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Wahlkampf in Sachsen: Mit Kettensägen und Söders Segen
CDU-Spitzenkandidat und Ministerpräsident Michael Kretschmer: Wichtigster Gegner ist die Berliner Ampel
Der Spitzenkandidat greift nicht selbst zur Kettensäge. Nur die örtlichen CDU-Bewerber dürfen an einem hölzernen Kauz schnitzen. Dabei wäre es ein eindrückliches Bild gewesen: der sächsische CDU-Landeschef Michael Kretschmer mit dem Werkzeug, dessen Symbolkraft für politische Botschaften erst kürzlich Javier Milei unter Beweis gestellt hatte. Im Wahlkampf um die Präsidentschaft in Argentinien deutete er mit der Säge an, wie brachial er das Land umzukrempeln gedachte. Kretschmer hätte im Walderlebniszentrum Blockhausen im Erzgebirge, in dem mithilfe von Kettensägen kunstvolle Skulpturen aus Holz entstehen, zum Beispiel an einer Ampel herumschnitzen können. Es wäre die treffende Illustration eines lobenden Satzes gewesen, den Bayerns CSU-Chef und Regierungschef Markus Söder über seinen sächsischen Kollegen sagte: »Man spürt, der Michael ist eben nicht nur der Filialleiter von Berlin.«
Söder ist an diesem Nachmittag ins Osterzgebirge gekommen, um Kretschmer im Wahlkampf zu unterstützen. Es ist ein Wahlkampf, der für die sächsische CDU am 1. September in der denkbar größten Schmach münden könnte: der ersten Niederlage bei der Wahl des Landesparlaments nach 34 Regierungsjahren. Zwar hat die CDU andere Wahlen im Freistaat schon verloren. Nach der Pleite bei der Bundestagswahl 2017 gab es ein politisches Erdbeben. Ministerpräsident Stanislaw Tillich trat zurück und installierte Kretschmer als seinen Nachfolger. Unter dessen Führung gingen weitere Wahlen verloren, zuletzt die für das Europa- und die Kommunalparlamente im Juni. Auf Landesebene aber konnte er ein solches Debakel 2019 noch abwenden. Ob das in vier Wochen erneut gelingt, ist fraglich. In fast allen Umfragen liegt die AfD stabil vor der Union.
Kretschmer immerhin kämpft entschlossen, und er tut das vor allem, indem er sich an der Berliner Koalition abarbeitet. Seit Wochen greift er das Regierungsbündnis aus SPD, Grünen und FDP an, teils mit bemerkenswerter verbaler Härte. Er warf der Ampel vor, sich wie eine »Monarchie auf vier Jahre« aufzuführen und die Demokratie zu zerstören, »weil sie die Menschen nicht ernst nimmt, nicht mit ihnen redet und nicht mit den Bürgern gemeinsam Probleme löst«. Auch Parallelen zur DDR in ihrer Endphase, wie sie sonst eher in AfD-Kreisen gezogen werden, scheute er nicht. Grüne und SPD in Sachsen, mit denen er seit 2019 gemeinsam regiert, zeigten sich irritiert bis erzürnt und rieten ihm, über das Land zu reden, statt sich an Berlin abzuarbeiten.
