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Eine Uhr fürs Grundgesetz und klare Worte für die Demokratie
Ein Uhrenhersteller aus Glashütte warnt ungewöhnlich deutlich vor der AfD
Wenn es um die Uhren geht, hält man bei Nomos in Glashütte nichts von allzu viel Toleranz. In den edlen, vom Bauhaus-Stil geprägten Instrumente des sächsischen Herstellers stecken winzige Teile wie die Unruhewelle, die nicht einmal einen Millimeter lang ist. Bei ihrer Fertigung darf höchstens um zwei bis vier Mikrometer von den vorgegebenen Maßen abgewichen werden, sagt Steffen Kluge, der die Fertidung leitet. Zum Vergleich: Ein menschliches Haar ist 40 bis 120 Mikrometer dick.
Mit Blick auf die Gesellschaft hingegen tritt man bei dem Unternehmen für Toleranz und Offenheit ein, was etwa Herkunft, Hautfarbe oder Lebensentwürfe anbelangt. »Wir verkaufen unsere Uhren weltweit«, sagt Geschäftsführerin und Gesellschafterin Judith Borowski: »Deshalb sind wir weltoffen. Unsere Uhren vertragen sich nicht mit Engstirnigkeit.«
»Engstirnigkeit« ist eine höfliche Beschreibung einer Haltung, die nicht zuletzt in Sachsen immer weiter um sich greift und bei der Landtagswahl am 1. September zu einem politischen Erdbeben führen könnte. Dann droht mit der AfD eine Partei stärkste Kraft zu werden, die nicht nur internationale Verflechtungen beenden und die EU in ihrer heutigen Form abschaffen will, sondern auch Diversität etwa in sexueller Hinsicht strikt ablehnt. Vor alle maßt sich die Partei an zu entscheiden, wer guter und wer schlechter Deutscher ist. Für letztere werden Pläne einer »Remigration« geschmiedet. Aus derlei Gründen sieht der Verfassungsschutz im Freistaat beim sächsischen AfD-Landesverband »gesichert rechtsextremistische Bestrebungen«.
Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.
Davor, dass eine solche Partei stärkste Kraft werden könnte, graust es Borowski. Sie spricht von der Abstimmung am 1. September als einer »Schicksalswahl« auch für die Wirtschaft. Wie gut die Geschäfte von Unternehmen wie Nomos laufen, hänge zu einem guten Teil vom guten Ruf des Standortes ab. Bisher gilt Glashütte als eine der ersten Adressen für feinstes Uhrmacherhandwerk, Sachsen werde als Land der Ingenieure und Tüftler wahrgenommen. Wenn stattdessen nur noch über einen massiven Rechtsruck geredet werde, sei das ein Problem. Auch Kunden wollten wissen, von wem und in was für einem Unternehmen ihre Uhr gefertigt wurde.
Schon jetzt sorgen die in Sachsen verbreiteten Ressentiments und die immer offeneren Anfeindungen gegenüber Fremden zudem dafür, dass es schwerer wird, Fachkräfte aus dem Ausland oder aus anderen Teilen Deutschlands zu gewinnen. »Diejenigen, die bei uns gearbeitet haben, sind oft bald wieder gegangen«, sagt Borowski. Die hohe Qualität und Innovationskraft der sächsischen Wirtschaft sei aber nicht zu halten, wenn das Land nicht auch attraktiv sei »für Menschen aus Stuttgart, aus der Schweiz, Frankreich oder von weiter her«. Der Ruf habe schon jetzt erheblich gelitten. In Berlin, wo das Nomos-Marketing ansässig ist, höre sie immer wieder die Frage, was in Sachsen eigentlich los sei.
Bei Nomos benennen sie solche Gefahren bereits seit vielen Jahren in aller Klarheit – und auch, aus welcher politischen Ecke sie kommen. Als 2015 Rechtsextreme gegen ein Flüchtlingsheim in Glashütte mobilisierten, spannten sie bei Nomos ein Transparent auf: »Wir ticken international.« Als es 2018 in Chemnitz zu ausländerfeindlichen Hetzjagden kam, weil ein Stadtfestbesucher erstochen worden war, und AfD, Pegida und andere Rechtsextreme den offenen Schulterschluss vollzogen, veröffentlichte der Uhrenhersteller einen Offenen Brief.
Womöglich ist die klare Haltung schon im Firmennamen begründet. Das griechische Wort Nomos bedeute »Recht, Gesetz, gerechte Verteilung«, sagt Borowski. Unter diesem Etikett wurde in der osterzgebirgischen Kleinstadt im Jahr 1906 ein Unternehmen gegründet, das Uhrwerke aus der Schweiz importierte und sie unter der deutlich lukrativeren Herkunftsbezeichnung »Glashütte« weitervertrieb. Klagen eines Konkurrenten ließen das Geschäftsmodell nach vier Jahren scheitern.
