Erneuerbare kommen noch mehr unter Marktdruck

Irreführende Jubelrufe: Die Bundesregierung macht es den Anbietern nichtfossiler Energien unnötig schwer

Biogaskraftwerke wie dieses in der Uckermark könnten dank Ampel bald zum Auslaufmodell werden.
Biogaskraftwerke wie dieses in der Uckermark könnten dank Ampel bald zum Auslaufmodell werden.

Ein Wechselbad der Gefühle erlebte die Erneuerbaren-Branche letzte Woche. Am Montag die gute Nachricht: Etwa 60 Prozent des Stromverbrauchs stammten in den ersten sechs Monaten des Jahres aus erneuerbarer Erzeugung – so viel wie nie zuvor in einem Halbjahr. Über den dunkelgrünen Strom im Netz freute sich auch Wirtschaftsminister Robert Habeck. Die Solarenergie gehe »durch die Decke«, auch habe man den Ausbau der Windkraft an Land auf Kurs gebracht, dort würden dieses Jahr 10 000 Megawatt genehmigt, so der grüne Minister beim Branchentreff des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE).

Die Erneuerbaren müssten nun verstärkt bei den Bürgern ankommen, fuhr Habeck fort und verwies vor allem auf smarte Stromtarife. Die Anwesenden hätten viel lieber von »ihrem« Minister gehört, wie er das wachsende Problem zu lösen gedenke, dass die Erneuerbaren den Strompreis inzwischen so in den Keller schicken, dass sie selbst unter Druck geraten.

Die leidige Entwicklung beklagte BEE-Präsidentin Simone Peter auf der Veranstaltung: Der hohe Anteil der erneuerbaren Energien senke zwar die Strompreise an der Börse, gleichzeitig aber auch deren Marktwert, sagte sie. Ein Warnsignal ist die steigende Zahl von Stunden, in denen der Strompreis an der Börse unter null rutscht und es sogenannte negative Strompreise gibt. Allein im April war das in 50 Stunden der Fall. Das gefährde letztlich die betriebswirtschaftliche Grundlage der Erneuerbaren, betonte Peter. Damit wird fraglich, ob die Windkraftprojektierer die genehmigten 10 000 Megawatt auch wirklich bauen.

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Ein weiterer bitterer Tropfen für die BEE-Chefin ist, dass der Anteil der Bioenergie an der positiven Bilanz abnimmt. Auch das ist kein gutes Zeichen, denn Bioenergie ist steuerbar. Sie könnte in den Zeiten einspringen, wenn nicht genügend Wind- oder Solarstrom verfügbar ist, um den Bedarf zu decken. Allerdings gibt es für den Weiterbetrieb der Biogas-Anlagen derzeit keine Perspektive und der Neubau steht nahezu bei null, stellte Biogas-Verbandschef Horst Seide Ende Juni fest.

Bei der jüngsten Ausschreibung erhielten gar nur Neuanlagen im Umfang von neun Megawatt einen Zuschlag. Das Vierfache davon legt die Photovoltaik in Deutschland an installierter Leistung zu – täglich. So kann die Biogaswirtschaft kein »Partner« von Wind und Sonne werden. Dazu seien jährliche Ausschreibungsmengen von bis zu 1800 Megawatt sowie aufgerüstete Anlagen nötig, fordert die Branche.

So könnte die bundesweite Biogas-Leistung bis 2030 auf gut 12 000 Megawatt erhöht und damit fast verdoppelt werden. Die Anlagen sollen zugleich deutlich kürzer als heute laufen, vor allem morgens und abends ein paar Stunden, wenn der Strombedarf besonders hoch ist und die Photovoltaik schwächelt. Das würde den Bedarf an Biomasse begrenzen, auch liefen die Anlagen dann zu Zeiten, wenn der Strompreis hoch ist. Klar ist damit: Die Erneuerbaren bieten alles, was ein sicheres Energiesystem benötigt.

Der Freitag brachte mit der Haushalts-Einigung jedoch neue Leiden für die Erneuerbaren. So soll ab Anfang 2025 für Neuanlagen bei negativen Strompreisen die EEG-Vergütung ausgesetzt werden. Ebenfalls ab Januar soll die Schwelle, ab der Erneuerbare ihren Strom selbst vermarkten müssen, schrittweise auf 25 Kilowatt sinken. So viel bietet schon ein 110-Quadratmeter-Dach. Ein Gewerbebetrieb mit Photovoltaik soll sich künftig also mit der Strombörse herumschlagen.

Auch in der Kraftwerksstrategie bleiben die Erneuerbaren außen vor. Laut der vom Finanzministerium veröffentlichten Fassung der »Wachstumsinitiative« sollen Gaskraftwerke von insgesamt 10 000 Megawatt schnell ausgeschrieben werden. Nur die Hälfte davon soll wasserstofffähig sein. Die Ampel will demnach 5000 Megawatt fossile Erdgaskraftwerke neu bauen, die dann bis 2045 laufen können.

Auch befürchtet die Erneuerbaren-Branche zu Recht, dass die Pflicht zur Eigenvermarktung ab 25 Kilowatt die Photovoltaik ausbremst. Besonders ärgerlich ist, dass die zuverlässige EEG-Förderung langfristig auf Investitionszuschüsse umgestellt werden soll. Vorläufiges Fazit des Wechselbads: Statt konsequent auf grüne Energie zu setzen und das System zu flexibilisieren, hält die Ampel am fossilen »Backup« fest und erhöht den Marktdruck auf die Erneuerbaren.

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