CSD: Dürüm und Ayran in Sonneberg

650 Menschen beim ersten Christopher Street Day in der südthüringischen Stadt

  • Friedrich Burschel, Sonneberg
  • Lesedauer: 4 Min.
Flagge zeigen für Vielfalt und Gleichberechtigung in einer Stadt mit starker AfD-Dominanz: Das war das Anliegen des Sonneberger CSD.
Flagge zeigen für Vielfalt und Gleichberechtigung in einer Stadt mit starker AfD-Dominanz: Das war das Anliegen des Sonneberger CSD.

»Das Herz schlägt links«, sagt Sandro Kessel, seines Zeichens Stadtrat von Sonneberg für das »Bündnis Sahra Wagenknecht« (BSW). Vor dem Rathaus sammelt sich an diesem Samstag langsam eine immer bunter und lauter werdende Menschenmenge, aufgekratzt und erwartungsvoll, Regenbogen- und Queer-Fahnen, dazwischen auch Parteifahnen, die Grünen, Jusos, dominierend die Partei der Humanisten (PdH).

Sie sind alle zur ersten Christopher-Street-Day-Parade (CSD) in die südthüringische Kleinstadt gekommen, um dort – im wahrsten Sinne es Wortes – Farbe zu bekennen. Gegen einen Alltag, in dem die extrem rechte AfD den Ton angibt und mit Robert Sesselmann den ersten Landrat in Deutschland stellt. Die Lage von Menschen, die nicht ins rechte Weltbild passen, hat sich jedenfalls in Sonneberg und in Südthüringen erheblich verschlechtert. Laut der Opferberatungsstelle Ezra ist der Landkreis neben der Landeshauptstadt Erfurt und der Mittelstadt Weimar zum dritten Hotspot rechter Gewalt geworden.

Zum CSD sind gegenüber den 250 angemeldeten Demonstrant*innen weit mehr Menschen gekommen. Während Parade mit 650 Teilnehmenden laut und fröhlich durch die Straßen der idyllisch gelegenen Stadt zieht, bleibt es ruhig. Einwohner*innen zeigen sich kaum, Passant*innen äußern sich freundlich-tolerant. »Solange hinterher die Straßen nicht dreckig sind«, sagt eine junge Frau, sei das okay. Gegenkundgebungen und Störungen, die manche erwartet hatten, bleiben aus. Auch die anwesenden Polizisten sind freundlich und entspannt.

Unter den CSD-Teilnehmenden gibt es derweil Debatten. Viele stecken schon während der Parade die Köpfe zusammen und fragen sich, weshalb das erklärtermaßen trans- und queerfeindliche BSW sich hier so hineindrängt. Sandro Kessel bleibt aber dabei: Seine neue Partei – er kommt ursprünglich von der Satiregruppe Die Partei – gehöre hier dazu.

Seinen T-Shirt-Ärmel hat Kessel extra hochgerollt, damit man sein Till-Lindemann-Tattoo gut sehen kann – bei einem CSD ein eher verstörendes Statement, wenn man sich die Debatte um den mutmaßlichen Missbrauch junger Frauen durch Rammstein-Frontmann ins Gedächtnis ruft. Auf die queerfeindlichen Statements Sahra Wagenknechts angesprochen, lässt Kessel seinen schrägen Vorstellungen von Geschlechtsangleichung freien Lauf und meint, die gesetzliche Möglichkeit, »jedes Jahr einmal sein Geschlecht zu wechseln«, gehe einfach zu weit.

Natürlich ticken die Uhren in einem Provinznest anders als in einer Metropole. Im Rathaus haben sich aus der Not heraus SPD, Linke und BSW zusammengetan, um Fraktionsstärke gegen die übermächtige AfD zu erlangen. Da nimmt man es dann mit der »rot-roten« Abgrenzung vielleicht nicht mehr so genau.

Die Grünen-Landtagsabgeordnete Madeleine Henfling zitiert später auf der Abschlusskundgebung aus dem Buch »Die Selbstgerechten« von Sahra Wagenknecht die Passage von den »skurrilen Minderheiten« und drückt ihr Unverständnis darüber aus, dass die Organisator*innen des CSD sich nicht klar abgrenzten, sondern auch noch dem stellvertretenden BSW-Kreisvorsitzenden Steffen Schütz die Bühne für einen Redebeitrag überließen. Ihre Kritik wird von lautstarken, zustimmenden Buh-Rufen der auf dem Piko-Platz (benannt nach der weltberühmten DDR-Modelleisenbahn-Fabrik) versammelten Menge begleitet.

Demo-Anmelder Frederic Forkel, Historiker und in Coburg aktiv in der PdH, verteidigt die Entscheidung. Man wolle dem BSW diesmal die Chance geben, »sich zu bewähren«. Tue es das nicht, sei es das nächste Mal raus, sagt er.

Jenseits der Irritation über die BSW-Beteiligung ist die Stimmung großartig: Es gibt engagierte antifaschistische Redebeiträge und eine starke klassenkämpferische Solidaritätserklärung des DGB-Jugendsekretärs Gregor Gallner mit dem Anliegen des CSD und den Teilnehmenden. Und ein mitreißendes Bühnenprogramm mit dem programmatischen Song »Dürüm und Ayran in der Thüringer Kleinstadt« von Rapper Maurice Conrad und Bruneau, mit dem von Fans umlagerten Youtube-Star »Yu« und der beeindruckenden Rapperin »Latifa Iguma« aus dem ostthüringischen Gera.

Mit Gera und Weimar fanden am Samstag in weiteren Thüringer Städten CSD-Paraden statt. In Gera nahmen 500, in Weimar 1000 Menschen daran teil.

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