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Parlamentswahl in Frankreich stärkt extreme Rechte
In Frankreich sieht sich das Rassemblement National nach der ersten Wahlrunde bereits auf dem Weg an die Regierung
»Der Sieg ist möglich, die Übernahme der Macht ist in greifbarer Nähe«, jubelte Jordan Bardella, der Vorsitzende der rechtsradikalen Bewegung Rassemblement National (RN), als am Sonntagabend die Ergebnisse des ersten Wahlgangs der vorgezogenen Parlamentswahl bekannt gegeben wurden.
Die Wahl war nötig geworden, weil Präsident Emmanuel Macron nach dem schlechten Abschneiden des Regierungslagers bei der Europawahl vor drei Wochen überraschend das Parlament aufgelöst und Neuwahlen anberaumt hatte. Doch seine Rechnung, dadurch mehr Kräfte hinter sich zu vereinen und im Parlament die Mehrheitsverhältnisse zu seinen Gunsten zu verbessern, ist deutlich gescheitert.
Diese Wahl hat im Gegenteil für RN den Weg zur Macht geebnet. Hatte er bei der letzten Parlamentswahl 2022 im ersten Wahlgang 18,7 Prozent der Stimmen erzielt und war mit 89 Abgeordneten in die Nationalversammlung eingezogen, so stimmten am Sonntag 33 Prozent der Wähler für ihn. Das ist eine beispiellose Dynamik und ein gewaltiger Schub. Mit diesen Wählerstimmen kann RN dank des Mehrheitswahlrechts in Frankreich in der Nationalversammlung mit 230 bis 280 Sitzen rechnen.
Den zweiten Platz im ersten Wahlgang erzielte die Neue Volksfront, das Bündnis der linken Parteien und Organisationen, für die 28 Prozent der Stimmen abgegeben wurden und die entsprechend mit 125 bis 165 Parlamentssitzen rechnen kann.
Dagegen wurde für die Drittplatzierten, das Regierungslager, das sich aus Emmanuel Macrons Partei Renaissance, François Bayrous Zentrumspartei Modem und der vom Ex-Premier Edouard Philippe gegründeten Partei Horizons zusammensetzt, nur 20 Prozent der Stimmen abgegeben. Damit kann das Regierungslager nur noch mit 70 bis 100 Sitzen in der Nationalversammlung rechnen, was bedeutet, dass es gegenüber der Wahl von 2020, als es 245 waren, mehr als die Hälfte verloren hat.
Seit Monaten hat Präsident Macron eine neuerliche Rechtswende vollzogen.
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Da es in der Nationalversammlung insgesamt 577 Sitze gibt, braucht man von diesen 289 für die absolute Mehrheit, um Gesetze unangefochten durchs Parlament zu bringen. Wie schlecht es sich ohne regiert, musste Macron in den zurückliegenden zwei Jahren seiner zweiten Amtszeit feststellen. So ist es nicht verwunderlich, dass der RN-Parteichef Jordan Bardella seit Tagen erklärt, er werde im Falle eines Wahlsieges das Amt des Regierungschefs nur annehmen, wenn RN über die absolute Mehrheit im Parlament verfügt.
Vor allem geht es nun um die 306 Wahlkreise mit einer »Triangulaire«. Das bedeutet, dass es hier im zweiten Wahlgang nicht ein Duell der zwei bestplatzierten Kandidaten gibt, sondern noch einen dritten Anwärter, der es neben ihnen auf mehr als 12,5 Prozent der Stimmen gebracht hat. Jetzt geht es darum, wer zurückzieht, wenn dadurch der Sieg eines rechtsextremen Kandidaten verhindert werden kann. Bei früheren Wahlen hat sich in solchen Fällen stets eine »republikanische Front« aller demokratischen Parteien ergeben.
Doch die ist heute nicht mehr selbstverständlich. Seit Monaten hat Präsident Macron eine neuerliche Rechtswende vollzogen und hat das linke Parteienbündnis Nupes, aus dem im jüngsten Wahlkampf die Neue Volksfront wurde, demagogisch mit dem RN auf eine Stufe gestellt und als »rechte und linke Extremisten« bezeichnet. Dabei nahm er Äußerungen von Jean-Luc Mélenchon oder anderen Politikern von La France insoumise, die mehr oder weniger antisemitischen Zungenschlag hatten, oder die Weigerung von LFI, die Hamas als Terrororganisation zu bezeichnen, zum Anlass.
Das hat die Volksfront nicht davon abgehalten, am Sonntagabend zu erklären, dass sie bei Triangulaires überall ihren Kandidaten zurückziehen wird, wenn dadurch verhindert wird, dass ein RN-Kandidat siegt. Somit kann das Regierungslager noch mit ein paar Sitzen mehr rechnen. Es bleibt abzuwarten, ob die bürgerlichen Parteien umgekehrt genauso handeln.
Doch nicht überall gibt es am 7. Juli eine Stichwahl. In einigen Wahlkreisen fiel die Entscheidung schon im ersten Durchgang, wenn ein Kandidat auf Anhieb mehr als 50 Prozent der Stimmen erzielte. So wurden Marine Le Pen, die RN-Fraktionschefin und Tochter des Parteigründers, und der sozialistische Parteivorsitzende Olivier Faure wiedergewählt, während der Nationalsekretär der Kommunistischen Partei Fabien Roussel seinen Parlamentssitz an einen rechtsradikalen Konkurrenten verlor.
Ganz offensichtlich waren sich die Wähler der besonderen Bedeutung dieser Wahl im Klaren, denn die Beteiligung lag mit 67,5 um 20 Prozentpunkte höher als bei der Parlamentswahl 2022. Nur 1981, unmittelbar nachdem François Mitterrand zum ersten sozialistischen Präsidenten Frankreichs gewählt worden war, lag die Beteiligung im ersten Wahlgang mit 70,6 Prozent noch höher. Bürger, die am Wahltag nicht an ihrem Wohnort sein konnten, mussten eine Wahlvollmacht für einen Verwandten oder Bekannten ausstellen. Davon machten mehr als zwei Millionen Menschen Gebrauch, sechsmal so viel wie bei der letzten Parlamentswahl 2022.
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