Gegen die zehn Zeilen dichten

Man muss schon aufpassen, wenn man Lyrik liest: Drei Empfehlungen aus den vergangenen Monaten

  • Vincent Sauer
  • Lesedauer: 4 Min.
Wie tickt diese Lyrik? In den Gedichten von Fabian Lenthe ticken immer wieder Uhren.
Wie tickt diese Lyrik? In den Gedichten von Fabian Lenthe ticken immer wieder Uhren.

Die Lyrik hat’s nicht leicht. Die schmalen Bände aus kleinen Verlagen ohne vollständige Verständnis- geschweige denn Unterhaltungsgarantie bilden nicht die optimale Strandlektüre. Man muss schon aufpassen, wenn man Lyrik liest, sich Zeit nehmen, den Widerstand der Worte ertragen. Und im Herbst bekommt der eigenwillig-originelle Dichter Oswald Egger den Büchnerpreis. Über ihn wird genug geschrieben – wir raten heute zu drei anderen Veröffentlichungen ganz unterschiedlicher Art aus den letzten Monaten.

»Die Nacht der Hungerputten« klingt wie ein Horror-B-Movie aus den grellen Siebzigern, es handelt sich aber um den mittlerweile dritten Band von Georg Leß, erschienen im renommierten kookbooks-Verlag, der übrigens sehr ansprechend als eine Art edles Chapbook gestaltet ist. Der Dichter interessiert sich für das in der Verskunst nicht gerade geläufige Thema Horror-Film, baut aber keine Fan-Fiction mit Zeilensprung, sondern schafft eigentümliche Gedichte, die spielerisch-präzis in komplexer Syntax die Wahrnehmung verrücken und so zu einer Poetisierung des Abwegigen im Alltag beitragen, ohne lyrisch zu verklären.

Hoher, aber nie behäbiger Ton, absurde Körperbetrachtungen, Morbides und Politisches kommen zusammen, oftmals mit witzigen Wendungen. In »Gegen Die Zehn Zeilen«, vielleicht eine subtile Kritik am Maßzwang und Routinedrang, heißt es zum Schluss: »in Zukunft werde ich Teil, werde ich Großteil sein und nehmen, randvoll / mit Spendeorganen, die Fülle verwalten / durchs Prämiensystem vom Roten Kreuz ein Schneidebrettchen erhalten«. Liebevoller klingen diese Verse aus dem Gedicht »Gegen das Autobiografische«: »vorgestern froren im Fall / zwei Hagelkörner aneinander fest und kamen heiler an«.

Im Elif-Verlag von Dinçer Güçyeter erschien mit »Eine Sternwarte im Badezimmer« ein Band des chilenischen Dichters Tomás Cohen. Drei liegen bislang auf Spanisch vor, nun hat Luisa Donnerberg eine deutsche Übersetzung vorgelegt, die sich sehr gut liest. Cohen hat Malerei studiert – und praktiziert diese auch – zudem hat er Musikwissenschaft und auch noch Sanskrit gelernt. Er meint es Ernst mit der Poesie. Zu seinen Gewährsmännern gehören Novalis und William Blake, dem Komponisten Bela Bartók ist ein Gedicht gewidmet, Beethovens 6. Sinfonie wird an anderer Stelle zitiert.

In vier Kapiteln, die eine Auswahl aus Jahrzehnten des Schreibens zwischen Chile, New York, Tibet, Hamburg und Berlin bilden, lernen wir einen Dichter kennen, der im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen die großen Themen Liebe, Tod, Geburt und tiefe Blicke nach innen aufbietet. Er lässt die Sprache, das Dichten, die Existenz betreffen. Deswegen gibt es in den Gedichten kein Geplapper oder verstohlene Argumentationen, sondern man bekommt den Eindruck, dass lauter Augenblicksgötter durch die Welt ziehen, wenn der Blick das zulässt. Die Lyrik Cohens ist formal streng, die Rhythmen holpern nicht. Dabei haben wir es nicht mit massiven Monolithen zu tun, sondern fragilen Gebilden: »Er rieb sich die Augen / denn es war schwer sie zu sehen / Und als er sie wieder öffnete / sah er sie nie wieder«. Auch finden sich zarte Gedichte über Elternschaft: Auf einem Spielplatz in Hamburg gibt es »niemand, der vorgibt, ein fertiger Mensch zu sein«. Cohen öffnet durch die Sprache die weltgewandten Augen. Wenn man den Dingen ganz nahekommt »öffne ich Welten in der Welt. / Wofür ein Paradies«.

Gefühlt neunzig Prozent der Literaturfabrizierenden lebt in Berlin, in Nürnberg aber wohnen Franz Dobler und auch Fabian Lenthe, dessen Debüt »Streichhölzer« im XS-Verlag erschienen ist – und die Lektüre der Texte kann tatsächlich so lange dauern, wie ein Streichholz zum Abbrennen braucht. Akademisch-hochgestochen könnte man Lenthes Gedichte epigrammatische Epiphanien nennen. Der Alltag ist nichtzauberisch-verworren, von dem wir hier lesen. Die Gewalt der Gesellschaft drückt an die Fenster. Trotzdem schaut jemand hin und dichtet drüber, spricht vom Verschwinden, tut es aber nicht, harrt aus in einem feindlichen Raum: »Nackt am Rand der Matratze / Auf dem Boden Asche und Schmerz // Neun Uhr fünfzig / Mit dem Schlimmsten rechnen«. Immer wieder ticken in diesen Gedichten Uhren.

Titel brauchen diese Gedichte keine. Lenthes Lyrik erinnert an einen der wenigen außerhalb der Schule vielgelesenen Lyriker: Charles Bukowski. Bei ihm geht’s nicht ganz so hart zu, aber die kurzen Zeilen, wo weder ein Wort zu viel noch ein allzu nobles extra-dichterisches auftauchen darf, erinnern an eine Zeit, als Lyrik auch in Amerika noch außerhalb der Creative-Writing-Uni-Seminare geschrieben wurde. »Das Aufgehen der Sonne / Ist längst nicht mehr / Als eine durchschnittliche Leistung // Ich teile eine Tablette / In zwei Hälften // Und sehe ihr dabei zu«. Kleine Wunder, wenn man sich nur Zeit nimmt.

Georg Leß: Die Nacht der Hungerputten. kookbooks, 32 S., br., 16 €.
Tomás Cohen: Eine Sternwarte im Badezimmer. Aus dem Spanischen von Luisa Donnerberg. Elif, 128 S., geb., 20 €.
Fabian Lenthe: Streichhölzer. XS-Verlag, 96 S., br., 18 €.

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