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Andrei Ratiu: Ganz Rumänien hofft auf den Blauen unter den Gelben

Nicht nur wegen seiner Haare ist Andrei Ratiu einer der auffälligsten Rumänen dieser Fußball-EM

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Andrei Ratiu (l.) trieb in der Gruppenphase immer wieder das Angriffsspiel Rumäniens an.
Andrei Ratiu (l.) trieb in der Gruppenphase immer wieder das Angriffsspiel Rumäniens an.

Eine riesige Schar fröhlicher Fans hat eigentlich jede Nation zu dieser Europameisterschaft mitgebracht. Nur wenige waren jedoch so lautstark und leuchtend wie die Anhängerschaft Rumäniens. Klar, die »Tartan Army« aus Schottland galt als noch größer und trinkfester, aber ganz gleich wie diese EM ausgeht für die »Tricolorii«, die an diesem Dienstag im Achtelfinale in München gegen die Niederlande (18 Uhr/ARD) jubeln wollen: Ihre in sonnengelben Trikots einlaufende Mannschaft war ein fröhlicher Farbtupfer, der sich den Vorstoß in die K.o.-Runde allemal verdient hat.

Dabei hat einer entscheidend mitgeholfen, der inmitten all der Gelbhemden nicht nur wegen seiner blau gefärbten Haare besonders auffiel: Andrei Ratiu hat in allen Gruppenspielen auf seiner rechten Abwehrseite mächtig Dampf gemacht. Hinten hat der 26-Jährige resolut aufgeräumt, dazu vorne entschlossen Akzente gesetzt. Der bei Rayo Vallecano spielende Profi ist einer von jenen Rumänen, die sich nun auch die Bundesliga-Scouts ganz genau anschauen. Sein Vertrag in Spanien läuft bei einem in der Primera División stets um den Klassenerhalt kämpfenden Klub zwar noch bis 2028, aber sein Marktwert liegt bislang nur bei 1,5 Millionen Euro. Ist da vielleicht noch ein Schnäppchen zu bekommen? Rumänische Medien bringen ihn bereits mit einem Wechsel nach Deutschland in Verbindung. Ein K.o.-Duell bei einer EM ist die beste Bühne, in eigener Sache noch etwas für sich zu werben.

Ratius Tatendrang beeindruckt, sein Passtempo ist ordentlich, die weiteren Statistiken schon herausragend: Seine sieben Klärungsversuche in der Gruppenphase gerieten teils spektakulär. Elf Bälle hat er erobert, 87 Prozent der Pässe zum Mitspieler gebracht. Und ein Topspeed von 34,7 Stundenkilometern ist auf seiner Position stark – das deutsche Pendant Joshua Kimmich kommt bloß auf 32,7. Intern wird der forsche Rumäne übrigens nur »Sonic« genannt, in Anlehnung an den Videospiel-Igel, der es in der japanischen Serie mit einer zackigen blauen Frisur und rasendem Tempo mit allen möglichen Erzfeinden aufnimmt. Ähnlich unerschrocken gibt sich gerade auch Andrei Ratiu.

Dass bei diesem Aktivposten erst 20 Länderspiele in der Vita stehen, ist leicht erklärt: Weil seine Eltern bereits in den Tagen seiner Kindheit nach Spanien zogen, wuchs er dort auf – und der rumänische Verband hatte ihn lange gar nicht auf dem Radar. Erst vor knapp drei Jahren durfte Ratiu dann im Nationaldress debütieren. Bei Trainer Edward Iordanescu hat der Spieler mit der Rückennummer zwei nun längst einen Stein im Brett. Der 46-Jährige schätzt Spieler, die mit derart viel Herzblut bei der Sache sind, weil es ohne Leidenschaft gar nicht gelungen wäre, die Landsleute auf den Rängen und daheim mitzureißen. »Den Fans und dem Land widmen wir alles, was wir bei dieser EM erreichen«, sagt auch Kapitän Nicolae Stanciu.

»Die Rumänen waren schon lange nicht mehr in einem solchen Zustand der Freude vereint«, teilte Nationalcoach Iordanescu über die Website seines Verbandes mit. Mit den »Oranjes« in München ein riesiges buntes Bild erzeugen zu können, ist eine Aussicht, von der vorher nicht mal kühnste Optimisten zu träumen gewagt hätten.

Vor der historischen Herausforderung gegen den zumindest auf dem Papier als Fußball-Großmacht geltenden Gegner hat der Trainer vorsorglich noch um himmlischen Beistand gebeten: Beim Gottesdienst einer rumänisch-orthodoxen Gemeinde in Würzburg schaute er am Sonntag vorbei. Ob Glaube oder Aberglaube: Fußballer nehmen gern alles mit, was die Wahrscheinlichkeit auf einen Erfolg zu steigern verspricht. 30 Jahre nach dem größten, bei der WM 1994 mit dem furiosen Achtelfinalsieg gegen Argentinien, träumt nun wieder ein ganzes Land von einem Coup, der nicht nur das Selbstwertgefühl vieler Rumänen erhöht, sondern die Spieler auch ein Stück weiter von der Generation eines Gheorghe Hagi emanzipieren würde. Vielleicht ist die Zeit reif für neue Helden.

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