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»Konsequent ausweisen, wenn wir ausweisen können«
Anwälte beklagen Willkür beim Entzug der Aufenthaltstitel von Ausländern
Für Menschen ohne deutschen Pass und einem Aufenthaltstitel in Deutschland können Ermittlungen der Polizei massive Auswirkungen auf Verfahren bei den Ausländerbehörden haben. Das gilt auch dann, wenn am Ende keine Strafen verhängt werden. Betroffen davon sind nach Beginn des Gaza-Krieges im Oktober vergangenen Jahres besonders viele Teilnehmende pro-palästinensischer Proteste, die anfangs in vielen Städten über mehrere Wochen verboten waren.
Trotzdem gab es Kundgebungen und Demonstrationen, auf die Behörden mit einer ungewöhnlich hohen Anzahl von Festnahmen reagierten. In Berlin resultierten daraus allein nach einer Versammlung von Hunderten Menschen am Potsdamer Platz etwa am 15. Oktober 144 Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren. Anschließend hatte ein AfD-Abgeordneter die Berliner Innensenatorin Iris Spranger im Innenausschuss gefragt, wie diese mit den Demonstranten verfahren will. »Wir werden konsequent ausweisen, wenn wir ausweisen können«, war die Antwort der SPD-Politikerin.
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Viele der nach pro-palästinensischen Protesten angestrengten Verfahren beziehen sich auf Darstellungen der Worte »From the river to the sea«. Die seit den Sechzigerjahren in Palästina verwendete Parole hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Anfang November in einem Erlass der Hamas zugeordnet und verboten. Allerdings wird sie von vielen Verwaltungsgerichten und inzwischen auch höheren Instanzen als nicht grundsätzlich strafbar gewertet. Trotzdem erhalten die Betroffenen zunächst eine Anzeige.
»Die Leute werden teilweise mit Strafverfahren überzogen, wo man denkt, das ist völlig unnötig«, sagt der Berliner Rechtsanwalt Yaşar Ohle, der einen Mann mit israelischer Staatsangehörigkeit vertritt, der einen Sticker »From the river to the sea« getragen hat. Das führt dazu, dass sich Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit und besonders jene mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nicht mehr politisch engagieren. »Es gibt viele, die sagen: Ich hätte gerne etwas organisiert oder eine Kampagne geteilt, aber ich habe es nicht getan, weil ich möchte, dass mein Aufenthaltstitel verlängert wird, oder ich möchte nächstes Jahr die Staatsbürgerschaft erhalten«, sagt Ohle dem »nd«.
Bei dem Protest am 15. Oktober am Potsdamer Platz wurde auch ein aus dem Libanon kommender 20-jähriger Palästinenser mit einstweiligem Abschiebeschutz festgenommen. Er wird ebenfalls von Ohle vertreten. Die Polizisten gaben dazu widersprüchliche Zeugenaussagen ab. So hätten einige gesehen, wie der junge Mann einen Beamten getreten habe – das Opfer konnte aber nicht gefunden werden. Trotzdem schickte die Abteilung für »Islamistischer Extremismus/ Terrorismus« des Berliner Landeskriminalamtes die Ermittlungsakte an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und fragte: »Sind aufenthaltsbeendende Maßnahmen möglich?« Dem Schreiben war eine Strafanzeige wegen des Trittes beigelegt, die dem Betroffenen seinem Anwalt zufolge bis dahin noch nicht zugestellt worden war.
Das BAMF schickte diese Anzeige zusammen mit einem Antrag, den bereits erteilten einstweiligen Abschiebeschutz für den Mann wieder aufzuheben, an das für seinen Wohnort zuständige Verwaltungsgericht in Sachsen-Anhalt. Darin wird auch gefordert, ihn auszuweisen. Das Gericht kam dem nach und entzog dem Betroffenen die Aufenthaltserlaubnis. In einem Schreiben an ihn hieß es, er könne mit einer finanziellen Rückkehrhilfe über 2200 Euro in den Libanon ausreisen. »Deshalb wäre jetzt theoretisch eine Abschiebung möglich«, sagt Ohle.