Das 1990 von dem Düsseldorfer Fotografen Ronald Schwerdtner unter gleichem Namen neu gegründete Unternehmen verfolgt eine gänzlich andere Philosophie. Es suchte sich so schnell wie möglich von Zulieferungen aus der Schweiz unabhängig zu machen und ist heute stolz darauf, dass 95 Prozent der Wertschöpfung am Uhrwerk in Glashütte erfolgt. Etliche Teile und Funktionen der Nomos-Uhren sind patentiert. Was aber beibehalten wurde, ist das Bekenntnis zu Recht und Gesetz, auch: zum Grundgesetz. Als dieses kürzlich 75 Jahre alt wurde, legte Nomos eine Sonderedition auf: sechs auf je 75 Stück limitierte Versionen eines Uhrenklassikers, bei denen jeweils die Ziffer 6 durch ein Paragrafensymbol ersetzt wurde. Die Nachfrage, sagt Borowski, sei ausgesprochen gut.
Zum Grundgesetz und zu den Vorzügen der Demokratie bekennen sich auch andere Unternehmen; dessen Feinde benennen nur wenige so deutlich wie Nomos. Zwar äußerten sich nach der Correctiv-Recherche zum Potsdamer Treffen von Rechtsextremen und Rechtskonservativen, auf denen Remigrationspläne offen diskutiert wurden, auch Vorstände großer deutscher Unternehmen. In Sachsen gibt es immerhin ein Netzwerk »Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen«. Unter der Hand werde auch bei Verbänden und in Kammern vor den Folgen eines Rechtsrucks etwa mit Blick auf die Fachkräftegewinnung gewarnt, berichtet Franziska Schubert, Fraktionschefin der Grünen im Landtag. Sie sieht auch für Unternehmer »keinen Grund mehr, zögerlich oder ängstlich zu sein«. Viele Kunden und Geschäftspartner legten zunehmenden Wert auf politische Positionierung: »Man gewinnt durch klare Haltung.«
Das bestätigt auch Borowski: Die Zeit, als die Devise lautete »The Business of Business is Business«, die Wirtschaft habe sich also ausschließlich um das Wirtschaften zu kümmern, sei vorbei. Dennoch äußern sich nur wenige Manager ähnlich dezidiert. Das hat zur Folge, dass sich Politprominenz bei Nomos quasi die Klinke in die Hand gibt. Diese Woche waren Franziska Schubert und ihre Parteikollegen Wolfram Günther und Katja Meier bei Nomos zu Besuch. Das Trio führt die Grünen im laufenden Wahlkampf; Günther und Meier sind Minister in der aktuellen Koalition mit CDU und SPD. Im März war Bundeskanzler Olaf Scholz zu Besuch, zuvor auch schon Wirtschaftsminister Robert Habeck, der Ostbeauftragte der Bundesregierung Carsten Schneider oder der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz, ein scharfer AfD-Gegner. Faktisch seien schon Vertreter aller Bundestagsparteien da gewesen – außer der AfD. Und wenn diese anfrage? »Lehnen wir ab«, sagt Borowski: »Man muss mit allen reden. Aber man muss auch rote Linien ziehen. Da sind wir uns in Geschäftsführung und unter den Gesellschaftern einig.«
Manchen in der rund 200-köpfigen Belegschaft werde der Trubel gelegentlich etwas zu viel, räumt Borowski ein. Manchen nerven wohl auch die Kommentare der Nachbarn in Glashütte, die teils alles andere als zustimmend sind. Bei der Wahl des Kreistags im Juni wählte in der Stadt jeder Dritte die AfD. Allerdings war die CDU, anders als in vielen benachbarten Regionen, etwas stärker.
Wie das am 1. September im Land sein wird, bleibt abzuwarten. Allerdings, warnt Borowski, müsse die AfD nicht stärkste Partei werden oder gar in eine Regierung eintreten, um massiven Einfluss zu gewinnen. »Das geht schon viel früher los«, sagt sie. Was sich in der kommunalen Politik ändert, ist bereits im wenige Kilometer entfernten Pirna zu besichtigen, wo die AfD seit diesem Jahr den Oberbürgermeister stellt. Auf Landesebene würde ein Drittel der Sitze im Dresdner Parlament reichen, um etwa Verfassungsänderungen und die Wahl von Verfassungsrichtern blockieren zu können. »Als Bürgerin bereitet mir das große Sorge«, sagt sie. Für die Unternehmerin gilt das gleiche. Zwar ist ein Wegzug keine Option, anders als für andere Firmen, in denen laut der Grünen-Fraktionschefin solche Szenarien durchaus durchgespielt werden. Für Nomos als Uhrenhersteller sei es unverzichtbar, auf eine Fertigung in Glashütte verweisen zu können, wo das Handwerk seit 1845 ansässig ist. Außerdem »finden wir die nötigen Kompetenzen woanders gar nicht«, sagt Borowski.
Also versuchen sie, soweit sie können, die Dinge im Freistaat zu beeinflussen. »Wir sind froh, in Sachsen zu sein«, sagt die Geschäftsführerin, »aber es braucht auch den Blick über den Tellerrand.« Die derzeit im Land verbreitete Geisteshaltung sei dazu angetan, Menschen zu vertreiben. Nötig sei es, Menschen anzuziehen – nicht zuletzt durch Offenheit und durch eine Toleranz, die man sich in der Uhrenproduktion nie erlauben würde, ohne die eine Gesellschaft aber nicht auskommt.
»Die Zeit, als die Devise lautete ›The Business of Business is Business‹, ist vorbei.«
Judith Borowski Nomos-Geschäftsführerin
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