Ökonom und engagierter Berater der Linken

Der französische Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman weist Wege im Kampf gegen Steuerbetrug und -oasen

  • Ralf Klingsieck
  • Lesedauer: 4 Min.
Gabriel Zucman
Gabriel Zucman

Gabriel Zucmans Eltern, eine seiner Großmütter und weitere Verwandte waren oder sind Ärzte, aber für ihn kam die Medizin nie in Frage. »Ich habe mich von klein auf für Fragen der Wirtschaft interessiert, wie sie funktioniert und welche Auswirkungen sie auf unser Leben hat«, sagte er einmal in einem Interview. Da war der junge Mann schon ein international bekannter Wirtschaftswissenschaftler, den die Organisatoren des diesjährigen G20-Gipfels um Vorschläge für mehr Steuergerechtigkeit gebeten haben und der dem gerne nachkam.

1986 in Paris geboren, studierte Zucman nach dem Abitur am Gymnasium Henri IV sowie der strengen Aufnahmeprüfung an der Elitehochschule Paris-Saclay ab 2005 Wirtschaftswissenschaften. Nebenbei war er Mitbegründer der halbjährlich erscheindenden Fachzeitschrift »Regards croisés sur l’économie« (Gekreuzte Blicke auf die Wirtschaft) und mehrere Jahre deren Chefredakteur. Seinen Master machte er 2008 an der Paris School of Economics. Einer seiner Lehrer und sein späterer Doktorvater war Thomas Piketty, der 2014 mit dem Bestseller »Das Kapital im 21. Jahrhundert« auch in der breiten Öffentlichkeit für Aufsehen sorgte. Dessen Arbeiten über soziale Ungleichheiten und ihre Ursachen prägten auch Zucmans Forschungen, wobei dieser sich auf die Rolle von Steuerbetrug spezialisierte. Sein Buch »Steueroasen – Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird« sei knapp geschrieben und leicht lesbar, wurde in einer Rezension festgestellt. Im Vergleich dazu wirke Pikettys Wälzer »extrem sperrig und langatmig«.

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Schon Zucmans erste Veröffentlichungen brachten ihm ab 2014 Angebote für Gastprofessuren zunächst an der London School of Economics, dann an der Universität Stanford und schließlich an der California-Universität in Berkeley, wo er seit 2019 Assistenzprofessor ist und auch heute noch lehrt. Doch vor allem ist der jetzt 38-Jährige seit 2023 Professor mit Lehrstuhl an der Pariser Hochschule Ecole normale supérieure und an der Paris School of Economics. Ferner ist er Mitglied des Exekutivkomitees des World Inequality Lab, das 2018 einen weltweit viel diskutierten Report über die ungleiche Verteilung der Reichtümer veröffentlichte.

Im selben Jahr wurde er von der Zeitung »Le Monde« und der Vereinigung Cercle des économistes als bester junger Wirtschaftswissenschaftler Frankreichs ausgezeichnet. Bei dieser Gelegenheit hielt er eine Rede, in der er sich sehr kritisch mit der Rolle der Banken und der Finanzmärkte auseinandersetzte. Der Gastgeber, der Präsident der französischen Zentralbank, hatte das wohl vorausgesehen, denn er blieb der Veranstaltung in seinem Haus fern. Dabei war der Redner durchaus sachlich: Er würdigte den international vereinbarten und seit 2018 immer besser funktionierenden automatischen Austausch von Bankdaten als »hoffnungsvollen Schritt auf dem richtigen Weg«, kritisierte aber die EU als »viel zu inkonsequent im Kampf gegen Steuerbetrug«. Und forderte, das zu 40 Prozent vom Finanzsektor lebende Luxemburg, das eine Steueroase mitten in Europa sei, von allen EU-Entscheidungen zum Thema Finanzen, Banken und Steuern auszuschließen, bis das Land zu einer Reform bereit sei.

Hochdekoriert wurde Zuman als junger Ökonom auch weiterhin: 2019 mit dem »Prix Bernacer« und als Sieger eines internationalen Vergleichs, wie oft wissenschaftliche Veröffentlichungen von anderen Autoren zitiert wurden. Bisheriger Höhepunkt war 2023 die Verleihung der John-Bates-Clark-Medaille, der wichtigsten Auszeichnung in den USA für unter 40-Jährige, die »einen bedeutenden Beitrag zur Erweiterung des wirtschaftswissenschaftlichen Wissens geleistet haben«.

Neben seiner Forschungstätigkeit berät Zucman seit Jahren linke Vereinigungen in Frankreich, wie La France insoumise oder das globalisierungskritische Netzwerk Attac, ehrenamtlich. Während der Auseinandersetzungen des vergangenen Jahres um die Rentenreform machte er den Zusammenhang zwischen dem Kampf gegen das um zwei Jahre hinausgeschobene Rentenalter und der Empörung über die eklatante Steuerungerechtigkeit deutlich.

Seit der Präsidentschaftswahl 2016 in den USA wird Zucman auch regelmäßig von den Wahlkampfteams der demokratischen Kandidaten zum Thema Kampf gegen Steuerflucht und Maßnahmen für mehr Steuergerechtigkeit konsultiert. Auch Bernie Sanders lud ihn einmal zu einem Gespräch ein. Auch für solche Konsultationen nimmt Zucman keinen Cent. Er kann es sich leisten. Allein an der Uni Berkeley verdient er 215 000 Dollar im Jahr. Auf die Frage, wieviel er davon an Steuern abführen muss, antwortet er lachend: »Zu wenig!«

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