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- »Ein Sohn von zwei Müttern«
Franz Dobler: Ein Dasein, das kein Schicksal ist
In »Ein Sohn von zwei Müttern« will Franz Dobler sein Leben erzählen und gleichzeitig auch nicht
Der Schriftsteller Franz Dobler ist adoptiert. Eigentlich wollte er darüber nie ein Buch schreiben. Jetzt, mit Mitte 60, tat er es doch, auch wenn er dabei so tut, als sei es ein Roman. Der Protagonist ohne Namen (nennen wir ihn doch FD) ist Mitte 50, als er nach New York fliegt, um seine leibliche Mutter zu treffen. Sein Vater stammt aus Persien und sein Sohn weiß von ihm nur, dass er ihm »wie heruntergerissen« ähnlich sieht. Er war das Ergebnis einer einzigen Begegnung, mehr weiß der Sohn nicht. Mehr will er auch nicht wissen. Die Mutter, jung und ohne festen Boden unter den Füßen, gab das Kind zur Adoption frei. Adoptiert wurde der Sohn von einem Ehepaar aus Oberbayern, das, wie er später erfuhr, ein Jahr zuvor eine Fehlgeburt erleben musste. Seine Schwester, 14 Jahre älter als er, drängte dann darauf, ein Kind zu holen, und wurde ihm auch bisweilen eine dritte Mutter.
FD wächst behütet und umsorgt auf in einer derb-biederen Dorffamilie. Die Mutter, die ihn liebt und umsorgt, wird später, wenn sie ihn im fernen München besuchen kommt, die Fenster seiner Bruchbude putzen; mit dem Vater, dem »Feldwebel der Familie«, wird er später arge Auseinandersetzungen haben, unter anderem wegen der langen Haare. Aber niemals wird der Vater ihn spüren lassen, dass er nicht dazugehört, dass er nicht der Sohn sei. Und wenn er auch nicht den gewünschten Stammhalter darstellt, dann liegt es an ihm und nicht am sogenannten fremden Blut, das in ihm zirkuliert.
Thema wird seine Adoption allerdings immer wieder in der Dorfjugend: er sieht halt doch etwas anders aus. Aber auch das artet nicht in Mobbing aus, sondern wird recht schnell so hingenommen: es ist etwas zum sich kurz drüber Wundern, aber es ist kein Stigma.
Jenseits der Kernfamilie erweitert FD den Kreis seiner Bezugspersonen, die die Phasen seines Lebens bestimmen, wie es Eltern nicht können. Zuerst ist da der ältere Freund Hans, »kriminell begabt«, wie es heißt, der Anführer einer Bande ist, in die FD aber nicht aufgenommen wird. Hans kommt aus schwierigen Verhältnissen und ist ein harter Hund, aber auf raue Art zart zu FD, vielleicht sieht er in ihm einen etwas zu kleinen Bruder. Mit 21 wird er bei der Flucht vor der Polizei in eine Tankstelle rasen und verbrennen.
Von ihm scheint FD die Bewunderung fürs Rebellische zu haben, die ja auch Doblers Kriminalromane auszeichnen, und auch den Sinn für jene Tragik, die männliche Härte immer auch in sich birgt. Es ist eine der großen Stärken dieses Buches, dass Dobler hier eine Mannwerdung beschreibt, die aber nicht archetypisch verläuft. Das wird zwar nicht ausbuchstabiert, aber das Zarte, Brüchige der Konstruktion dieses Buches, das zwar Roman genannt wird, tatsächlich aber fragmentarisch und spotlightig immer wieder auseinanderfällt, machen das deutlich.
Da wäre zum einen der ältere Freund und Mentor, der ihn in die Welt des Jazz einführt und auch den Vater zu überzeugen versucht, dass FD einen ganz famosen Weg einschlägt mit seiner Kunstbegeisterung. Und da wäre auch der stellvertretende Chefredakteur des Lokalblattes, für das FD als Schüler schon seine ersten Texte – über Jazz zum Beispiel – schreibt, der ihn auch immer wieder ins Wirtshaus mitnimmt, wo FD den Diskussionen über die bayerische Räterevolution, über Ernst Toller, Erich Mühsam und Oskar Maria Graf folgt. Diese Leute zu beeindrucken, wird eine Aufgabe für FD, auch weil sein Vater sich mit seiner Renitenz und Eigenwilligkeit nicht zu arrangieren vermag. Dass FD am Ende im fernen München ausgerechnet evangelische Theologie studiert, ist dann auch der Gipfel des Hohns. Einer aus Oberbayern, der Protestant wird, obwohl er nicht mal an einen Gott glaubt! Was für eine Teufelei mag dafür verantwortlich sein.
Aber auch Doblers Fazit zu diesem Vater ist kein apodiktisches Urteil, sondern von Verständnis und Nachsicht geprägt. Er hat Glück gehabt und weiß das auch; es ist kein Jammerbuch, das Dobler da geschrieben hat. Sondern eines, das das Wunder der eigenen Existenz immer wieder in den Fingern dreht und dabei viele Fragen stellt: Warum sind eigentlich so viele Adoptivkinder Serienmörder geworden? Warum spricht seine Mutter von ihrer Kindheit erst auf dem Sterbebett? Wie kam das alles auf so unwahrscheinliche Weise zueinander?
Dass FD ein widerspenstiges und eigenes Kind gewesen ist, scheint auch im Stil Doblers durch, der hartnäckig bei seiner eigenen Sicht bleibt, auch wenn Fragen nach den Motivationen und Motiven der anderen nahelägen. Da schreibt auch eine gewisse oberbayerische Halsstarrigkeit mit, die aber immer wieder durch eine stille Ironie und einem Grundzweifel auch an sich selbst unterlaufen wird. Vielleicht spielt hier auch eine Rolle, dass die Nische, die der Markt für Dobler bereithielt, nicht unbedingt das ist, was er wollte, und er dies aber in einer Art Ingrimm irgendwann doch akzeptiert hat. Vielleicht hätte er gerne in jene Richtung weitergeschrieben, die er 2008 in seinem Roman »Aufräumen« vorgab, aber: das hat sich halt nicht verkauft. Und essen muss man ja auch.
Eventuell hat Franz Dobler es auch deswegen bis jetzt abgelehnt, ein Buch zu dieser Geschichte seiner zwei Mütter zu schreiben, weil es für ihn, der ein so herausragender Plotter ist, in dem Material ursprünglich vielleicht zu viele Lücken gab? Auch während des Schreibens lässt er FD immer wieder sagen, dass es in der Literatur vor allem um den schnellen Dollar ginge. Diese Fixierung aufs Finanzielle ist auch eine Rache am Literarischen: Dobler behauptet gar nicht, eine ideale Form für diese Art der Erzählung gefunden zu haben, wie es Großliterar*innen tun würden. Und das ist auch das Fantastische an Dobler: Er will diese Geschichte erzählen und will es gleichzeitig nicht auf diese Weise, aber es gibt Gründe, sie so zu erzählen, biografische, strukturelle, ökonomische, aber auch wenn man sich aus pragmatischen Gründen zu beugen hat, steht der Widerstand gegen diese Zustände immer wieder mit im Text.
Diese wohltuend unkorrumpierbare Bodenständigkeit, die die Geringschätzung für alles, was bürgerliche Hochkultur sein will, sehr subtil in sich trägt, ist wohl auch ein Erbe des Elternhauses; ein Widerhall der Stimme des Vaters, dem das Heckenschneiden wichtiger vorkam als das Lesen eines Hemingway. Und der aber trotzdem seinen Hemingway auch gelesen hat, obwohl er nur über eine rudimentäre Schulbildung verfügte.
Dobler schreibt lakonisch, elegant, souverän und lustig über ein Dasein, das kein Schicksal ist. Es ist schlussendlich schon auch ein Buch über eine Adoption, vor allem aber eines über die Suche nach dem Eigenen im Leben.
Franz Dobler: Ein Sohn von zwei Müttern. Tropen, 224 S., br., 21,80 €.
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