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DFB-Elf vor EM-Achtelfinale gegen Dänemark: Die neue Flexibilität
Die deutschen Fußballer gehen mit mehr taktischen Mitteln ausgestattet ins erste K.o.-Spiel
Als der deutsche Fußball-Bundestrainer Julian Nagelsmann im Frühjahr seinen EM-Kader vorstellte, fehlten darin einige etablierte Akteure. Dafür waren Spieler dabei, deren Namen einige Monate zuvor kaum jemand auf der Rechnung gehabt hatte: Waldemar Anton, Robert Andrich, Maximilian Beier, Chris Führich, Pascal Groß und Deniz Undav kamen addiert auf lediglich 21 Länderspiele.
Nagelsmann aber hatte einen Plan und folgte der Erkenntnis, dass elf Weltklassespieler nicht notwendigerweise ein überragendes Team bilden. Sie hatte schon Gordon Herbert dabei geholfen, die deutschen Basketballer im Vorjahr erstmals zu Weltmeistern zu formen. Ebenso hatte sich Nagelsmann abgeschaut, jedem Spieler für den Zeitraum des Turniers eine klar definierte Rolle zuzuweisen. Für ihn sind motivierende Ansprachen das eine. Noch wichtiger sei es aber, Spieler zu finden, »die eine hohe intrinsische Motivation mitbringen. Alles, was von außen kommt, ist weniger nachhaltig.« Bei Jürgen Klopp glaube jeder, »dass er die Spieler jeden Tag anpeitscht. Aber das nutzt sich ab.« Deshalb suchte auch Nagelsmann gezielt Spieler, die sich selbst hochziehen können. Bei jungen Spielern wie Spätberufenen, die zunächst einmal glücklich sind, dass sie es überhaupt in den EM-Kader geschafft haben, dürfte jene intrinsische Motivation gegeben sein. So jedenfalls lautet die Idee, die Deutschlands Fußballer zumindest bis ins Achtelfinale gegen Dänemark an diesem Samstag (21 Uhr im ZDF) gebracht hat.
Ein Nationaltrainer hat in kurzen Lehrgängen nur wenig Zeit, um mit seinen Spielern an Taktik und Spielphilosophie zu feilen. Didier Deschamps führte Frankreich zweimal in Serie ins WM-Finale – dank eines Haufens von überragenden Individualisten. Eine spezielle Philosophie oder besondere taktische Eigenschaften ließen sich bei den Franzosen kaum erkennen. Der Fußballästhet bedauert daher Deschamps extrem pragmatischen »Turnierfußball«, der auch aktuell bei der EM wieder zu besichtigen ist: Ein Arsenal an unfassbaren Offensivspielern hat nach drei Auftritten noch kein eigenes Tor aus dem Spiel heraus erzielt. Enttäuschend ebenso, was die Engländer, das Team mit dem höchsten Marktwert, bislang abliefern.
Das Leistungsniveau reicht im deutschen Team individuell nicht an das jener Favoriten heran. Nagelsmann aber hat die Fähigkeit, aus einem Team mehr entstehen zu lassen als nur die Summe seiner Einzelspieler, was ja der Sinn von Taktik ist. Auch versteht er es, flexibel zu agieren – trotz des Umstands, dass mit einem Nationalteam viel weniger trainiert werden kann. Jene taktische Flexibilität definiert für Nagelsmann »den Unterschied zwischen einem guten und einem sehr guten Trainer. Vor dem Spiel einen Plan zu entwickeln, ist einfach. Aber wenn der nicht funktioniert, schnell Stellschrauben zu finden, das Spiel lesen und in Lösungen zu übersetzen, das ist die Kunst.«
Jene Eingriffe ins laufende Spiel haben bisher gut funktioniert. Gegen die Schweiz etwa wechselte der Bundestrainer im letzten Gruppenspiel den jungen Maximilian Beier ein, um das eigene Spiel zu beschleunigen. Der ebenfalls von der Bank kommende David Raum sorgte auf der linken Seite für mehr Offensivdrang. Eine Viertelstunde vor Schluss lief dann noch Niklas Füllkrug aufs Feld – und markierte als Abnehmer für Raums Flanken den Ausgleich.
