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Brandenburgs AfD will hoch hinaus
Rechtspopulisten starten ihren Landtagswahlkampf auf der Bismarkhöhe in Werder (Havel)
Am Freitagabend ist es in Werder (Havel) zwar immer noch schwülwarm, aber nicht mehr so drückend heiß wie um die Mittagszeit. Außerdem bietet die Wiese vor dem Veranstaltungssaal der Bismarckhöhe schattige Plätzchen – und eine herrliche Aussicht von oben auf die Havel.
Nicht mehr allzu prächtig sind hingegen die Aussichten der Brandenburger AfD auf die Landtagswahl am 22. September. Während sie zu Jahresbeginn in den Umfragen bei bis zu 32 Prozent stand, werden ihr nun zwei Monate vor dem Abstimmungstermin von den Meinungsforschungsinstituten nur noch 23 bis 24 Prozent vorhergesagt. Damit wäre der AfD-Landesverband, der bei der Landtagswahl vor fünf Jahren 23,5 Prozent erzielte, kein Stück vom Fleck gekommen.
Der Landesvorsitzende René Spinger allerdings demonstriert am Freitagabend einen Optimismus, demzufolge seine Partei herrlichen Zeiten entgegen geht, in denen die Deutschen wieder sagen könnten: »Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein!« Zuversicht vermittelt Springer, als er von einer 8. Klasse berichtet, in der die Jungen spontan das Deutschlandlied anstimmten, als ihnen das Grundgesetz mit dem Text der Nationalhymne auf dem Buchrücken ausgeteilt worden sei. Einem Lehrer habe das nicht gefallen, so Springer. Doch die Schüler hätten daraufhin nur noch lauter gesungen.
Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.
Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt erzählt von einer ähnlichen Begebenheit. Da soll ein Lehrer einem Schüler den AfD-Kugelschreiber weggenommen haben, wonach drei Mitschüler demonstrativ damit begannen, ebenfalls AfD-Kugelschreiber zu benutzen. Berndt sei schließlich um einen ganzen Satz für die gesamte Klasse gebeten worden.
Das alles soll heißen: Der AfD gehört schon jetzt die Jugend und damit die Zukunft. Ihr Aufstieg sei unaufhaltsam. Landeschef Springer lässt die Meilensteine Revue passieren: 12,2 Prozent bei der Landtagswahl vor zehn Jahren, 23,5 Prozent bei der Landtagswahl vor fünf Jahren, 27,5 Prozent im Land Brandenburg bei der Europawahl am 9. Juni. Doch nun droht der AfD ein kleiner Dämpfer – und das hat mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zu tun, dem auch und gerade zum Nachteil der AfD aus dem Stand 17 Prozent winken könnten.
Entsprechend verschnupft reagiert die Brandenburger AfD an diesem Abend in Werder darauf, dass es da nun eine neue Partei gibt, die genauso wenig wie die anderen Parteien mit der AfD koalieren will. Wenn die Wagenknecht-Partei eine Koalition mit der AfD ausschließe, nicht aber mit den Parteien, »die unser Land ins Elend geführt haben, dann ist sie die jüngste Altpartei«, beschwert sich Spitzenkandidat und Landtagsfraktionschef Berndt.
»Das BSW ist eine altlinke Reste-Rampe«, schimpft der Landesvorsitzende und AfD-Bundestagsabgeordnete Springer. Die Wagenknecht-Partei sei ein »Notnagel«, dazu gedacht, die AfD von der Macht fernzuhalten. »Nicht umsonst wird sie von der Linkspresse hochgeschrieben.« Mit seinen 50 Mitgliedern in Brandenburg (tatsächlich sind es sogar nur 36) werde das BSW aber auch nicht verhindern, dass die AfD irgendwann den Ministerpräsidenten stellt, meint Springer.
