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- Berliner Innenausschuss
Eine Vertrauensperson für alle
Im Innenausschuss diskutieren die Parteien über die Bedeutsamkeit des Polizeibeauftragten
»Also, wenn Sie das langweilt, können Sie auch rausgehen«, pampt Niklas Schrader, Mitglied der Linken und Abgeordneter des Berliner Innenausschusses. »Gehen Sie nach Hause, machen Sie einen Mittagsschlaf oder so, aber verhalten Sie sich hier nicht so.« Denn mit seinem demonstrativen Gähnen zeige Kurt Wansner (CDU) »nicht gerade Respekt gegenüber Herrn Oerke und gegenüber der Diskussion, die wir über dieses wichtige Thema führen«.
Bei dem wichtigen Thema handelt es sich um die Arbeit und Baustellen des im August 2022 eingesetzten unabhängigen Bürger- und Polizeibeauftragten Alexander Oerke. Am Montagmorgen ist Oerke im Berliner Innenausschuss eingeladen, um von seiner Tätigkeit zu erzählen und auf Probleme aufmerksam zu machen. Wansner verteidigt sich indes empört gegen Schraders Vorwurf: Er habe gestöhnt, nicht gegähnt.
Oerke selbst ignoriert die Spannung unter den Parteien und listet seine Hauptanliegen auf. Zu den Problemen, die er sieht, gehört die »wahnsinnig tiefe Hierarchie« bei der Polizei, dass formelle Anfragen, die er bei der Polizei erbittet, nicht innerhalb von vier Wochen erhältlich sind. Als Grund nennt er, dass solche Berichte teilweise 15 Stellen durchlaufen und abgezeichnet werden müssen. Außerdem habe er Schwierigkeiten bei der Akteneinsicht in juristischen Einrichtungen.
»Das ist eine Sache, die habe ich auch in dieser Brutalität so noch nicht erlebt.«
Alexander Oerke
Bürger- und Polizeibeauftragter
Anders als im vergangenen Jahr habe er aber seit diesem Jahr die Möglichkeit, über Aufnahmen von Bodycams zu verfügen. Er nutzt sie für die Aufklärung von Fällen, die bei ihm eingereicht worden sind. Insgesamt prüfe er alles, was ihm geschickt werde. Das Videomaterial sei dabei ein sehr hilfreiches Tool: Oft werden ihm geschnittene Aufnahmen zugeschickt, die keine Angaben zu Ort, Datum oder Kontext der Polizeigewalt enthalten und die er deshalb nicht nachverfolgen kann. Andere Fälle, die sehr klare Situationen wiedergeben, gehen Oerke hingegen durchaus nahe: So schildert der Polizeibeauftragte einen Vorfall, bei der ein Polizist eine Frau gewaltsam auf dem Boden fixiert und sein Knie auf ihren Hals presst. Sowas habe er »in dieser Brutalität so noch nicht erlebt«. Der Polizeibeauftragte ist entschlossen, diesen Fall zur Anzeige zu bringen.
Darüber hinaus erwähnt Oerke die Fehlerkultur: Diese sei ebenfalls »ein Problem der Polizeihierarchie«, im bundesweiten Vergleich sei sie in Berlin jedoch »ganz weit vorne«. Glücklich sei er auch darüber, dass die Hauptstadt mit der Beschwerdestelle als Vorbildfunktion dient, etwa für Nordrhein-Westfalen, wo es mit Thorsten Hoffmann ebenfalls einen Polizeibeauftragten gibt.
Doch nicht alle sind begeistert von Oerkes Position. So hinterfragt Burkard Dregger von der CDU deren Existenz insgesamt kritisch: »Worin könnte überhaupt der Sinn bestehen, dass ein Polizeibeauftragter in Fällen tätig wird, in denen auch die Justiz tätig wird?« Insgesamt gebe es fast keine Verfahren gegen Beamt*innen wegen Fehlverhaltens, und es gebe ohnehin schon mehrere Bürgerbeschwerdestellen.
»Ich hoffe, ich habe mich verhört«, protestiert Vasili Franco von den Grünen infolgedessen und weist Dregger darauf hin, dass es ja auch im Innenausschuss möglich sei, Argumente auszutauschen, »ohne uns alle gleich gegenseitig zu verklagen«. Da überzogene Gewaltanwendung bei der Polizei noch immer vorkomme, sei eine unabhängige, niedrigschwellige Beschwerdestelle wichtig, damit sich Betroffene an jemanden wenden können, ohne direkt ein juristisches Verfahren einleiten zu müssen. So gebe es mehrere Fälle, in denen eine Anzeige gegen Beamt*innen zu einer Gegenanzeige führte, beispielsweise wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamt*innen. Mit Blick auf die niedrigen Zahlen fügt Franco hinzu: »Sie ignorieren auch, dass es ein Dunkelfeld gibt.«
Indes notiert sich die Polizeipräsidentin Barbara Slowik die Kritik zur Fehlerkultur. Sie findet, dass »man einen speziellen Blick auf diese Fehlerkultur werfen« müsse, da bei Fehlverhalten von Beamt*innen schnell Verdachte mit größeren Folgen entstehen könnten, »die sich unter Umständen am Ende nicht bewahrheiten«. Doch sie werde »versuchen, besser zu werden«, und dafür seien Hinweise wie jene des eingeführten Polizeibeauftragten durchaus hilfreich.
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