Tatsächlich ist das BAMF gesetzlich verpflichtet, den Status einer Person zu überprüfen, wenn es von der Polizei oder der Ausländerbehörde darum gebeten wird. Ein solches Ersuchen kann allein wegen eines Verdachts durch einen ermittelnden Polizeibeamten erfolgen – allerdings führt dies längst nicht allen Fällen zu einem Widerrufungserfahren, das dann auch mit einer Abschiebungsandrohung einhergeht.
Beginnt die Ausländerbehörde ein Verfahren zur Überprüfung des Aufenthaltstitels, erhalten die Betroffenen eine sogenannte Fiktionsbescheinigung. Damit können sie zwar bei einer Polizeikontrolle in Deutschland nachweisen, dass die Behörde derzeit einen Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis bearbeitet. Mit dieser Bescheinigung ist es aber schwer, eine Arbeit zu finden, zu reisen oder behördliche Dienste in Anspruch zu nehmen.
Alexander Gorski, ebenfalls Rechtsanwalt in Berlin, vertritt weitere Mandanten, die nach ihrer Festnahme bei pro-palästinensischen Protesten vom BAMF zur Ausreise aufgefordert wurden. Oft heißt es laut Gorski in Bescheiden, dass die Betroffenen in das »Drittland« zurückkehren könnten, in dem sie vor ihrer Ankunft in Deutschland gelebt hatten. Außer dem Libanon, von wo viele palästinensische Flüchtlinge stammen, sind dies auch die Türkei, Jordanien oder die Vereinigten Emirate, berichtet der Anwalt.
Gorski sagt, viele Bescheide vom BAMF enthielten zudem die Behauptung, die Betroffenen hätten »die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen« verletzt, deshalb werde ihr Schutzstatus widerrufen. Gemeint ist, dass laut der Genfer Flüchtlingskonvention Personen, die selbst Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, ihren Schutzanspruch verlieren.
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA wird dies in Deutschland auch auf Menschen bezogen, die den »internationalen Terrorismus« unterstützen. Jedoch reicht es für eine Versagung eines Schutzanspruchs eigentlich nicht, wenn die Betroffenen Mitglied einer terroristischen Gruppe sind. Sondern der Person muss ein gewichtiger individueller Beitrag zu terroristischen Handlungen nachgewiesen werden.
Trotzdem wird auch der Vorwurf, Mitglied von Samidoun zu sein, in den Schreiben des BAMF als Grund für den Widerruf des Aufenthaltstitels genannt. Den deutschen Ableger dieses internationalen Netzwerks, das palästinensische Gefangene unterstützt, hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im November als »terroristisch« verboten. Anlass war, dass am Mittag des 7. Oktober ein Dutzend Anhänger von Samidoun einen Teller mit Süßigkeiten auf der Sonnenallee in Berlin-Neukölln verteilten, um auf diese Weise die Angriffe der Hamas auf Israel zu feiern.
In diesem Sinne verhandelte etwa im Juni das Verwaltungsgericht Berlin-Moabit über einen Antrag des BAMF aus dem Jahr 2022, den subsidiären Schutz für einen 1994 geborenen Palästinenser zu widerrufen, unter anderem weil dieser auf Instagram gegen »die Grundsätze der Vereinten Nationen« verstoßen habe. Der Mann hatte zu diesem Zeitpunkt 50 000 Follower.
»Es war überraschend zu sehen, wie wenig Beweise das BAMF für seine Behauptungen hatte«, sagte eine dem »nd« bekannte Jura-Studentin, die als Mitglied einer Solidaritätsgruppe den Prozess beobachtete. So habe die Behörde den als Samidoun-Mitglied bezeichnet und dazu ein Foto des Mannes bei einer Demonstration gegen Enteignungen in Ost-Jerusalem aus dem Jahr 2021 präsentiert. Darauf ist der Kläger mit einem Plakat zu sehen, auf dem »Für Berlin bis Sheikh Jarrah, wir sind für euch da« und darunter »Samidoun« gedruckt war. Die Richterin überzeugte das nicht, der Mann gewann seine Klage gegen den Entzug der Aufenthaltserlaubnis.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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