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Warschauer Aufstand: Keine zufällige Freundschaft
Bundespräsident Steinmeier nimmt am Gedenken an den Warschauer Aufstand vor 80 Jahren teil
Vier Widerstandskämpfer*innen, vor ihnen ein reich gedeckter Tisch mit Kaffee und Kuchen, dem sie keine Beachtung schenken. 1944 schlossen sie sich einem Aufstand in ihrer Heimatstadt an. Damit zählen sie zu den freiwilligen Soldat*innen der Armia Krajowa (AK), der polnischen Heimatarmee, die sich im Untergrund geformt hatte, um die deutschen Besatzer zurückzuschlagen. »Ehe wir hier vom Stuhl fallen, können wir ja was erzählen«, bricht eine der Veteran*innen ungezwungen das Schweigen. In einem Gedenkraum auf dem größten Friedhof, auf dem die Opfer des Warschauer Aufstands begraben sind, warten sie, um Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu treffen. Er ist das zweite deutsche Staatsoberhaupt, das zu dem Gedenken in die Hauptstadt eingeladen wurde. Vor ihm kam nur Roman Herzog.
Am 1. August jährt sich der Beginn des Warschauer Aufstands zum 80. Mal. Die Warschauer*innen wollten sich befreien, noch bevor sie von der herannahenden Roten Armee befreit werden würden. Die Nationalsozialisten schlugen den 63 Tage andauernden Aufstand aber brutal nieder: Etwa 200 000 Menschen wurden getötet, die meisten waren Zivilist*innen. Warschau wurde in Schutt und Asche gelegt. Die Ereignisse zählen zu den schlimmsten deutschen Kriegsverbrechen. In den Stadtteilen Ochota und Wola, in dem sich Steinmeier mit den Überlebenden trifft, wurden in den ersten Tagen des Aufstands bis zu 50.000 Menschen getötet.
Steinmeier nimmt sich Zeit für die Zeitzeugen
Über eine Stunde hat sich der Präsident Zeit genommen. Die Aufständischen spricht er direkt an und stellt unmittelbar Fragen und Rückfragen. Zum Zeitpunkt des Aufstands waren sie etwa zwölf Jahre alt. Steinmeier will wissen, was sie damals zum Kampf bewegte. Einer von ihnen antwortet, dass ihre Kindheit früh vorbei und durch die Hoffnung ersetzt worden sei, den Feind zu treffen und zu besiegen. Nach fünf Jahren deutscher Besatzung »sind alle zum Kampf gegangen; die Väter sind häufig schon gefallen – deswegen gingen auch Kinder wie ich auf das Schlachtfeld«. Ein anderer Aufständischer fügt hinzu: »Wir haben gesehen, wie Menschen erschossen wurden«, deshalb habe man sich wehren müssen. In Begleitung des Präsidenten sind der zweisprachige Paul Ziemiak als Vorsitzender der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe sowie Kulturministerin Claudia Roth angereist.
Als wäre es heute, könne er sich an sein brennendes Haus erinnern, erklärt Zeitzeuge Witold Lisowski. »Granatsplitter haben mich am Kopf und Bein getroffen, so sickerte mein Blut in diese Erde. Trotzdem sind wir Gäste der deutschen Botschaft, und wir ergreifen eine uns ausgestreckte Hand – ich habe gerade die Hand des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland geschüttelt.« Er ist sicher: »Diese Freundschaft ist nicht zufällig, sie ist nötig – auch für die Menschlichkeit.«
Lob für den Mut der Aufständischen
Das Treffen sei eine große Ehre, besonders weil es hier, »wo so viele Herzen begraben liegen«, stattfindet, so die Aufständische Wanda Traczyk-Stawska. Steinmeier erwidert: »In Wahrheit ist es so, dass Sie Mut gegen die deutsche Besatzungsherrschaft brauchten, und ich stelle mir vor, dass Sie diese auch 1945 für eine Wiederannäherung mit Deutschland brauchten.« Er könne sich dafür nur bedanken und wisse zugleich, dass Aussöhnung und Versöhnung nicht vom Himmel gefallen seien. Das wolle er auch am Abend in seiner Rede zum Ausdruck bringen.
Bei der offiziellen Gedenkveranstaltung bat er um Vergebung für die Verbrechen, die die Deutschen in Polen verübt haben. Das tat auch Roman Herzog, als er 1994 zu Gast war. Viele Pol*innen empfanden es aber als zu früh, als Lech Wałęsa ihn zum Gedenken einlud. Dass Herzog den Aufstand mit dem im Warschauer Ghetto im Jahr 1943 verwechselte, belastete seinen Auftritt umso mehr. Dieses Mal lief’s besser. Das Publikum unterbrach Steinmeiers Rede auf dem Krasiński-Platz mehrmals mit Applaus, und polnische Medien berichten bislang nüchtern vom Besuch.
Auch der Krieg in der Ukraine spielt eine Rolle
Gegen Ende der Rede rief eine Gruppe von Menschen nach »Wiedergutmachung«. Auch in Kommentarspalten findet sich diese Forderung zuhauf. Im Juli kündigte Bundeskanzler Scholz an, dass es Entschädigungen geben solle. Weder über die Höhe solcher Zahlungen noch über ihren Zeitpunkt ist Weiteres verkündet worden.
Bei der Kranzniederlegung am Denkmal für die Opfer des Massakers im Stadtteil Wola ist am nächsten Tag auch der polnische Präsident Andrzej Duda dabei. Er bittet, Steinmeiers Haltung mit Respekt zu begegnen, er sei »hier mit mir, um der Ermordeten und Gefallenen zu gedenken«. Duda gehört der abgewählten nationalkonservativen PiS an, die Deutschland immer wieder als Feind beschworen hat. In seiner Rede betonte Steinmeier, dass der Krieg in Europa zurück sei. Putin wolle die Ukraine zerstören und »uns alle« bedrohen. Auch die Warschauer Aufständischen erwähnen den Angriffskrieg im Osten im Gespräch immer wieder. »Für mich als alte Soldatin ist nicht die Ausstattung mit Waffen, sondern unsere Freundschaft und Zusammenarbeit entscheidend«, so Traczyk-Stawska. Der gemeinsame Bund sei auch der beste Schutz gegen die Bedrohung aus Russland.
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