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Judenhass im Gästebuch

Fachstelle dokumentiert 377 antisemitische Vorfälle in Brandenburg

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine schöne neue Synagoge in Potsdam und ein hässlicher Antisemitismus in Brandenburg
Eine schöne neue Synagoge in Potsdam und ein hässlicher Antisemitismus in Brandenburg

Die Zahl antisemitischer Vorfälle hat im Land Brandenburg deutlich zugenommen. Doch geht das zum Teil auf ein verändertes Erfassungs- und Meldesystem zurück. Darauf machte die Fachstelle Antisemitismus der brandenburgischen Staatskanzlei aufmerksam, als sie am Mittwoch ihren Jahresbericht 2023 vorstellte.

Von einer paradoxen Lage sprach Dervis Hizarci von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus: Zum einen würden die Institutionen gegen Antisemitismus im Bundesland zahlreicher und engmaschiger, zum anderen trete aber der Judenhass immer offener zutage.

Staatssekretärin Friederike Haase sprach davon, dass »unsere demokratischen Strukturen von rechts und von links unter Druck geraten, aber auch durch radikalisierten Islamismus«. Die Eröffnung des Synagogenzentrums in der Potsdamer Innenstadt am 4. Juli sei ein Erfolg auf dem Weg zum wünschenswerten Miteinander. Doch sei es unumgänglich gewesen, Sicherheitsaspekte zu beachten. »Wie sicher sind das Haus und die Menschen darin? Wer hat Zugang? Wie kann das Zentrum dennoch offen sein im Sinne der jüdischen Gemeinden?« Man dürfe solche offenen Bekenntnisse nicht scheuen, schon gar nicht aus der Angst heraus, damit antisemitische Straftaten zu provozieren. »Wenn wir das täten, dann hätten wir schon verloren«, sagte Haase.

377 antisemitische Vorfälle hat die Fachstelle im vergangenen Jahr dokumentiert. Das sind 173 mehr als im Jahr zuvor. 133 Vorfälle sind rechten Tätern zuzuordnen, sieben linken Tätern. 212 Taten waren nicht parteipolitisch zu verorten. Laut Hizarci ist Antisemitismus »in jeder erdenklichen Form« in Erscheinung getreten. Keine Region in Brandenburg sei davon ausgenommen gewesen. »Es ist, wie wir befürchtet haben.« Er dankte der Landesregierung für ihre »kluge Strategie«, mit der in den vergangenen Jahren die vorbeugenden Strukturen ergänzt und verstärkt worden seien.

»Unsere demokratischen Strukturen geraten von rechts und von links unter Druck, aber auch durch radikalisierten Islamismus.«

Friederike Haase Staatssekretärin

Der Kampf gegen Antisemitismus ist in die Landesverfassung aufgenommen worden. Inzwischen ist mit dem vorherigen Landtagsabgeordneten Andreas Büttner (Linke) ein Landesbeauftragter berufen worden, der den Antisemitismus bekämpfen soll. Hizarci sagte am Mittwoch: »Ich fürchte, all das reicht nicht aus.« Die gestiegenen Fallzahlen müsse man jedoch auch unter dem Blickwinkel sehen, dass die mit der Dokumentation beauftragten Stellen inzwischen bekannt seien und stärker angesprochen werden als früher. Allerdings habe seit dem 7. Oktober 2023, seit dem Überfall der palästinensischen Hamas auf Israel, die Gefahr sprunghaft zugenommen – ganz unmittelbar und messbar. Nicht zuletzt Hochschulen seien Schauplatz antisemitischer Bestrebungen.

In drei extremen Fällen, die in die Statistik eingingen, hatte es gewalttätige Angriffe gegen Juden oder gegen vermeintliche Juden gegeben. In Ortrand in der Niederlausitz wurde ein Mensch mit einem Baseballschläger attackiert und als »Judensau« beschimpft. Ermittelt wurden die Schändung jüdischer Gräber und auch Antisemitismus innerhalb von Familien. Sogenannte Hotspots für antisemitische Vorfälle sind die KZ-Gedenkstätten Sachsenhausen und Ravensbrück, wobei es sich laut Fachstellenleiter Joachim Seinfeld weniger um Beschädigungen und Beschmieren handelte, sondern in erster Linie um einschlägige Einträge im Gästebuch.

Im Jahresbericht wird das Internet als Haupttatort bezeichnet. Geradezu unverhohlen spreize sich dort der Antisemitismus. Die Täter scheuten sich immer weniger, dabei mit ihrem Klarnamen aufzutreten. In Europa und Deutschland sei die »klassische Form« des Antisemitismus zurückgekehrt, die jahrhundertelang gewütet habe. Der Glaube, dies gehöre nach den Erfahrungen mit dem Hitlerfaschismus der Vergangenheit an, müsse begraben werden.

Neben eigenen Recherchen der Fachstelle stützt sich der Jahresbericht auf Mitteilungen des Landeskriminalamts und der jüdischen Gemeinden sowie auf andere Quellen.

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