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Verfolgte Lokalpolitiker: Opfer der Gleichschaltung

Eine Berliner Ausstellung erinnert an die Jagd auf Bezirksversammlungs-Mitglieder in Schöneberg und Tempelhof durch die Nationalsozialisten

Viele Gesichter, viele Schicksale: Mitglieder der Bezirksversammlung Schöneberg 1931
Viele Gesichter, viele Schicksale: Mitglieder der Bezirksversammlung Schöneberg 1931

Als die SA am 13. April 1933 vor der Tür steht, lebt Franz Czeminski schon seit über einem Jahrzehnt mit seiner Frau Hedwig im Schöneberger Lindenhof. Als Aufsichtsratsvorsitzender der im Süden des heutigen Berliner Ortsteils liegenden Genossenschaftssiedlung wird Czeminski verhaftet, so wie sämtliche Aufsichtsratsmitglieder des Lindenhofs. Die Julinacht verbringt der SPD-Politiker im berüchtigten SA-Gefängnis Papestraße. Um die Gleichschaltung der Genossenschaft zu erzwingen, wird Czeminski gefoltert und misshandelt.

Heute, über 91 Jahre später, wird die Geschichte Czeminskis in genau jenem Kellergewölbe erzählt, in dem er einst unsagbare Schmerzen erlitten haben muss. Bis Mitte Oktober widmet sich die Ausstellung »Spurensuche Demokratie« im Gedenkort SA-Gefängnis Papestraße dem Schicksal von insgesamt 16 Angehörigen der Bezirksversammlungen Schöneberg und Tempelhof. Sie alle wurden zwischen 1933 und 1945 von den Nationalsozialisten verfolgt, ihre Geschichten handeln von antisemitischen Anfeindungen, von Hausdurchsungen und Verhaftungen, von Folter und Mord. Vor allem traf es Menschen, die für linke Parteien in Schöneberg und Tempelhof tätig sind.

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Fünf Frauen und elf Männer haben die Historikerin Heike Stange und Ko-Kuratorin Marie Lührs nach umfangreichen Recherchen zusammen mit ihrem Team ausgewählt. Dabei geht es den Forscherinnen nicht nur um die einzelnen Schicksale, sondern auch darum, wie Kommunalpolitik in Schöneberg und Tempelhof funktionierte, wie sich Politiker*innen in den Kiezen vernetzten.

»Von der Struktur her ist es anders als heute«, sagt Kuratorin Lührs zu »nd«. Zu den Bezirksversammlungen, den Vorläuferinnen der heutigen Bezirksverordnetenversammlung, hätten damals neben Bezirksverordneten auch Stadtverordnete und Mitglieder des Bezirksamtes gezählt. »Heute gibt es eine deutlichere Trennung zwischen Bezirksamt und Bezirksverordnetenversammlung.« Generell seien Zuständigkeiten häufig nicht eindeutig geklärt gewesen. Trotzdem, so Lührs, habe die Bezirksversammlung in der demokratischen Entwicklung eine Rolle als starkes politisches Organ eingenommen.

»Gerade in Schöneberg waren eher konservative Frauen vertreten, weil sie diejenigen waren, die auch über die nötigen Ressourcen verfügten.«

Marie Lührs Ko-Kuratorin der Ausstellung

Das sogenannte Groß-Berlin-Gesetz regelt ab Oktober 1920 die demokratischen Strukturen der Stadt Berlin. Doch schon ab 1931, zwei Jahre vor der Machtergreifung Hitlers, beginnt die Entdemokratisierung, die sich Schritt für Schritt fortsetzen wird: Im März tritt eine Kommunalreform in Kraft, die das Groß-Berlin-Gesetz modifiziert. Ab sofort sind es nicht länger die Bezirksversammlungen, die ihre Vorsitzenden selbst wählen, sondern der Bezirksbürgermeister – eine Aufgabe, die sowohl in Schöneberg als auch in Tempelhof nationalistischen Kräften zufällt.

»Die Sitzungen fanden dann nicht mehr öffentlich statt«, führt Lührs aus. Die wissenschaftliche Arbeit mache das nicht leichter. »Ob es irgendwann zu Störungen oder ähnlichem kam, müssen wir noch herausfinden. Das ganze Feld ist noch sehr unerforscht.« Die Hauptkuratorin Heike Stange habe mit ihren engagierten Recherchen eine wichtige Grundlage für die Erforschung der kommunalpolitischen Arbeit in Schöneberg und Tempelhof geschaffen, so die Forscherin. Trotzdem gebe es noch einiges zu tun: Neu entdeckte Sitzungsprotokolle aus Tempelhof könnten für künftige Projekte ausgewertet werden.

Was die Angehörigen der Bezirksversammlungen nach ihren Verhaftungen konkret über sich ergehen lassen mussten, lässt sich anhand der Quellen nicht immer rekonstruieren. Es seien in diesem Bereich Korrespondenzen und Nachfahren gewesen, die das Forschungsteam vorangebracht haben, so Lührs. Der Kontakt zu den Verwandten habe bleibende Eindrücke hinterlassen.

Das Gleiche gilt bei Erkenntnissen über die Rolle der Frauen in den Bezirksversammlungen. »Gerade in Schöneberg waren eher konservative Frauen vertreten, weil sie diejenigen waren, die auch über die nötigen Ressourcen verfügten«, sagt Lührs. Viele der kommunalpolitischen Ämter seien nicht vergütet gewesen. Die Recherchen zeigen außerdem, dass Frauen vor allem in sozialpolitischen Ausschüssen, wie im Jugendamt, im Schulausschuss und in der Volksbildung, stark vertreten waren. Unter den weiblichen Abgeordneten fand sich dementsprechend ein hoher Anteil an Lehrerinnen und Sozialarbeiterinnen.

Am 4. Februar 1933 werden sämtliche Kommunalvertretungen durch die Nationalsozialisten in Berlin aufgelöst. Bei anschließenden Neuwahlen, die von Repressionen gegen demokratische Kräfte begleitet wurden, erhält Hitlers NSDAP 38,3 Prozent der Stimmen in Berlin. In Schöneberg und Tempelhof kommen die Nationalsozialisten sogar jeweils auf über 40 Prozent der Stimmanteile. Der neue Oberbürgermeister Heinrich Sahm schränkt die Arbeit der Bezirksversammlungen immer weiter ein, bis sie im Juni 1934 endgültig abgeschafft werden. Ein weiteres Gremium, das der alleinigen Kontrolle durch die Nationalsozialisten im Weg steht, ist Geschichte.

Sonderausstellung »Spurensuche Demokratie – Im Nationalsozialismus verfolgte Angehörige der Bezirksversammlungen Schöneberg und Tempelhof 1933 bis 1945«. Noch bis 20. Oktober, Di, Mi, Do, Sa und So 13–18 Uhr, Gedenkort SA-Gefängnis Papestraße.

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