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- Kampf um höhere Löhne
Streik im IOC-Tempel
Gewerkschafterin Adéle Tellez und Angestellte des Luxushotels Collectionneur kämpfen für höhere Löhne
Es regnet, als Adéle Tellez am Freitagmorgen um 8.30 Uhr die Pforte zum Erdgeschoss-Büro in der Rue du Nantes aufschließt. Mon dieu, was für ein Regen! Ausgerechnet am Tag der Olympia-Eröffnung ist die Temperatur auf 18 Grad gefallen, aber der Gewerkschaftssekretärin des 19. Arrondissements ist das nicht unlieb. Etwas Abkühlung tut gut.
Viel zu tun in diesen Tagen, Urlaubszeit und die Olympischen Spiele kommen zusammen und ihr kleines Büro ist in diesen Tagen viel beschäftigt. Die 33-Jährige vertritt hier im Moment die gesamte Pariser Abteilung der Confédération générale du travail (Allgemeiner Gewerkschaftsbund), abgekürzt CGT, und seit Donnerstag steht ihr Telefon nicht mehr still: An diesem Tag entschlossen sich Angestellte der Luxusherberge Hotel du Collectionneur zum Arbeitskampf – ausgerechnet in dem Hotel, das während der Spiele das Internationale Olympische Komitee samt Präsident Thomas Bach beherbergt.
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Streik im IOC-Hotel! Einen Tag vor der Eröffnungszeremonie verbreitete die CGT über den Kurznachrichtendienst X ein Video, auf dem man ein Dutzend Köche und Mitarbeiter des Frühstücksservices in einem Hotelflur sieht, CGT-Fahnen schwenkend und Schilder hochhaltend: »Luxushotel, Hungerlöhne!« oder: »Kein 13. Monatsgehalt, kein Olympia!« Von 7 bis 9 Uhr legten etwa 30 Mitarbeiter die Arbeit nieder, mitten in der Frühstückszeit.
Sind Köche und Kellner dem IOC egal?
Die Gewerkschaft erklärte dazu auf Social Media die Hintergründe des Streiks: Seit sieben Jahren habe der Hotelbesitzer die Löhne nicht erhöht und nun eine läppische zweiprozentige Lohnerhöhung für die 250 Mitarbeiter angeboten. Andererseits kassiere der Art-deco-Tempel im vornehmen 8. Arrondissement allein während Olympia 22 Millionen Euro vom IOC, so die CGT. Die Betreiberfirma habe im vergangenen Jahr 9,5 Millionen Euro an die »Stakeholder« ausgezahlt. »Ist dem IOC bewusst, dass die gezahlten 22 Millionen direkt in die Tasche des Chefs fließen, ohne über die Mitarbeiterkasse zu gehen? Sind Köche, Kellner, Rezeptionisten und Techniker wertlos?«, fragt die Gewerkschaft.
Mit einem Bruchteil der IOC-Summe sei bereits das 13. Gehalt für alle finanzierbar, behauptet die CGT. Und bekommt dank Olympia dafür internationale Aufmerksamkeit: Legen die streiklustigen Franzosen gleich zum Olympia-Auftakt mit dem Protestieren los?
Sportreporter aus aller Welt melden sich seit Donnerstag bei Adéle Tellez: »Guardian«, France TV Info, RTL Belgien, »nd.DieWoche«. Was ist da los im IOC-Hotel? Es gibt viel zu erklären: Ihr Handy muss die Gewerkschafterin Tellez in diesen Tagen ständig aufladen, weil sie zudem auch noch Anrufer vom Greenline-Telefon der CGT annimmt. Bei dieser Hotline können sich Menschen während der Olympischen Spiele in Notfällen gewerkschaftlichen Rat holen.
Wird das Greenline-Angebot genutzt? »Ja, natürlich rufen Leute an. Manche sollen wegen Olympia unbezahlte Überstunden machen, andere sind wegen der Störungen in der Metro zu spät zur Arbeit gekommen und sollen nun den Lohn gekürzt bekommen.«
Adéle Tellez macht sich eine Tasse kalten Kaffee vom Vortag in der Mikrowelle warm, dann setzt sie sich an ihren Schreibtisch und erzählt. »Mit dem Streik im Hotel du Collectionneur hat das IOC ja eigentlich gar nichts zu tun«, sagt sie, »da geht es wirklich um die Situation im Hotel. Es geht um das 13. Monatsgehalt.« Das sei im Collectionneur während der Corona-Pandemie abgeschafft und nie wieder eingeführt worden. »Alle Fünfsternehotels im Großraum Paris zahlen ein 13. Gehalt. Nur das Collectionneur nicht.«
In Frankreich müssen Arbeitgeber einmal im Jahr mit den Gewerkschaftern in obligatorische Gehaltsverhandlungen gehen. »Alle Pariser Luxushotels haben sich vor Olympia mit den Angestellten geeinigt, nur das Collectionneur nicht.« Stattdessen schiebe der Besitzer die Verhandlungen vor sich her.
