Radwege in Berlin: Mit Sicherheit verschätzt

Der Verkehrssenat tut nicht viel für Radwege – nun greifen Bündnisse zu eigenen Mitteln

So könnte es aussehen, wenn die Berliner Regierung mehr für Verkehrssicherheit tun würde.
So könnte es aussehen, wenn die Berliner Regierung mehr für Verkehrssicherheit tun würde.

Jeden Monat musste im Schnitt ein Mensch mit seinem Leben bezahlen. Zwölf Fahrradfahrer*innen starben 2023 als Opfer eines Straßenverkehrsunfalls. Dazu zählte die Hauptstadt über 7000 Personen, die 2023 mit dem Fahrrad im Verkehr verunglückt sind. Runtergebrochen sind das mehr als 19 am Tag. Dabei wären der Tod dieser zwölf Personen und die zahlreichen Verletzten vielleicht vermeidbar gewesen – hätte es nur (bessere) Radwege gegeben.

Den Ausbau dieser lebensrettenden Infrastruktur will die CDU-geführte Verkehrsverwaltung jetzt anscheinend verschleppen. »350 Millionen Euro will die Senatsverwaltung von Senatorin Bonde (CDU) bei den Radschnellverbindungen angeblich einsparen«, erklärte Ragnhild Sørensen, Sprecherin von Changing Cities in einer Pressemitteilung am Dienstag. »Von den geplanten 100 km werden damit nur etwa 13 km realisiert.« Nach Angaben der NGO sollen Altprojekte aus der Zeit der Vorgängerregierung autofreundlicher umgestaltet werden. Neue Projekte seien in dieser Legislatur gar nicht erst entstanden.

»Was muss eigentlich noch passieren, wie viele Radfahrende müssen noch auf Berliner Radwegen sterben?«

Mila Felg
Sprecherin Aktionsbündnis »Sand im Getriebe«

»Was muss eigentlich noch passieren, wie viele Radfahrende müssen noch auf Berliner Radwegen sterben?«, reagiert Mila Felg, Sprecherin des Aktionsbündnisses »Sand im Getriebe« in einer Pressemitteilung am Donnerstag. Die Aktivist*innen nehmen die Verkehrswende selber in die Hand. In der Nacht zum Donnerstag errichteten sie auf der Berliner Allee in Berlin-Weißensee einen Pop-up-Radfahrstreifen. Ein etwa 100 Meter langer Abschnitt mit neuen Fahrradsymbolen soll auf diese Weise eine von zwei Autospuren blockieren.

Felg erklärt, dass dies ein Protest gegen die Untätigkeit sei. Denn laut Mobilitätsgesetz müsste sich das Berliner Radnetz bis 2030 auf 2698 Kilometer ausweiten, bislang gebe es aber nicht mal 150 Kilometer. Es seien »nicht einmal 5 Prozent davon geschafft, dabei sind seit Inkrafttreten mehr als fünf Jahre vergangen«, so die Sprecherin. Die Verkehrssenatorin würde sich überdies »fröhlich gegen die Einschränkung des Autoverkehrs« aussprechen und das als Freiheit bezeichnen. Und für Radfahrende bleibe »die Freiheit, sich täglich in Lebensgefahr zu begeben?!«, fragt Felg.

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Nicht nur an Fahrradwegen wird gespart. Die Zahl neuer Fahrradstellplätze an Stationen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) nimmt auch ab. Dies schrieb Staatssekretär Johannes Wieczorek auf eine Anfrage des Linke-Abgeordneten Niklas Schenker. Wurden 2021 mit der rot-rot-grünen Vorgängerregierung noch 818 neue Stellplätze gebaut, waren es 2023 mit der neuen Regierung gerade einmal 212. Wieczorek schreibt, dass im Jahr 2025 bis zu 1000 sowie im Jahr 2026 bis zu 3000 Stellplätze errichtet werden sollen, allerdings vorbehaltlich der konkreten Planung und haushalterischer Voraussetzungen. »Ein klares Bekenntnis klingt anders!«, sagt dazu Ragnhild Sørensen von Changing Cities dem »nd«.

Indes erklärt Mobilitätssprecherin des Senats Petra Nelken auf Anfrage des »nd«, dass aufgrund der Haushaltssituation nicht alle Projekte zeitnah finanziert werden könnten. So musste »eine Priorisierung der Maßnahmen« erfolgen.

Von den geplanten Radschnellverbindungen (RSV) soll der Antrag für den Kronprinzessinnenweg am Wannsee »hochpriorisiert und schnellstmöglich« auf Planfeststellung gestellt werden. Das wäre eine Strecke von rund 13,8 Kilometern. Für den östlichen Abschnitt sollen vorangeschrittene Planungen bis hin zu einer möglichen Einreichung der Planfeststellungsunterlagen vorangetrieben werden. Der weitere Ausbau der pausierten RSV solle »in Abhängigkeit der Finanzierbarkeit fortgeführt werden«, so Nelken. Zudem erklärt Nelken gegenüber »nd«, dass von 19 Maßnahmen zum Bau von Fahrradwegen 16 mit geringfügigen Anpassungen freigegeben worden seien. Bei einer Maßnahme sei die Umsetzung nicht eingeplant, doch diese habe nie die Planungsreife erreicht.

Es bleibt: Berliner Radliebhaber*innen müssen primär selbst für die eigene Verkehrssicherheit sorgen. Dafür ist es gut zu wissen, dass ein Großteil der Verkehrsunfälle mit Radfahrer*innen im Innenstadtbereich passiert. So ergab eine Sonderuntersuchung der Polizei Berlin, dass es 2021 im Bezirk Mitte 1354 Unfällen gab. Das sind 19,44 Prozent aller Fahrradunfälle in der Hauptstadt. Dicht darauf folgen Friedrichshain-Kreuzberg mit 985 Unfällen und 14,14 Prozent, Pankow mit 775 Unfällen (11,13 Prozent) sowie Charlottenburg-Wilmersdorf mit 703 Unfällen (10,09 Prozent). In Randbezirken wie Spandau, Marzahn und Reinickendorf lagen die Unfallzahlen stets unter 300 und 4 Prozent.

Die Unfälle konzentrieren sich zudem auf den Zeitraum von Mai bis September. Um 6 Uhr morgens setzt das Unfallgeschehen ein, der Höhepunkt ist zwischen 15 und 18 Uhr erreicht. Ab 20 Uhr ist etwas Entspannung angesagt, denn da beginnt der starke Rückgang.

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