- Kommentare
- Verschärfung beim Bürgergeld
Ampel-Krieg gegen die Armen
Olivier David kommentiert die geplanten Verschärfungen beim Bürgergeld
Es wird Krieg geführt. Nicht nur in der Ukraine, nicht nur in Gaza oder im Sudan, auch hier in Deutschland wird Krieg geführt – und zwar gegen die Armen. Sie finden den Begriff vermessen oder respektlos angesichts des Leids in der Welt? Relativierend? Dann sagt das mehr über Sie und Ihren Standpunkt aus als über meine These. Denn wenn wir Krieg als einen unter Einsatz erheblicher Gewalt stattfindenden, bewaffneten Konflikt zwischen zwei oder mehreren Parteien begreifen, dann liege ich leider richtig – und glauben Sie mir, ich empfinde keine Freude oder Polemik, beim Aufschreiben dieser Zeilen.
Warum wir im Krieg sind? Ein Beispiel: Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe erfasst die Zahlen von Gewalttaten gegen Wohnungslose und zählte im Jahr 2020 mehr als 2200 Fälle, davon 565, die tödlich endeten. Das sind mehr als sechs Gewalttaten am Tag! Anderes Beispiel: Laut einer US-amerikanischen Studie können höhere Mindestlöhne die Anzahl der Suizide senken. Wenn wir also aufhören, den ökonomischen Zusammenhang von sozialem Status und verfrühtem Tod zu leugnen, dann müssen wir sagen: Wahrscheinlich werden die neuesten Sozialkürzungen der Ampel-Regierung (Stichwort: Bürgergeld) Tote zur Folge haben. Entweder direkt, wie im Falle eines Suizids, oder eine Spur indirekter, wenn der Armenhass der Politiker*innen, den sie jeden Tag in die Bevölkerung speien, bei dem ein oder anderen Anhänger des Sozialdarwinismus verfängt und er dann zur Gewalt gegen Armutsbetroffene greift.
Olivier David ist Autor und Journalist. 2022 erschien von ihm »Keine Aufstiegsgeschichte«, in dem er autobiografisch den Zusammenhang von Armut und psychischen Erkrankungen beschreibt. Bevor er mit 30 den Quereinstieg in den Journalismus schaffte, arbeitete er im Supermarkt und Lager, als Kellner und Schauspieler. 2024 erscheint sein Essayband »Von der namenlosen Menge« im Haymon Verlag. Für »nd« schreibt er in der 14-täglichen Kolumne »Klassentreffen« über die untere Klasse und ihre Gegner*innen. Alle Texte auf dasnd.de/klassentreffen. Zudem hostet er einen gleichnamigen Podcast über Klasse, Krise und Kultur. Alle Folgen auf dasnd.de/klasse.
Während wir bei rechter Gewalt zu Recht behaupten, dass neben direkt angewendeter körperlicher Gewalt die Brandstifter und Täter auch in der rassistischen Politik zu finden sind, bleibt es beim Krieg gegen die Armen erstaunlich still. Das hat damit zu tun, dass sozialer Status und die Abwertung, die damit einhergeht, immer noch unter ferner liefen verhandelt wird.
Die Ampel-Koalition setzt beim Bürgergeld aktuell stärker auf Repression. Geplant ist unter anderem, dass ein Betroffener bei einem verpassten Termin auf dem Amt mit einer 30-prozentigen Sanktionierung des Regelsatzes zu rechnen hat. Bei zweimaligen Ablehnen einer »zumutbaren Arbeit« gibt es sogar die Möglichkeit einer 100-Prozent-Sanktionierung. Wie sollen diese Menschen dann noch ihre Rechnungen zahlen?
Politiker, die das beschließen, sind Brandstifter, sie sind Feinde der Armen. Wenn wir bei den Morden von Halle und Hanau sagen, die AfD schießt mit, so müssen wir beim nächsten Brandanschlag auf einen Obdachlosen, beim nächsten Messerangriff auf einen Armutsbetroffenen oder beim nächsten Suizid eines Arbeitslosen sagen: Die Ampel sticht mit, sie zündet mit, die Politik der Bundesregierung ist für Tote verantwortlich.
Menschen, die solche Sozialkürzungen vornehmen, zeigen uns, was wir zu tun haben: Widerstand! Sie sehen die Menschen der unteren Klassen als Feinde, gegen die sich letztere zur Wehr setzen müssen. Die Aufgabe der politischen Linken muss es deshalb sein, diese Feindschaft anzunehmen. Die liberale Idee, sich nicht auf das Niveau des Gegners einzulassen, ist für mich gescheitert.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.