Vietnam: KP sucht neuen Parteiführer

Nach dem Tod von Nguyen Phu Trong könnte in der Partei ein Richtungsstreit drohen

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 4 Min.
Vietnams KP-Chef Nguyen Phu Trong prägte die Geschicke des südostasiatischen Landes über ein Jahrzehnt.
Vietnams KP-Chef Nguyen Phu Trong prägte die Geschicke des südostasiatischen Landes über ein Jahrzehnt.

In Vietnam herrscht am Donnerstag und Freitag Staatstrauer. Grund ist der Tod von Nguyen Phu Trong, dem Parteichef der Kommunistischen Partei und damit des einflussreichsten Politikers im Land. 

Wann genau der 80-Jährige seiner langen schweren Krankheit erlegen ist, ist indes nicht so ganz klar, was an Verhältnisse wie einst beim Obersten Sowjet in Moskau erinnert: Am Freitag hatten Staatsmedien den Tod für denselben Tag verkündet. Exilmedien hatten das Ableben des Politikers jedoch bereits am Donnerstag unter Bezug auf interne Quellen im inneren Machtzirkel in Hanoi gemeldet. 

Literaturwissenschaftler und ultrakonservativer Apparatschik

Der studierte Literaturwissenschaftler Nguyen Phu Trong, der in der Sowjetunion promoviert hatte, galt als ultrakonservativer Apparatschik. Er machte Karriere in der Kommunistischen Partei und wurde 2006 Parlamentspräsident und 2011 Parteichef. Die Kommunistische Partei ist die einzige zugelassene Partei in Vietnam, Trong festigte das leninistische Einparteienprinzip. Dazu begrenzte er die Macht von Staatsunternehmen und ging rigoros gegen kritische Publizisten, Dissidenten und Umweltaktivisten vor.

Einen Ruf machte er sich als Kämpfer gegen die in Vietnam weit verbreitete Korruption. Diesem fielen nicht nur viele Wirtschaftsvertreter zum Opfer, die zu langjährigen Haftstrafen und in Einzelfällen sogar zum Tode verurteilt wurden. Auch zwei frühere Staatspräsidenten mussten zurücktreten, ein ehemaliger Parlamentspräsident, ein Gesundheitsminister und mehrere Spitzendiplomaten. Spekuliert wird, ob es dabei tatsächlich um Korruptionsvorwürfe ging oder um die Säuberung der Partei.

Bescheidene Lebensweise machte Trong beim Volk beliebt

In Trongs Amtszeit wuchs die Wirtschaft in dem südostasiatischen Land dynamisch und weist weltweit eine der höchsten Wachstumsraten auf, auch dank zahlreicher ausländischer Investitionen. Dank drastischer Eingriffe bewältigte Vietnam die Corona-Pandemie sehr erfolgreich.

Die Organisation »Reporter ohne Grenzen« zählte den verstorbenen Trong zu den zwölf größten Feinden der Pressefreiheit weltweit. In der Heimat aber war er wegen seiner bescheidenen Lebensweise, die ihn von vielen anderen Spitzenpolitikern unterschied, bei einem Teil der Bevölkerung beliebt. 

Seit der Parteichef 2019 dem Vernehmen nach einem Schlaganfall mit anschließenden Sprachstörungen erlitten hatte, verschwand er mehrfach monatelang von der Bildfläche, ohne dass es eine offizielle Erklärung gab. Die Gesundheit von Spitzenpolitikern gilt in Vietnam per Gesetz als Staatsgeheimnis. In den letzten Monaten zeigen Videoaufnahmen, dass er nur noch auf andere Personen gestützt laufen konnte. Als im Juni Russlands Präsident Wladimir Putin bei ihm zu Gast war, musste der Gastgeber Trong auf einen Sessel gesetzt werden. Auf den Fotos wirkte er abwesend und Putins Audienz machte eher den Eindruck eines Krankenbesuches denn eines Staatsbesuches. 

Nachfolger bringen sich in Stellung

Bereits am Freitag setzte sich ein Nachfolger in Szene gesetzt: Der erst im Mai zum Staatspräsidenten gewählte 67-jährige To Lam, wegen seiner Linie gegen eine Demokratiebewegung als Hardliner geltend und ehemaliger Sicherheitsminister, übernahm interimsmäßig zusätzlich die Amtsgeschäfte des Parteichefs, der sich offiziellen Angaben aus Hanoi zufolge auf seine gesundheitliche Behandlung konzentrieren wollte. Glaubt man Exilmedien, war Trong da allerdings bereits tot und die Interimslösung ein kluger Schachzug To Lams, um das höchste Amt in Vietnam zu ergattern. Denn um das hatte er über Monate mit dem gemäßigteren Premierminister Pham Minh Chinh, einen Politiker mit Wirtschaftskompetenz, einen erbitterten Machtkampf ausgetragen.

Noch diesen Monat hatte sich die Parteiführung des in Vietnam sehr mächtigen Militärs für Chinh als Nachfolger ausgesprochen und nicht für den wegen seiner kriminellen Energie umstrittenen To Lam. Laut eines Urteils des Berliner Kammergerichtes gab To Lam 2017 die Entführung des abtrünnigen Funktionärs Trinh Xuan Thanh nach Hanoi in Auftrag. Wie lange To Lam als Interimslösung fungiert, ob nur bis zum nächsten Kongress der Parteiführung im Herbst oder bis zum Parteitag Anfang 2026, ist noch offen. 

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal