Nachhaltigkeit: Es ist nicht alles »grün«, was bei der EM glänzt

Auch bei der angeblich nachhaltigsten Europameisterschaft aller Zeiten, kommt vieles anders als versprochen

Ist das »grün«? 24 000 Quadratmeter Kunstrasen wurden in Berliner Fanzonen für die EM verlegt.
Ist das »grün«? 24 000 Quadratmeter Kunstrasen wurden in Berliner Fanzonen für die EM verlegt.

Iris Spranger erzählt von bunten Zeichnungen aus Berliner Kindergärten, die sie gerade öfter bekomme. Am Freitag sitzt die Senatorin für Inneres und Sport in der Fanzone am Brandenburger Tor und zieht eine Halbzeitbilanz der Fußball-EM in der Hauptstadt. Dabei blickt sie auf den ausgelegten Kunstrasen – und lobt die »Nachhaltigkeit« des Turniers. Über das synthetische Grün sei jetzt schon eine halbe Million Menschen gelaufen. »Er sieht immer noch wie neu aus«, meint Spranger. Wo der Kunstrasen später einmal liegen soll, sei auf den Kinderzeichnungen zu sehen: Kitas, Bolzplätze, die JVA-Tegel – viele haben sich für die Nachnutzung beworben.

Gute Idee, keine Tat

Die Organisatoren, der DFB und die Uefa haben »die nachhaltigste EM aller Zeiten« versprochen. Schaut man genau hin, ist nicht alles »grün«, was glänzt. »Haben sie eine Tasse«, fragt ein portugiesischer Kollege im Medien-Cafe des Frankfurter Stadions. »Nein«, antwortet die junge Frau hinter dem Tresen. »Nur das hier«, sagt sie und zeigt auf drei riesige Stapel aus Pappbechern. Der Portugiese zieht die Augenbrauen hoch, überlegt aber nicht lange: »Ok, einen Kaffee, bitte.« Ohne Koffein geht bei vielen Kollegen nichts, vielleicht eine Journalistenkrankheit, unter der auch ich leide. Im Berliner Olympiastadion bekomme ich meinen Kaffee in der Tasse. Dafür sind alle Wassertanks leer. Die gute Idee, sich einmal eine Plastikflasche zu nehmen und sie dann immer wieder nachzufüllen, kann leider nicht umgesetzt werden.

Ein ungutes Gefühl hatte Roberta schon vor drei Jahren. Bessere Voraussetzungen als sie kann man als Referentin für Nachhaltigkeitsmanagement kaum haben. Roberta ist Volkswirtschaftlerin, Thema ihrer Abschlussarbeit war CSR – Corporate Social Responsibility, also der freiwillige Beitrag der Wirtschaft zu einer nachhaltigen Entwicklung über gesetzliche Anforderungen hinaus. Dem Diplom folgte der Masterabschluss in Nachhaltigkeits- und Qualitätsmanagement. Gerade sitzt sie in einer Berliner Eckkneipe. Weil das übertragene EM-Spiel nicht so spannend ist, kann Roberta von ihrer Bewerbung auf die Stelle als Referentin beim Land Berlin für die Fußball-EM erzählen. Auch hier wieder hochgezogene Augenbrauen des Zweifelns. Die einzige Aufgabe, die es beim Vorstellungsgespräch im Juni 2021 gegeben habe, hätte auch ein Erstsemester lösen können. Ambitioniert sind die Ansprüche schon mal nicht. »Wer sich das Label ›nachhaltig‹ gibt, wird auch daran gemessen«, sagt sie und fragt: »Wie kann ein Turnier nachhaltig sein, zu dem Hunderttausende Fans eingeflogen werden?« Und: »Ein Kompensationsausgleich kann aus Schlechtem nichts Gutes machen.«

Großer Umsatz, kleiner Beitrag

Nicht nur Fans fliegen, auch Funktionäre und Nationalteams. Statt einer zweistündigen Busfahrt charterte der türkische Tross lieber ein Flugzeug, um zum Gruppenspiel nach Hamburg zu kommen. Ist es notwendig, 24 000 Quadratmeter Kunstrasen zu produzieren und täglich zu reinigen, um die Fanzone in Berlin auzuhübschen? Ein gern betonter Teil des Nachhaltigkeitskonzeptes der EM ist der Kompensationsausgleich der Uefa. Sieben Millionen Euro schüttet der Verband für klimafreundliche Maßnahmen im deutschen Fußball aus. Das sind 25 Euro pro unvermeidbarer Tonne CO2 bei dieser EM, klimagerecht kostet diese jedoch rund 80 Euro. Ihren EM-Umsatz von 2,4 Milliarden Euro nutzt die Uefa lieber anders.

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