche Assistenzdienste bereits im Dezember 2023 einen Tarifvertrag geschlossen, der vorsieht, die Lohnerhöhungen adäquat zum Tarifvertrag der Länder (TV-L) anzuwenden. Doch mehr als ein halbes Jahr später ist er noch immer nicht umgesetzt. Ihre Forderungen richten persönliche Assistent*innen wie Assistenznehmer*innen an die AOK Nordost, die stellvertretend für die Pflegekassen und den Senat den Tarifvertrag ausgehandelt hatte.

»Der Berliner Senat und die Pflegekassen weigern sich, in den Refinanzierungsverhandlungen die Kostensteigerungen zu übernehmen«, moniert der zuständige Verdi-Sekretär Ivo Garbe gegenüber »nd«. Auch den eigentlich vereinbarten Inflationsausgleich haben die Beschäftigten noch immer nicht bekommen.

An der Demonstration nehmen gut ein Dutzend Menschen im Rollstuhl teil. Die Geschichte der Ambulanten Dienste ist eng mit der Behindertenbewegung verbunden. Betroffene kämpften dagegen, dass sie gegen ihren Willen in Heime abgeschoben werden. Die persönlichen Assistent*innen ermöglichen ihnen ein selbstbestimmtes Leben in einer Umgebung ihrer Wahl. Deshalb unterstützen sie den Kampf der Beschäftigten nach besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen.

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Vor rund 15 Jahren lenkte der sogenannte »Scheiß-Streik« Aufmerksamkeit auf die schlechten Arbeitsverhältnisse. Beschäftigte, die in der persönlichen Assistenz für Behinderte oder in der häuslichen Pflege tätig waren, wurden aufgefordert, ein Kotröhrchen zu kaufen, es zu befüllen und an konkrete Mitglieder des »einzigartigen Interessenkartells zu schicken, das für Lohndumping und Zeitdruck in diesem Bereich verantwortlich ist«, wie es 2009 in einem Aufruf hieß. Die Beschäftigten wollten auch darauf hinweisen, dass sie nicht einfach streiken können, weil die Assistenznehmer*innen existenziell auf ihre Tätigkeit angewiesen sind.

In den letzten Jahren hätten die Beschäftigten große Erfolge bei der Organisierung gemacht, betont Ivo Garbe. Der Gewerkschaftssekretär sieht es als einen wichtigen Meilenstein, dass 2020 in Berlin der bundesweit erste Tarifvertrag für Assistenzbeschäftigte abgeschlossen wurde. »Das hat den Beschäftigten gezeigt, dass ihr Kampf Erfolg hat, und ihr Selbstbewusstsein gestärkt«, meint Garbe. Der gewerkschaftliche Organisierungsgrad bei Ambulante Dienste e. V. und Neue Lebenswege GmbH sei hoch.

Garbe verweist dabei auch auf die Verantwortung des Berliner Senats. Dort scheine es niemanden zu interessieren, dass die Beschäftigten noch immer keine Inflationszulage bekommen haben und Altersarmut befürchten müssen. »Da müssen wir lauter werden«, sagte Garbe zum Schluss und bekam dafür viel Applaus. Die Kundgebung dürfte nicht die letzte gewesen sein. »Wenn der Tarifvertrag jetzt nicht sofort umgesetzt wird, stehen wir wieder hier. Aber mit noch mehr Beschäftigen«, sagte eine Teilnehmerin gegenüber »nd«.

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