Mangelnder Schutz von Frauen: Untätigkeit bei Rekordgewalt

Haushaltsmittel zum Kampf gegen höchste Zahl an Partnerschaftsgewalt seit zehn Jahren bleiben ungenutzt

  • Moritz Lang
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine Frau sitzt auf einem Bett in einem Frauenhaus. Diese Einrichtungen will der Senat prioritär ausbauen.
Eine Frau sitzt auf einem Bett in einem Frauenhaus. Diese Einrichtungen will der Senat prioritär ausbauen.

18 784 Opfer von »Delikten mit Gewaltcharakter in Partnerschaften und Familie« gab es laut Polizei 2023 allein in Berlin. Wiebke Wildvang, eine Rechtsanwältin von der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen, ist auf der Pressekonferenz der Grünen im Abgeordnetenhaus am Donnerstag alarmiert: »Das sind laut Polizeistatistik die höchsten Zahlen seit zehn Jahren.« Vasili Franco, innenpolitischer Sprecher der Grünen, fügt hinzu, dass bei der Gewalt gegen Frauen zusätzlich von einer Dunkelziffer auszugehen sei, wonach 80 bis 90 Prozent der Fälle nicht erfasst werden.

Der Status quo ist für die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Bahar Haghanipour, ein trauriger Anlass, um neue Forderungen für den besseren Schutz von Frauen vor Gewalt und Femiziden vorzustellen. Nach der Sommerpause wolle man einen Gesetzentwurf vorlegen, um der Umsetzung der Istanbul-Konvention näherzukommen. Mit der Unterzeichnung hat sich die Bundesrepublik verpflichtet, Frauen vor Gewalt in der Partnerschaft zu schützen.

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Bereits im Herbst hat der schwarz-rote Senat einen Landesaktionsplan zur Umsetzung der Konvention beschlossen. »Er ist nicht hinterlegt mit einem konkreten Zeitplan«, kritisiert Haghanipour. Die einzige Aussage, die sie vom Senat bekommen habe, sei, dass Schutzunterkünfte wie Frauenhäuser Priorität hätten.

Das hat nicht nur Auswirkungen auf den Schutz von Frauen, sondern auch auf die Möglichkeit, diesen in Zukunft mit ausreichend finanziellen Mitteln auszustatten: Haghanipour freut sich darüber, dass die Mittel für Gewaltschutz im Bereich des Gleichstellungshaushalts auf acht Millionen Euro 2024 und 13 Millionen im kommenden Jahr angestiegen sei. Doch dieses Jahr würde den Kürzungsvorgaben 1,7 Millionen Euro zum Opfer fallen, »mit der Begründung aus dem Senat, die zusätzlichen Maßnahmen konnten noch nicht starten«, so Haghanipour. Der Aktionsplan müsse nun mit einem konkreten Zeitplan hinterlegt werden, »um diesen Aufwuchs dann auch tatsächlich auszugeben«.

Zusätzlich verringern sich die Haushaltsmittel, weil im Zensus festgestellt wurde, dass die Einwohnerzahl Berlins niedriger liegt als angenommen. »Das ist kein Haushalt, den wir beschlossen haben, weil wir gar nicht wissen, welches Geld ausgegeben wird und welches nicht«, sagt Haghanipour. »Die sozialen Träger arbeiten alle mit Vorschussbescheinigungen, die sich am letzten Jahr orientieren«, fügt ihr Kollege Franco hinzu.

Wiebke Wildvang macht darauf aufmerksam, dass für Gewaltprävention und Schutz von Frauen nicht nur der Gleichstellungshaushalt aufkommen solle. Besonders die Arbeit mit den Tätern solle auch von den Bereichen Justiz, Inneres oder Soziales finanziert werden: »Denn Täterarbeit ist auch Opferschutz.«

In der Justiz müsse sich auch auf anderen Ebenen noch etwas tun: Ein Großteil der eingeleiteten Ermittlungsverfahren bei Staats- und Amtsanwaltschaft werde eingestellt, sagt Wildvang. Hier müsse man sich als Gesellschaft die Frage stellen: »Welches Signal senden wir in Richtung Täter aus, die bereit sind, ihre Frauen zu schlagen?« Solange man keine weiteren Zeugen habe, sei strafrechtlich nichts zu befürchten, so Wildvang. Auf die Frage, ob der Femizid als spezifischer Straftatbestand aufgenommen werden sollte, antwortet Wildvang, dass man eigentlich bereits das rechtliche Handwerkzeug habe, diesen als Mord zu klassifizieren und entsprechend zu bestrafen. »Denjenigen die dort Recht sprechen, fehlt es an den Kenntnissen zu diesem Phänomen«, so Wildvang.

Rechtliches Nachbessern fordern nun auch die Grünen: Die Wegweisungsdauer soll von zwei auf vier Wochen hochgesetzt werden. Diese polizeiliche Maßnahme ermöglicht es, den Täter aus der gemeinsamen Wohnung zu verweisen – zwei Wochen würden jedoch für die Opfer nicht ausreichen, um sich in der psychischen Ausnahmesituation zu stabilisieren.

Auch das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz Berlins (ASOG) solle um Maßnahmen ergänzt werden, die ein angemessenes Kontakt- und Näherungsverbot oder Schutzanordnungen für die Opfer ermöglichen. Auch solle der Täter bei Nichteinhaltung dieser Maßnahmen mit einer Geldstrafe von bis zu 5000 Euro belegt werden können.

Um die vorhandenen Möglichkeiten auch voll auszunutzen, müssten verschiedene Institutionen und Einrichtungen auch in sogenannten Fallkonferenzen miteinander kommunizieren können. In anderen Bundesländern sei dies bereits Standard, werde aber vom Senat wegen datenschutzrechtlichen Bedenken blockiert, heißt es in einer Pressemitteilung der Grünen.

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