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Zur Not doch am Klima basteln?

Die Physikerin Annette Schlemm über Probleme bei der technischen Beeinflussung des Klimas

  • Judith Dellheim
  • Lesedauer: 3 Min.
Wiederaufforstung ist auch in Deutschland ein Knochenjob, hier bei einer Baumpflanzaktion im Harz.
Wiederaufforstung ist auch in Deutschland ein Knochenjob, hier bei einer Baumpflanzaktion im Harz.

Am 29. Mai 2024 machte das Bundeskabinett den Weg frei für CCS – Carbon Dioxide Capture and Storage beziehungsweise die Trennung und unterirdische Speicherung von klimaschädlichem Kohlendioxid, das bei der industriellen Verbrennung von Öl, Gas und Kohle entsteht. Es begründete die Entscheidung mit den Klimazielen. Vor dem Gesetzesprojekt hatte ein breites Bündnis von Umweltverbänden und sozialen Bewegungen gewarnt. Die Aktiven sehen darin einen ökologisch und geologisch riskanten Versuch, die Lebensdauer von klimazerstörerischen Technologien zu verlängern.

Die Rede ist von »Climate Engineering«. Dieses soll das Klimasystem so verändern, dass die Folgen der globalen Erwärmung gemildert werden. Angesichts deren dramatischen Niveaus und des Tempos, in dem sie fortschreitet, sieht Annette Schlemm »die Gefahr, dass wir mittlerweile so sehr mit dem Rücken zur Wand stehen, dass uns kaum etwas anderes übrig zu bleiben scheint. Aber auch dann sollten wir wissen, worum es geht und darum kämpfen, mitreden und mitentscheiden zu können. Dazu braucht es Wissen«, so die Physikerin und Philosophin Schlemm. Dafür engagiert sie sich jetzt mit einem Buch zum Thema, das »Climate Engineering« übertitelt ist.

Die flüssig verfassten Darlegungen befördern auf populäre Weise Einsichten in naturwissenschaftlich-technische Zusammenhänge und gesellschaftliche Kontexte. Die 1151 Anmerkungen unterstreichen die enorme Quellenkenntnis der Autorin. Weniger ausgeprägt ist ihre Kenntnis »der Klimabewegung«, die eben nicht in Gänze den Beginn der Climate-Engineering-Debatte verschlafen hat. Auch das Ergebnis eines bündnispolitisch problematischen Volksentscheids 2023 zu einer unerreichbaren Berliner Klimaneutralität 2030 ist widersprüchlicher, als Schlemm meint.

Das soll nicht die Anerkennung für das kompakt und gut aufbereitete »Grundwissen für Klimaklempner und ihre Kritiker*innen« mindern. Hier tritt die Physikerin Schlemm in Aktion, die als Philosophin die verschiedenen Methoden von Climate Engineering danach zu bewerten versteht, ob sie in die Ursache der Erderhitzung eingreifen und inwiefern ihre Wirkungen und Nebenwirkungen tatsächlich kalkulier- und steuerbar sind. Sie weiß um die Spezifik physikalisch-chemischer Zusammenhänge und die Grenzen mathematischer Modellierung. Schlemm schlussfolgert, dass nur lokale Maßnahmen mit ebenfalls lokalen Auswirkungen (etwa die Aufhellung von Gebäudefassaden mit ökologisch unbedenklicher Farbe) verantwortbare Aktivitäten von Strahlungsmanipulation sein können. Über die technischen CDR-Maßnahmen, die CO2 aus der Atmosphäre entfernen und speichern sollen, resümiert Schlemm: Sie zielen nicht darauf, klimaschädliche Emissionen zu vermeiden, verstärken die Überlastung der Ökosysteme und können den Klimawandel nicht umkehren. Hinzu kommt, dass solche Maßnahmen die Konkurrenz um Land, Wasser und die Ozeane verstärken.

Angesichts der Klimaprobleme plädiert Schlemm für solche Climate-Engineering-Technologien, die Überschneidungen mit dem natürlichen Klimaschutz und der Anpassung an den Klimawandel aufweisen: (Wieder-)Aufforstung, Bodenverbesserung und beschleunigte Verwitterung. Das gilt auch für CCS, solange sie nicht in »geologische Reservoirs eingreift«. Schlemm unterstützt naturnahe Techniken, durch die menschliche und natürliche Systeme gegenüber dem Klimawandel weniger verletzlich werden. Ihr Kriterium ist die Steigerung der Wirkmöglichkeiten natürlicher Senken bei Wahrung der Selbstbestimmungsrechte der dort Lebenden.

Selbstverständlich weiß Annette Schlemm, dass ein solches Herangehen nur durch ein Bündnis mit den Ausgebeuteten, Fremdbestimmten und Unterdrückten erwirkt werden kann, die sich von sozialer und ökologischer Zerstörung befreien. Für entsprechende Strategien gibt ihr Buch wenig tragfähige Hinweise. Für solche wäre mehr Reflexion der Zusammenhänge zwischen den Stoffwechselprozessen der Menschen mit der Natur, der Entwicklung der Produktions- und Reproduktionsstrukturen und der Entfaltung von Herrschafts- und Kapitalverhältnissen erforderlich.

Annette Schlemm: Climate Engineering. Wie wir uns technisch zu Tode siegen, statt die Gesellschaft zu revolutionieren. mandelbaum kritik&utopie, Wien 2023. 322 S., 20 €.

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