Die Franzosen und die Streiks, es ist eine lange Geschichte: In Frankreich darf grundsätzlich jeder streiken, das Streikrecht wurde bereits im 19. Jahrhundert eingeführt und hat Verfassungsrang, es wird in der Präambel der Verfassung erwähnt. Es müssen nur zwei Angestellte gemeinsam die Arbeit niederlegen, schon gilt das als Streik. In Deutschland, wo das Streikrecht ebenfalls im Grundgesetz verankert ist, dürfen hingegen nur Gewerkschaften zum Streik aufrufen.
Als gewählte Gewerkschafterin kann Adéle Tellez die Hälfte ihrer Arbeitszeit für die CGT einsetzen. Am Donnerstag stand sie selbst in rot-gelber CGT-Weste vor dem Luxushotel in der Rue de Courcelles und verteilte Flyer, die über den Arbeitskampf aufklärten. »Ins Hotel selbst durften wir nicht, kein Wunder, da sind ja Hunderte Polizisten ringsum.«
Koch ohne Akkreditierung
Auch Loris Toufania, der Gewerkschaftssekretär des Hotels, konnte nur vor dem Haus protestieren. Der Koch ist armenischer Abstammung und war schon zuvor bei einer Sicherheitsüberprüfung des Innenministeriums anlässlich der IOC-Anmietung des Hotels aussortiert worden. Der Nationale Verwaltungssicherheits-Ermittlungsdienst SNEAS verweigerte Toufania die Zulassung zur Akkreditierung für das IOC-Hotel. »Wir wissen nicht, ob die verweigerte Akkreditierung mit seiner Gewerkschaftsarbeit zusammenhängt oder mit seinem Einsatz bei Protesten gegen Aserbaidschan«, sagt Tellez.
Für das IOC ist die Angelegenheit reichlich unangenehm. Der Ringe-Bund hat das fürstlich ausgestattete 487-Zimmer-Haus komplett für Olympia geblockt. Das günstigste Zimmer Mitte September ist auf Booking.com für 580 Euro buchbar. Real Madrid und andere Fußballclubs mieten sich hier gerne ein, wenn sie zu Champions-League-Spielen bei Paris St. Germain antreten. Im Februar hielt die Uefa in dem Traditionshaus einen großen Kongress ab.
Das Durchschnittsgehalt der Collectionneur-Angestellten beträgt laut Gewerkschaft 2200 Euro – brutto. Dass wegen der Streiks besondere Aufmerksamkeit auf den Widerspruch zwischen Niedriglohn-Verdienern und Sport-Granden gerichtet wird, dürfte dem deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach kaum gefallen. Eine »nd«-Anfrage an seinen Sprecher blieb bis gestern Nachmittag unbeantwortet.
Auch die Hotel-Betreiberfirma The Gate Collection machte gegenüber dieser Zeitung keine Aussagen über den Arbeitskampf seiner Angestellten. Telefonisch war niemand zu erreichen, Fragen per Mail wurden nicht beantwortet. Gegenüber dem »Guardian« gab The Gate Collection immerhin ein Statement ab, das besagte, man sei »in respektvollen Verhandlungen« mit den Angestellten über ein 13. Monatsgehalt. »Unser Hotel wird in dieser Zeit weiterhin optimal funktionieren.«
Die Collectionneur-Angestellten indes haben mit dem Streik selbst Bewegung in die Angelegenheit gebracht. Sie fordern Verhandlungen über die Gehälter schon am Montag, bis Freitagnachmittag gab es dafür noch keine Zusage des Hoteleigners. »Man kann Tarifverhandlungen so oder so führen«, sagt Adéle Tellez. »Langsam oder schnell, einmal die Woche, oder einmal im Monat.« Sie zuckt die Achseln und lächelt: »Wir wollen, dass es jetzt schnell geht. Wenn nichts passiert, wird am Dienstag wieder gestreikt!«
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