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Die Tour de France wird zum Kampf der Lädierten
Vor der in Florenz beginnenden Frankreichrundfahrt der Radprofis stehen Fragezeichen hinter allen vier Topfavoriten
Selten war der Andrang für das Gelbe Trikot der Tour de France so groß wie zu Beginn ihrer 111. Ausgabe. Der zweifache Sieger der Frankrerich-Rundfahrt, Tadej Pogačar, will nicht nur gern seinen dritten Gesamtsieg holen, sondern ihn – nach dem Gewinn des Giro d’Italia – noch mit dem Zusatz »Double« versehen. Titelverteidiger Jonas Vingegaard würde auch gern ein drittes Mal gewinnen. Doch es sieht zumindest vor dem Start an diesem Samstag in Florenz so aus, als könnte es mehr werden als der übliche Zweikampf.
Primož Roglič hat die Tour noch nie für sich entschieden. 2020 war der Slowene mal dicht dran, bevor ihn Landsmann Pogačar doch noch bezwang. In der Zwischenzeit hat sich Roglič bei Spanien- und Italienrundfahrt aber gütlich getan. Auch Belgiens 24-jähriges Talent Remco Evenepoel hat mit seinem Sieg bei der Vuelta 2022 gezeigt, dass er das Grand-Tour-Geschäft schon in jungen Jahren beherrscht. Die »Großen Vier« der »Großen Rundfahrten« treffen nun erstmals alle direkt aufeinander, was zu großem Zungenschnalzen unter Fans und Experten führte.
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Selten allerdings gingen die Topfavoriten der Frankreichrundfahrt derart angeschlagen ins Rennen. »Nicht mal auf Platz drei für Jonas würde bei uns jemand Geld setzen«, sagte etwa Vingegaards Teamkollege Tiesj Benoot. Nach dessen schwerem Sturz bei der Baskenlandrundfahrt Anfang April mit Frakturen an Schlüsselbein und mehreren Rippen sowie einer Lungenquetschung ist er zwar schwer beeindruckt vom Willen seines Kapitäns, wieder schnell zurückzukommen. Aber er sieht eben auch, dass Vingegaard noch lange nicht in der Form seines Vorjahressieges ist. Der Däne selbst sieht das ähnlich. »Für mich ist es schon ein großer Erfolg, hier am Start zu sein«, sagte er – und rekapitulierte seine Leidenszeit: »Ich lag fast zwei Wochen im Bett, was keinem Körper guttut. Die Muskulatur wurde abgebaut. Die musste ich erst zurückgewinnen. Welche Folgen die Verletzungen langfristig haben werden, kann mir niemand genau sagen.«
Einer meldete sich trotzdem zu Wort: Der vierfache Toursieger Chris Froome erinnerte sich an seine Lungenquetschung, die er bei seinem Sturz 2019 erlitten hatte: »Monatelang schmerzte jeder Atemzug.« Der Brite kam zwar zurück, erreichte aber nie wieder sein altes Leistungsniveau. Jetzt wurde er nicht mal mehr aus Gnade von seinem Team zur Tour nominiert.
Weniger hart hatte es beim Massensturz im Baskenland Roglič und Evenepoel erwischt. Aber auch der Belgier brach sich das Schlüsselbein. Kaum war er zurück – mit sichtbarem Konditionsrückstand bei der Dauphiné-Rundfahrt –, erwischte ihn kurz vor dem Tourstart noch eine Erkältung. Auch diese kostete die eine oder andere Trainingseinheit. »Einen Tagessieg und die Top 5« formulierte Evenepoel daher für seine Verhältnisse recht defensiv seine Ziele.
Roglič, Kapitän des aus den Sponsoren Red Bull und Bora neu strukturierten Rennstalls mit deutscher Lizenz, kam zwar ganz ohne Brüche aus dem Baskenland zurück. Aber auch er erlitt einen Rückschlag in der Vorbereitung auf die Tour: Dass ihm am letzten Tag der Dauphiné-Rundfahrt Matteo Jorgenson enteilte, war kein gutes Omen. Der US-Amerikaner ist beim Team Visma nun erster Ersatz, falls Vingegaards Form nicht für den Kampf um die Gesamtwertung ausreicht.
Sogar Tadej Pogačar, Überflieger der bisherigen Saison, musste bei seinem Double-Vorhaben noch ein Malheur verkraften. Kraftmeierisch gab er zwar an, sich in »der besten Form« seines Lebens zu befinden, sogar »noch besser als beim Giro«. Den gewann er mit fast zehn Minuten Vorsprung. Vor einer Woche erkrankte er jedoch an Covid und verbrachte ein paar Tage in der Isolation. Die alte Geißel Corona scheint also auch noch zurück zu sein. Wegen einer Covid-Erkrankung sagte schließlich auch Vingegaards Edelhelfer Sepp Kuss, Vuelta-Sieger 2023, seinen Start ab.
Bei all diesen Malaisen kommt der Renaissance-Autor Giovanni Boccaccio in den Sinn. Er versammelt in seinem Novellenband »Dekameron« in einem Landhaus nahe Florenz Menschen, die vor der Pest flüchten und sich die Zeit mit schaurigen Erzählungen vertreiben. Der Start der Tour findet nun ausgerechnet in Florenz statt. Noch so ein schlechtes Omen.
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