Die Scheinwelt der Hannah Neeleman

Berühmte Tradwives wie Hannah Neeleman zeigen: Eine Frau scheint vor allem dann eine gute Frau zu sein, wenn sie leidet und erschöpft ist

Ballerina Farm – Die Scheinwelt der Hannah Neeleman

Schönheitsqueen, ehemalige angehende Top-Ballerina, Multi-Millionärin, Bäuerin, Social Media-Star, achtfache Mutter, Mormonin, Ehefrau eines milliardenschweren Erben, Unternehmerin, Sauerteig-Expertin, Königin der Tradwife-Bewegung: Es gibt viele Titel, mit denen man die 34-jährige US-Influencerin Hannah Neeleman beschmeißen könnte. Seit ein paar Tagen ist quasi ein neuer hinzugekommen: Desperate Housewife. Wie konnte das passieren? Doch der Reihe nach. 

Hannah Neeleman unterhält seit Jahren unter dem Namen »Ballerina Farm« Millionen Follower*innen weltweit – auf Instagram, YouTube, TikTok. In ästhetischen Videos melkt sie Kühe auf ihrer Farm, steht in der Holzhausküche vor ihrem selbst angesetzten Sauerteig, backt Brot, schlägt Butter, haut auch mal ein rohes Ei in ihren Smoothie. Dazwischen rennen ihre Kinder oder Tiere durchs Bild – oder der Ehemann präsentiert ein neues technisches Spielzeug für die Farm. Man kann das Ganze je nach Gusto als unfassbar naturnah-romantisch oder aber als tristes »sad beige«-Gesamtkunstwerk labeln. Und man kann natürlich auch davon ausgehen, dass man in dem scheinbar beiläufig produziertem Content mehr Schein als Sein findet.

Nadia Shehadeh
Bielefeld

Nadia Shehadeh ist Soziologin und Autorin, wohnt in Bielefeld und lebt für Live-Musik, Pop-Absurditäten und Deko-Ramsch. Sie war lange Kolumnistin des »Missy Magazine« und ist außerdem seit vielen Jahren Mitbetreiberin des Blogs Mädchenmannschaft. Zuletzt hat Shehadeh bei Ullstein das Buch »Anti-Girlboss. Den Kapitalismus vom Sofa aus bekämpfen« veröffentlicht. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Pop-Richtfest«.

Schon vor einiger Zeit ist aufmerksamen Follower*innen aufgefallen, dass das Inszenieren des einfachen und bescheidenen Lebens auf der »Ballerina Farm« gar nicht so einfach und bescheiden ist. Zum Beispiel bemerkten einige, dass Neeleman eine Herd-/Ofenkombination nutzt, die mehrere tausend Euro kostet – sowohl in der Anschaffung, als auch bei der Installation. Überraschung: Ist das Aussteigerleben auf einer Farm gar nicht so »aussteigerisch«, sondern die Grundvoraussetzung dafür Kapital im Hintergrund?

Nun sorgte zudem ein Porträt in der »Times« für Furore. Was von Familie Neeleman wahrscheinlich als PR-Move gedacht war, wird seit Tagen zum Disaster erklärt. Statt Neeleman als hart arbeitende Beauty-Queen zu zeigen, sei nun anderes »offenbart« worden: ein vielleicht kontrollierender, mindestens aber sehr mansplainender Ehemann, ein Leben am Rande der Erschöpfung und aufgegebene Träume über eine Karriere als Ballerina. Ein traditionelles Leben das nicht so rosig ist wie das Internet suggeriert. Und in Bezug auf Hannah Neeleman kamen Fragen kamen auf.

Ist es vielleicht gar nicht so geil, acht Kinder zu haben und den Farm-Aussteiger-Traum eines schwerreichen Ehemanns zu leben statt den eigenen? Und das ohne Nanny, weil der konservative Ehemann das nicht so prall findet? Ist es vielleicht stressig, ein paar Tage nach der Geburt des jüngsten Babies bei einem Schönheitswettbewerb anzutreten? Sind die ästhetischen Bilder auf Instagram und Co. in Wahrheit nur Zeugnis der Selbstgeißelung und Aufopferung? Ist es arschig vom Ehemann (der Erbe eines Flugunternehmens ist) seiner Ehefrau zum Geburtstag eine Eierschürze statt wie von ihr erhofft Flugtickets nach Griechenland zu schenken? Weltweit kamen Leute ins Grübeln. Auch deutsche Gazetten schlugen nachdenkliche Töne an: Wird Hannah Neeleman alias »Ballerina Farm« gezwungen, eine traditionelle Frau zu sein?

