Erstmals Gewerkschaft bei Amazon?

Angestellte des Logistik-Konzerns in Großbritannien vor historischem Entscheid

  • Peter Stäuber
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Amazon-Mitarbeiter in Großbritannien an einem Streikposten der GMB-Gewerkschaft bei einem früheren Tarifkonflikt
Ein Amazon-Mitarbeiter in Großbritannien an einem Streikposten der GMB-Gewerkschaft bei einem früheren Tarifkonflikt

An diesem Montag beginnt in Coventry eine Abstimmung, die weit über Großbritannien hinaus Signalwirkung haben könnte. Die Angestellten des riesigen Amazon-Zentrums in der englischen Stadt werden entscheiden, ob sie sich von der Gewerkschaft GMB offiziell vertreten lassen wollen. Wenn eine Mehrheit dafür stimmt (das Ergebnis wird am 15. Juli bekannt gegeben), dann wäre es ein Erfolg mit Symbolkraft: Zum ersten Mal in Europa würde der Einzelhandels-Riese – einer der größten und einflussreichsten Konzerne der Welt – gezwungen, in einem seiner Lagerhäuser eine Gewerkschaft anzuerkennen.

Seit mehr als einem Jahr streiken die Angestellten in Coventry für einen besseren Lohn, sie fordern 15 Pfund pro Stunde. An dreißig Tagen haben die GMB-Mitglieder bereits die Arbeit niedergelegt. Es waren oft große, laute Streiks, mit mehreren hundert Beteiligten – und die Gewerkschaft ist im Lauf des Arbeitsdisputs stetig gewachsen. Aber Amazon, das für seine gewerkschaftsfeindliche Haltung berüchtigt ist, weigerte sich, die GMB als offizielle Vertreterin der Belegschaft anzuerkennen.

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So wandte sich die GMB, eine der größten Gewerkschaften Großbritanniens, an das Central Arbitration Committee (CAC), die Schlichtungsbehörde. Im Frühjahr stimmte diese dem Wunsch der GMB nach einer offiziellen Abstimmung zu – sie sah offenbar Chancen, dass die Gewerkschaft das Votum gewinnen könnte. Aber obwohl die Gewerkschaft in den letzten zwölf Monaten hunderte Neumitglieder gewonnen hat, ist ein Sieg überhaupt nicht garantiert. »Es ist ein uphill battle«, sagt Amanda Gearing, die führende GMB-Organiserin in Coventry, im Telefoninterview – ein schwerer Kampf. Amazon tue alles, um die Angestellten zu einem Nein-Votum zu überreden, und das Unternehmen habe einen großen Vorteil gegenüber der GMB.

Ende Juni begann der Abstimmungsprozess. Zuerst gab es eine zweiwöchige Periode, in der sowohl die Amazon-Leitung wie auch die Gewerkschaft sich mit allen Beschäftigten zusammensetzten und ihnen ihre jeweiligen Argumente vorbrachten. Aber während die GMB jede und jeden Angestellten nur einmal für 45 Minuten traf, hatte das Management laut Gearing mindestens fünf Treffen.

»Vieles von dem, was Amazon den Angestellten gesagt hat, ist sehr irreführend«, sagt Gearing. »Das Management behauptet zum Beispiel, dass die Gewerkschaft eine Lohnerhöhung blockieren könnte, und dass Lohnverhandlungen zwei Jahre dauern.« Das sei natürlich Unsinn – aber das den Angestellten zu erklären, brauche Zeit. »Amazon hat diese Lügen endlos wiederholt, und sie setzen sich in den Köpfen der Leute fest.«

Auch behilft sich Amazon anderer Mittel, um die Arbeit der GMB zu sabotieren. Um den Anteil der Gewerkschaftsmitglieder zu senken, habe das Unternehmen in den vergangenen Wochen mehrere hundert neue Angestellte rekrutiert. Diese Methode war schon einmal erfolgreich. Im vergangenen Sommer hatte die Gewerkschaft erstmals einen Antrag auf Anerkennung gestellt, als laut ihrer Zählung deutlich mehr als die Hälfte der Belegschaft zur GMB gehörten. Aber dann begann Amazon schnell, neue Leute einzustellen – so konnte sie den Anteil der Gewerkschaftsmitglieder unter die 50-Prozent-Marke zu drücken, die Gewerkschaft war gezwungen, den Antrag auf Anerkennung zurückzunehmen.

»Es könnte sein, dass sie dies erneut versucht«, sagt Gearing. Zu Beginn des Abstimmungsprozesses waren im Lagerhaus in Coventry etwas mehr als 3000 Leute beschäftigt. Möglich, dass es seither mehr geworden sind. Um die Abstimmung zu gewinnen, müssen mindestens 40 Prozent aller Angestellten für die Anerkennung stimmen. Die Abstimmung dauert vom 8. Juli zum 13. Juli, am darauf folgenden Montag wird das Ergebnis bekannt gegeben. Wenn es ein Ja wird, wäre das monumental. »Es würde alles verändern«, sagt Gearing. Es geht nicht nur um Lohnverhandlungen, die durch eine Gewerkschaftsvertretung einfacher würde. Die Angestellten könnten auch ihre eigenen Gewerkschaftsvertreter wählen, die für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz verantwortlich sind. »Diese hätten die gesetzliche Befugnis, den Arbeitsplatz unter die Lupe zu nehmen und höhere Sicherheitsstandards einzufordern«, sagt Gearing.

»Sie könnten beispielsweise überprüfen, ob die Leute überhaupt die vom Algorithmus vorgegebene Arbeitsleistung erbringen können, ohne sich selbst körperlichen Schaden zuzufügen.« Dass Amazon diesen Test besteht, sei unwahrscheinlich: »Fast alle, die dort länger als zwei Jahre lang arbeiten, haben irgendwelche körperliche Beschwerden.« Gearing glaubt, dass dies der wirkliche Grund ist, weshalb das Unternehmen so verbissen gegen die Gewerkschaft vorgeht. Gearing ist vorsichtig optimistisch, was ihre Erfolgsaussichten angeht. »Ich denke, dass die Leute hier bereit sind für einen Wandel.«

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