Seither fordert der Fußball-Stammtisch: Füllkrug statt Havertz in die Startformation! Womit wir wieder bei den von Nagelsmann verteilten Rollen sind. Füllkrug ist kein Spieler von internationaler Klasse. In einem Top-Ensemble besteht der Wert des Dortmunders also eher in einer Joker-Rolle, die mit taktischen Veränderungen einhergeht. Während Havertz eher eine »schwimmende Neun« spielt, ist Füllkrug der klassische Mittelstürmer, der andere Angriffsoptionen gestattet. Und vielleicht profitiert der 31-Jährige ja auch davon, dass der viel rochierende Havertz zuvor die gegnerische Abwehr müde gespielt hat. Füllkrug als Auswechselspieler für Havertz ist daher eine bessere Idee als Havertz für Füllkrug.
Nagelsmann gilt als Taktikfuchs. Aber er hat noch mehr Qualitäten für seinen Job mitgebracht, wie sein Assistent Sandro Wagner schon vor Jahren bemerkte: »Natürlich beherrscht er diesen Bereich. Das Wichtigste ist aber, dass er Menschen gut führen kann.« Nur ein guter Typ zu sein, reiche heutzutage jedoch auch nicht mehr aus: »Die aktuellen Spieler sind sensibler als die Generation Effenberg und Co.: Sie fordern stimmige, nachvollziehbare Inhalte im Training, wollen detailliert auf den Gegner vorbereitet sein. Sie brauchen neben dem persönlich guten Gefühl auch einen klaren Plan, um zum Beispiel auf Änderungen reagieren können.«
Schon als Trainer von RB Leipzig hatte Nagelsmann einst das Spiel der Sachsen weiterentwickelt. Danach bestand es nicht mehr nur aus Pressing, schneller Balleroberung und Umschaltspiel. Nagelsmann zog das Spiel in die Breite und verstärkte den Ballbesitz – auch als Antwort auf nun tiefer verteidigende Gegner. Genau mit solchen hat es auch die Nationalmannschaft bei der EM zu tun, sehr wahrscheinlich auch wieder gegen die Dänen im Achtelfinale.
In taktischer Hinsicht gehört die deutsche Elf zu den anspruchsvolleren Teams bei dieser EM. Rückkehrer Kroos gibt dem deutschen Spielaufbau mal Tiefe, mal Breite, vor allem aber Stabilität. Vor ihm agieren mit Jamal Musiala, Florian Wirtz und İlkay Gündoğan drei technisch extrem beschlagene »Zehner«. Joshua Kimmichs Versetzung aus der Zentrale in die rechte Außenverteidigung war bei dieser Aufteilung ebenso logisch wie überfällig. Der letzte Spieler, der dort spielgestaltend mehr konnte als nur flanken, war Philipp Lahm vor zehn Jahren.
Dem Taktikstreit zwischen überfallartigem Umschaltspiel und mehr Ballbesitz mochte Bundestrainer Nagelsmann nie so recht folgen: »Dass viele Tore nach schnellem Umschalten fallen, kann man als Erfolgsformel erkennen und trainieren. Man kann es aber auch so interpretieren, dass man zu wenige Lösungen bei eigenem Ballbesitz hat. Die zu finden, wird die Aufgabe.« Eine von vielen Experten geforderte Abkehr von Joachim Löws Ballbesitzfußball hat der neue Bundestrainer also nicht verordnet. Ganz zur Freude seines Mittelfeldstrategen Toni Kroos: »Viele kleine Pässe nerven den Gegner.« Der Ball werde nicht müde. Der Gegner irgendwann schon.
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