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  • Thet Htar Thuzar und Phone Pyae

Keine Zeit für Helden aus Myanmar

In dem südostasiatischen Land überschattet der Bürgerkrieg auch die Spiele in Paris

  • Felix Lill, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Badmintonspielerin Thet Htar Thuzar bildet zusammen mit dem Schwimmer Phone Pyae Han das kleine Olympiateam aus Myanmar.
Badmintonspielerin Thet Htar Thuzar bildet zusammen mit dem Schwimmer Phone Pyae Han das kleine Olympiateam aus Myanmar.

Wird Soe Moe Thu gefragt, ob er die Olympischen Spiele verfolgt, schüttelt er den Kopf: »Im Moment sind die Menschen in Myanmar nur daran interessiert, die Militärdiktatur zu besiegen«, sagt er in bestimmtem Ton. Von diesem Sportereignis, das da am anderen Ende der Welt stattfinde, kriege man gar nichts mit, und das sei auch gut so: »An den Olympischen Spielen und der nationalen Delegation haben wir kein Interesse.«

Soe Moe Thu spricht bestimmt nicht für alle 54 Millionen Einwohner, aber sicherlich für einen großen Teil davon. Er arbeitet für das Demokratische Schattenkabinett Myanmars, das populäre Unterstützung genießt. Diese »Regierung in Opposition«, wie sie sich nennt, erhebt Anspruch auf die Regierungsgeschäfte, beruft sich auf die letzten Wahlergebnisse aus dem November 2020.

International aber wird Myanmar nicht von Thu und seinen demokratischen Mitstreitern vertreten, sondern von der Militärjunta, die sich im Februar 2021 an die Macht geputscht hat. In den Augen derer, die im südostasiatischen Land für Demokratie kämpfen, hat der Putsch damit auch empfindliche Auswirkungen auf Myanmars Auftritt bei Olympia in Paris, wohin nur eine Athletin und ein Athlet aus Myanmar gereist sind, die Badmintonspielerin Thet Htar Thuzar und der Schwimmer Phone Pyae Han.

Athleten haben Angst vor der Militärjunta

Dabei sehen Soe Moe Thu und seine Mitstreiter diese Athleten eben nicht als Helden – wenn schon als irgendwas, dann wohl eher als Verräter: »Im Moment stehen alle Institutionen Myanmars, das Nationale Olympische Komitee eingeschlossen, unter der Kontrolle der Militärjunta«, so Thu. »Ich habe diesmal auch von keinem Athleten gehört, der es offiziell aus diesem Grund abgelehnt hätte, bei den Spielen von Paris für Myanmar zu starten.«

In diesen Tagen treten die zwei sportlich Gesandten in Paris an. Thet Htar Thuzar verlor ihr Auftaktmatch im Badminton am Samstag klar gegen die Japanerin Akane Yamaguchi. Phone Pyae Han startet an diesem Dienstag über 100 Meter Freistil. Aber können die beiden nun als Kollaborateure gelten, als Nutznießer der Junta? Soe Moe Thu ist da vorsichtig: »Es gibt natürlich Athleten, die das ablehnen wollen. Aber einige haben Angst vor diesem Schritt, weil sie das brutale Militär fürchten.«

Brutal ist das Militär tatsächlich. Laut der Unterstützungsorganisation für politische Gefangene in Myanmar sind seit dem Militärputsch mehr als 27 000 Menschen gefangengenommen und 1250 durch das Militär getötet worden. Die Junta soll wiederholt Luftangriffe auf Dörfer gestartet haben und in Krankenhäuser und auf Schulen geschossen haben. Auch der Widerstand ist längst bewaffnet. Es herrscht Bürgerkrieg.

Sport könnte das Land wieder zusammenbringen

Nicht wenige Athletinnen und Athleten haben ihre Sportprofession aufgegeben und kämpfen – auf der Seite des Militärs, in einer regionalen Rebellengruppe oder im demokratischen Widerstand. Neben der Zerstörung von Infrastruktur und der Zerrüttung von Wettbewerbsterminen wirft auch dies den Sport zurück: Immer weniger Menschen verfolgen sportliche Wettkämpfe.

Dabei könnte Sport eine Rolle dabei spielen, das diverse und zutiefst zerstrittene Land wieder zusammenzubringen, glaubt Jonathan Liljeblad, der als Politikprofessor an der Australian National University zu Myanmar forscht: »Was könnte das Land zusammenführen? Es ist ja schon seit Jahrhunderten durch kulturelle Unterschiede geprägt. Und was wir heute als Myanmar kennen, ist ein Produkt des britischen Kolonialismus«, erklärt Liljeblad.

»Aber die meisten im Land haben einen Wunsch nach Einheit. Und klar, Sport könnte da helfen.« Zumal im Zuge einer Demokratisierungsperiode zu Anfang des vergangenen Jahrzehnts auch der Grad der Internationalisierung zugenommen habe – und damit die Aufmerksamkeit für die Sportwelt: »In den letzten Jahren vor dem Putsch sind viele globale Events, einschließlich der Olympischen Spiele, auch wirklich beliebt geworden«, bestätigt Liljeblad. Doch derzeit überwiegen die Differenzen.

Olympia hat keine Priorität

Medien in Myanmar berichten bisher eher wenig über die Olympischen Spiele in Paris, die immerhin die größte Sportveranstaltung der Welt sind. Die wichtigeren Themen beziehen sich auf den Bürgerkrieg. Wobei sich dies schon bei der letzten Sommerausgabe von Olympia abzeichnete. Damals erklärte ein Sportler aus freien Stücken, dass Sport derzeit nicht die Priorität sein sollte.

Win Htet Oo, der sich erstmals für Olympia qualifiziert hatte, verkündete im Vorfeld der Spiele von Tokio, ein halbes Jahr nach dem Putsch auf medienwirksame Weise seinen Verzicht auf die Olympiateilnahme. Er wolle nicht unter Myanmars Flagge antreten, an der nun Blut klebe. Oo machte einige Tage lang weltweit Schlagzeilen. Danach wurde es still um ihn, Medienanfragen beantwortete er keine mehr.

Die zwei Sportler, die nun für Myanmar antreten, halten sich mit politischen Äußerungen zurück. Dass andere Athleten, wie vor drei Jahren der Schwimmer Oo, einfach keinen Sport mehr treiben, ist denkbar. Denn kleiner als diesmal war Myanmars Olympiadelegation zuletzt 1984.

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