»Es ist Zeit für Schwarz-Rot-Gold statt Regenbogenfahne und das werden wir am ersten Tag anordnen.«
Hans-Christoph Berndt AfD-Spitzenkandidat
Was die Linkspresse sein soll, davon hat die AfD eine extrem weitgehende Vorstellung. Das ist für sie nicht nur ein sozialistisches Blatt wie das »nd«. Unter Linkspresse fällt bei der AfD fast alles, und selbst noch konservative Tageszeitungen. Zu dieser Auffassung passend werden am Einlass alle Journalisten mit roten Armbändchen markiert – auch die Kollegin von der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« (FAZ).
Gelten lässt Brandenburgs AfD das »Compact-Magazin« des Journalisten Jürgen Elsässer – der früher als bekennender Marxist bei linken Medien wie »Junge Welt«, »Konkret« und auch »nd« tätig war, bevor er ab 2009 ins rechte Lager überlief. Am 16. Juli verbot Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) das vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestufte Magazin. Auch in Werder (Havel) gab es Durchsuchungen.
Die Presse- und Meinungsfreiheit sei dadurch mit Füßen getreten worden, beschwert sich AfD-Landeschef Springer. Ihn erinnert das an die 1988 in der DDR gestoppte Auslieferung der sowjetischen Zeitschrift »Sputnik«. In dieser Zeitschrift war über den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt von August 1939 in einer Weise berichtet worden, die der offiziellen Geschichtsdeutung in der DDR zuwiderlief.
Ein Jahr später sei das SED-Regime hinweggefegt worden, sagt Springer. Damit redet er seinen Zuhörern ein, auch in der Bundesrepublik könnte es nach dem »Compact«-Verbot zu einer Umwälzung kommen. Springer fordert den Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) auf, dieser solle Nancy Faeser ins Gewissen reden, damit sie das Verbot zurücknimmt.
Zwar könnte eine Klage gegen das juristisch fragwürdige Verbot Erfolg haben. Springer zieht diese Möglichkeit in Betracht. Doch ehe ein Urteil gesprochen ist, dürfte die Landtagswahl gelaufen sein. Das ist für die AfD ein Problem. Sie hat für den Wahlkampf bei »Compact« eine Bühne gemietet und ist mit einer sechsstelligen Summe in Vorkasse gegangen, die nun beschlagnahmt ist. Dieses Geld sieht die Partei, wenn überhaupt, wohl erst nach der Wahl wieder. Sie kann es also aller Voraussicht nach nicht mehr in den Wahlkampf stecken.
»Wir stehen zu ›Compact‹! Wir stehen zu Jürgen Elsässer«, versichert Spitzenkandidat Berndt. Er meint, wenn es Gerechtigkeit gäbe, müssten Woidke und Faeser verschwinden und »Compact« würde zurückkehren. Das Verbot sei eine Angstreaktion des Establishments, welches die AfD stärker bekämpfe als in den 80er Jahren die Grünen und in den 90er Jahren die PDS.
Rund 200 Zuhörer sitzen auf der Bismarckhöhe im Saal und schwenken die dort bereitgelegten AfD-Fähnchen oder halten die ebenfalls ausgelegten Schilder hoch, auf denen steht: »Es ist Zeit für Dr. Berndt!« Der Mediziner, der zehn Jahre lang Personalratschef an der Berliner Universitätsklinik Charité war und 2018 in die AfD eintrat, soll Ministerpräsident werden. Davon träumen seine Anhänger – und er malt ihnen aus, wie das sein würde: »Es ist Zeit für Schwarz-Rot-Gold statt Regenbogenfahne und das werden wir am ersten Tag anordnen.« Initiativen für ein Ende der Sanktionen gegen Russland werde die AfD in der ersten Woche nach Regierungsantritt ergreifen, ein »Remigrationsprogramm« im ersten Monat auflegen und in den ersten 100 Tagen den Verfassungsschutz abwickeln.
»Es ist Zeit für einen mutigen Wahlkampf. Damit beginnen wir heute«, verkündet Berndt am Ende der einstündigen Veranstaltung. Anwesende Landtagskandidaten werden auf die Bühne gerufen, die kleinen Fähnchen geschwenkt und nun auch große AfD-Fahnen und der Saal schmettert voller Inbrunst die Nationalhymne. Die wird bei CDU-Parteitagen auch gesungen, bloß nicht so lauthals und kehlig wie hier.
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