In den sozialen Netzwerken baute sich eine Empathiewelle auf. Der Times-Artikel sei »das traurigste, was man seit langem gelesen hatte« beklagten einige User*innen auf Twitter. Neeleman hatte mit ihren Schilderungen anscheinend eine Mittleidspipeline angestochen. Das sich Aufgeben in einer heterosexuellen Beziehung, das ständige erschöpft sein durch Care-Arbeit, der Druck, immer perfekt und schön und fleißig zu sein: Hier fanden sich viele wieder. Und bekundeten ihre Solidarität mit Neeleman – die danach nie gefragt hatte, und natürlich unbeirrt weiter ihren Back- und Farmcontent hochlädt.

Ich habe in den vergangenen Monaten viel über die prominenten Internet-Tradwifes nachgedacht. Auch, weil ich gerne Haushaltscontent auf YouTube und Co. konsumiere. Ich verstehe, warum die heimelig wirkenden Fotos und Videos der Tradwifes Massen begeistern. Und ich kann nachvollziehen, was den Reiz von »Ballerina Farm« ausmacht. Das versteht auch mein Algorithmus, der mir Neelemans Content schon seit langem reinspült. Denn Neeleman lebt eigentlich mein Traumleben – man muss nur den nervigen Ehemann, die acht Kinder, die riesengroße Farm, die Schönheitswettbewerbe, das Mormonen-Dasein und Influencer-Dasein, die rohen Eier im Smoothie und Ballett weglassen. Aber ansonsten? Den ganzen Tag Brot backen statt ins Büro und damit das Auskommen sichern? Ein Träumchen! Das ist schließlich auch die Verheißung der Influencer*innen: Dass das eigene Alltagsleben, das oft schon schwer genug ist, der Brotjob sein kann. Einfach dafür bezahlt werden, dass man existiert? Ja hömma, wer möchte das nicht!

Dass die Videos dabei nur eine Scheinwelt präsentieren, ist mir natürlich klar. Schließlich filmen sich die Internet-Tradwives meist nur bei kuscheligen Haushaltstätigkeiten – und nicht etwa beim unglamourösen Kloputz. Plus: Noch mehr Geschmäckle hat das Ganze, wenn hinter der Tradwife-Inszenierung biblische oder politisch-konservative Motivationen stecken.

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Nara Smith, ursprünglich aus Deutschland und mittlerweile ebenfalls Influencerin, Model und Tradwife eines reichen US-Mormonen, treibt in den sozialen Medien ihre Rolle fast schon ironisiert auf die Spitze. In Abendkleidern stellt sie auf TikTok und Co. Zahnpasta, Mozzarella und Chips »from scratch« her – so, als hätte sie nichts Besseres zu tun. Die »Das bisschen Haushalt«-Illusion wird damit weiter befeuert, genauso wie die Idee, dass es zu Hause am Herd einfach am schönsten ist. Und das ist es ja wahrscheinlich. Vor allem dann, wenn man unfassbar viel Geld hat.

Deswegen finde ich auch, man muss ein bisschen die Kirche im Dorf lassen, wenn man nun zur (Ehren-)Rettung dieser schwerreichen und prominenten Influencerinnen aufruft. Eine Hannah Neeleman hat immer noch finanzielle Mittel, vielen Privilegien und noch mehr Möglichkeiten. Die Entscheidung, einen Milliardärserben zu heiraten, den man vorher lange verschmäht hat, wurde eigenständig getroffen. Das Mitwirken an der »Ballerina Farm«-Marke ebenfalls, auch wenn die Namensrechte an dem Unternehmen (wahrscheinlich aus Gründen) beim Ehemann liegen.

Aber Neeleman bedient durch ihre Interviewäußerungen einen wichtigen Aspekt: dass eine Frau vor allem dann eine gute Frau ist, wenn sie leidet und erschöpft ist. Hätte Neeleman im Interview erzählt, wie wunderschön leicht und einfach ihr Leben als Milliardärsgattin ist – sie wäre sehr schnell als abgehobenes Arschloch abgestempelt worden. Und so fügt sich das Times-Porträt wahrscheinlich doch ungewollt in das Scheinwelt-Puzzle ein, dass »Ballerina Farm« sorgsam kuratiert: Eine Welt, in der Fleiß, Schweiß und Opfer gerne in Kauf genommen werden, um den Großfamilienlebenstraum auf dem Land zu verwirklichen.

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