Erdoğan kommt, der Wolfsgruß droht

Ein Fußballspiel als Politikum: Vorm EM-Viertelfinale der Niederlande gegen die Türkei herrscht Anspannung. Merih Demiral ist gesperrt

Leidenschaftlicher Anhang: Türkische Fans in Leipzig beim Achtelfinale
Leidenschaftlicher Anhang: Türkische Fans in Leipzig beim Achtelfinale

Viertelfinale in Berlin – diesmal werden nicht die hüpfenden Hollandfans den Berlinern als die wichtigste Erinnerung bleiben, soviel steht fest. Die formidablen Oranje-Fußballer treffen zwar am Samstagabend um 21 Uhr auf die leidenschaftlichen Türkiye-Kicker, es ist die Runde der letzten Acht bei dieser Fußball-Europameisterschaft. Dem Sieger des Spiels fehlt dann nur noch ein weiterer Sieg, um das Finale am 14. Juli zu erreichen. Doch das ist zur Nebensache geworden.

Denn das Match ist ein Politikum, seit der türkische Doppeltorschütze Merih Demiral am Dienstagabend in Leipzig den Wolfsgruß zeigte, das Zeichen der rechtsextremen Grauen Wölfe. Am Freitag hat die Europäische Fußball-Union den Abwehrspieler für zwei Spiele gesperrt. Demiral habe »die allgemeinen Verhaltensgrundsätze nicht eingehalten, die grundlegenden Regeln des guten Benehmens verletzt, Sportereignisse für Kundgebungen nicht-sportlicher Art genutzt und den Fußballsport in Verruf gebracht«, begründete die Uefa ihre Entscheidung. Damit könnte Demiral frühestens im Finale wieder auflaufen, vorausgesetzt, sein Team erreicht das Endspiel.

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Der Wolfsgruß ist das Erkennungszeichen der »Bozkurtlar« (Graue Wölfe), wie sich die Anhänger der ultranationalistischen »Ülkücü«-Ideologie in Deutschalnd nennen. Die rechtsextreme Lehre vom überlegenen Türkentum wird vom Verfassungsschutz als »nationalistisch, antisemitisch und rassistisch« bewertet.

Türkische Ultra-Fangruppen riefen bereits am Donnerstag auf der Kurznachrichtenplattform X die Anhänger dazu auf, den Wolfsgruß im Olympiastadion zu zeigen, in dem auch Recep Tayyip Erdoğan zu Gast sein wird. Der türkische Präsident hat angekündigt, die Nationalmannschaft in der Berliner EM-Arena anzufeuern. Eine tausendfach präsentierte Nationalisten-Geste dürfte ihm gefallen.

Gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu fragte er rhetorisch: »Sagt jemand etwas darüber, dass auf den Trikots der Deutschen ein Adler ist? Sagt jemand etwas darüber, dass auf den Trikots der Franzosen ein Hahn ist und warum sie sich wie Hähne aufspielen?« Der Spieler habe lediglich seine Begeisterung ausdrücken wollen. Er sei froh, so Erdoğan, wenn sich die Angelegenheit mit einem Sieg am Samstag erledigt habe.

Zuvor hatte sich die Politik bereits des Themas angenommen: Am Mittwoch empörte sich das türkische Außenministerium, wieso die Uefa überhaupt gegen den Spieler Demiral ermittle. Er habe lediglich ein »historisches und kulturelles Symbol« genutzt.

Die Diplomatie wurde auch bemüht: Ankara bestellte den deutschen Botschafter ein, ehe im Gegenzug dann in Berlin der türkische Abgesandte herbeizitiert wurde. Zuvor war in Deutschland parteiübergreifend Empörung geäußert worden, unter anderem hatte Bundesinnenministerin Nancy Faser (SPD) die Geste Demirals als »inakzeptabel« kritisiert und die Uefa zum Handeln aufgefordert.

In der Türkei wähnte man sich wahlweise ungerecht behandelt oder von Neidern angefeindet. »Wer nach Rassismus und Faschismus sucht, soll sich auf die jüngsten Wahlergebnisse in verschiedenen Ländern Europas konzentrieren«, wandte Ömer Çelik, Sprecher der Regierungspartei AKP, ein.

Nach dem Bekanntwerden der Strafe für Demiral starteten türkische Fans eine Solidaritätskampagne auf X. Unter dem Hashtag #BeFairUEFA wurden Bilder von Demirals Geste hunderttausende Male repostet und mit dem Torjubel des Engländers Jude Bellingham verglichen, der mit einem obszönen Griff in den eigenen Schritt vor der Bank des Gegners Slowakei für Empörung gesorgt hatte. Wer ist hier der Böse?

Die Gemüter werden auch beim samstäglichen Public Viewing in Berlin ordentlich erhitzt sein, ob nun in der Fanzone am Brandenburger Tor oder in den Spätis von Wedding und Neukölln. 200 000 türkischstämmige Menschen leben in der deutschen Hauptstadt. Für die Polizei ist das Match das »Nonplusultra-Hochrisikospiel«, wie Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei, dem Nachrichtenportal Watson sagte. 3000 Polizisten werden im Einsatz sein.

Währenddessen versuchen die Spieler, sich auf das Match zu konzentrieren: Darum ging es ja ursprünglich mal bei diesem Aufeinandertreffen im Berliner Olympiastadion. Die Niederländer kommen mit breiter Brust und einem 3:0 gegen Rumänien im Achtelfinale. Flügelstürmer Cody Gakpo vom FC Liverpool ist mit seinen drei Treffern ein Kandidat für die Torjägerkrone. »Ich hoffe, dass die anderen auf sein Niveau kommen«, sagte Bondscoach Ronald Koeman.

Die Türken setzen weiterhin auf Emotionen und den Beinahe-Heimvorteil. »Dass wir zuhause spielen, pusht uns natürlich nochmal extra«, sagte Kapitän Hakan Çalhanoğlu, geboren in Mannheim, am Donnerstag. Die Demiral-Sperre wird ihn und sein Team zusätzlich motivieren.

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