Geschütze gegen das Gelaber

»Zum Leben reicht ein Eimer Marmelade«: Kai Pohl hat keine Angst vorm Reimschema, ohne sich formalistisch zu geißeln

  • Vincent Sauer
  • Lesedauer: 3 Min.
»Heute mache ich einen Ausflug/ ohne Stahlhelm & Werte-Weste/ an die Grenze der Strafbarkeit«, schreibt Kai Pohl. Kommen Sie doch mit!
»Heute mache ich einen Ausflug/ ohne Stahlhelm & Werte-Weste/ an die Grenze der Strafbarkeit«, schreibt Kai Pohl. Kommen Sie doch mit!

Diese Gedichte sind nichts für Baumkuschler und Blumenschnupperer. Wer gern dem Tee beim Ziehen zusieht, um eins zu sein mit der Kamillegeschmackwerdung der äußeren Zeit, seine innere philosophische Einkehr dann in Worten festgehalten lesen will, wird mit dieser Lyrik vermutlich auch nicht glücklich. Duden-Gräber, für die sich der gute bis sehr gute Text auszeichnet durch entlegenes, mit vom Blättern blutigen Fingern gefundenes Vokabular, das niemand verwendet oder versteht, können sich den Zehner, den dieser Band kostet, auch sparen. Alle anderen sind gut beraten, Kai Pohls »Die Sache mit dem Spatz. 10 Gedichte & kein Haiku« zu erstehen und zu lesen.

Worum geht’s? Mensch, Politik, Gesellschaft, Unterdrückung, Widerstand, gegen den Krieg. Das ist, zugegeben, abstrakt formuliert; aber welthaltig zu schreiben, ist in der deutschen Dichtung auch in Jahren der Zeitenwende, Militarisierung, Verarmung, Umweltzerstörung und des Rechtsrucks alles andere als selbstverständlich. Prämiert von Akademie und Sparkassen-Fonds werden in der Regel brave Füllfederhalter der Macht, die sich in ihr Gefühlsleben oder den deutschen Wald verkriechen.

Kai Pohl gehört nicht zu diesen Leuten. Er ist im besten Sinne engagiert, eine treibende Kraft der literarischen Gegenöffentlichkeit. Pohl redigiert seit vielen Jahren die Zeitschrift »Abwärts« im Ostberliner Verlag Basisdruck, veröffentlicht auch Texte in allerlei Formaten, die keine ISBN brauchen, sondern an echten Orten mit richtigen Menschen ausliegen und verkauft werden, schreibt unermüdlich Gedichte auch ohne staatliches Schulterklopfen.

Doch wer jetzt aggressive Alt-Punk-Plattitüden befürchtet, liegt ganz falsch. Kai Pohl hat keine Angst vorm Reimschema, ohne sich formalistisch zu geißeln. Es gibt Zitate aus Zeitung, Musik und Literatur; Fremdmaterial unterschiedlicher Art wird klug arrangiert, nicht einfach ausgestellt. Montage, Collage, Cut-ups, moderne Mittel eben, sind am Werk. Mit Doppeldeutigkeiten, Gleichklang, Kalauern, die auf den zweiten Blick keine sind, wird gearbeitet. Pohl konstruiert Anagramme, macht Wortspiele – nichts Statisches, Monolithisches haben die Texte, sondern sie sind kleine Geschütze gegen das Gelaber des auf stumm gestellten Alltags: »Dem Einfallsreichtum ist kein Ziel gesetzt./ Die Jugend switcht an Elektrons Gestade/ und Alt-Europa hat sich dummgeschwätzt. / Zum Leben reicht ein Eimer Marmelade.« So steht’s im Gedicht »Screenshot«.

In dem neuen Büchlein aus dem verdienstvollen sachsen-anhaltischen Verlag Moloko Print finden sich unter anderem eine »Rhapsodie in Rapshonig«, ein Langgedicht namens »Bluthendl am Bachufer« und »Brot & Spiele. Ein Subtropenlied«. Gegen seelische und materielle Verarmung, Gentrifizierung, also Sterilisierung der Städte, und Kriegstreiberei richten sich die Verse. Außerdem beinhaltet der Band eine Collage des Künstlers Joerg Broksch: Gesellschaftskritik darf nicht hässlich sein. Der Band schließt mit »Kein Haiku«, das da lautet: »Das einzige/ was hier passiert ist/ sind die Tomaten.«

Defätistisch ist der Ton der Texte aber ganz und gar nicht. Heiter anarchisch geht man mit der »Kompanie Lolita« auf eine Plündertour über mehrere Seiten; in dem sehr exakt betitelten »Politisches Gedicht, 19. Okt. 23, BRD« heißt es: »Heute mache ich einen Ausflug/ ohne Stahlhelm & Werte-Weste/ an die Grenze der Strafbarkeit.« Es lohnt sich, bei diesem Ausflug dabei zu sein, denn dermaßen lebendige, lustige Gedichte, die nicht mitmachen wollen in der selbstzerstörerischen Grinse-Gesellschaft, findet man selten.

Kai Pohl: Die Sache mit dem Spatz. 10 Gedichte & kein Haiku. Mit einer Collage von Joerg Broksch. Moloko Print, 36 S., br., 10 €.

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