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In Blockhausen zeigte Kretschmer, dass er das eine tun kann, ohne das andere zu lassen. Vielmehr skizzierte er einen »sächsischen Weg« als Gegenbild zu der Politik, die seiner Ansicht nach in Berlin betrieben wird: »Wir stehen den Menschen nicht im Wege. Wir meinen nicht, sie erziehen zu müssen.« Die schärferen Angriffe überließ er Söder, der neben ihm zu den profiliertesten Ampel-Kritikern auf Länderebene gehört. Dieser merkte an, die beiden Freistaaten, die schon mit dieser Selbstbezeichnung ihre Eigenständigkeit ausdrückten, legten nach Gesprächen der Länder mit dem Bund regelmäßig Widerspruch per Protokollerklärung ein. Sachsen und Bayern seien »toll«, sagte Söder; sie hätten »nur ein Problem: dass wir in Deutschland liegen«. Schenkelklopfen erntete er in der ländlichen Gegend mit dem Satz: »In jedem Dorf in Deutschland steckt mehr Verstand als im gesamten Berliner Regierungsviertel.«
Inhaltlich sind sich die beiden Unionspolitiker in ihrer Kritik an Berlin einig. Im Fall der Migrationspolitik sagt Söder, man helfe gern, aber eine »unkontrollierte Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme« könne »nicht die Strategie für Deutschland sein«. Kretschmer mahnte zu einer Reduzierung der »illegalen« Migration. Die Einführung von Bezahlkarten und Grenzkontrollen zeige bereits Wirkung, die Zahlen seien aber immer noch zu hoch. Im Wahlkampf wirbt Kretschmer damit, nach bayerischem Vorbild eine eigene Grenzpolizei einführen zu wollen. Söder, dem immer wieder auch bundespolitische Ambitionen nachgesagt werden, erklärte mit explizitem Hinweis auf eine Blockadehaltung der Grünen beim Thema Abschiebungen: »Mit mir wird es kein Schwarz-Grün in Berlin geben.«
»Bayern und Sachsen sind toll. Sie haben nur ein Problem: dass sie in Deutschland liegen.«
Markus Söder Ministerpräsident Bayern
Auch die vom grünen Bundesminister Robert Habeck verkörperte Wirtschaftspolitik der Ampel bekam ihr Fett weg. Zu den Sätzen, die Kretschmer mantraartig wiederholt, gehört der, wonach »diese Energiewende gescheitert« sei. Es brauche einen Neustart »ohne Scheuklappen«, wozu die Berücksichtigung von Atomkraft und einheimischem Gas sowie die Kohleverstromung bis 2038 gehörten. Das Lieferketten- und das Heizungsgesetz sollten ausgesetzt werden, um lähmende Bürokratie zu beseitigen. Das Verbrennerverbot müsse, wie von der Union im Europawahlkampf versprochen, gekippt werden. Die Bundesdeutschen seien »keine Versuchskaninchen für grüne ideologische Experimente«, sagte Söder und merkte an, vor allem Menschen außerhalb der Städte brauchten weiterhin Autos mit Benzin- oder Dieselmotor. In Gegenden wie Blockhausen, merkte er an, »fährt auch in ein paar Jahren noch keine U-Bahn«.
In der sächsischen CDU wurde der teils aggressive Ton Kretschmers gegenüber der Bundesregierung damit begründet, dass man den Frust und die Wut nicht der AfD überlassen wolle. Manche Beobachter merkten allerdings an, der CDU-Ministerpräsident werde darüber den Wutbürgern, mit denen er aus ebendiesem Grund seit seinem Amtsantritt beharrlich das Gespräch sucht, immer ähnlicher. Offen bleibt zudem, ob sowohl die demonstrative Dialogbereitschaft als auch der zornige Gestus überhaupt Wirkung zeigen. In der Gemeinde Dorfchemnitz, in der Blockhausen liegt, war Kretschmer zuletzt immer wieder zu Besuch. Das Dorf machte Furore, weil dort bereits bei der Bundestagswahl 2017 die AfD mit 45,4 Prozent ein Rekordergebnis einfuhr. Zur Erklärung hieß es damals, man fühle sich in einem »Tal der Vergessenen«. Seither flossen erhebliche Fördermittel in den Ort und der Regierungschef zeigte sich beim Unternehmerstammtisch oder zum Kettensägen-Festival. Bei der Bundestagswahl 2021 stimmten dann 47,9 Prozent für die AfD, bei der Europawahl 2024 waren es gar 54,5 Prozent. Die CDU, die hier bis zum Aufstieg der AfD nahe an 60 Prozent lag, kam auf knapp 22 Prozent.
Fiele das Ergebnis am 1. September in vielen Orten ähnlich aus, sähe es düster aus für die CDU und für Kretschmer, der bei einer Wahlpleite seiner Partei erheblich unter Druck geraten dürfte. Beinahe inständig appelliert er daher an seine Zuhörer, bei der Wahlentscheidung in Sachsen nicht die Wut dominieren zu lassen. Das Bundesland habe nicht so viel Geld wie Bayern und müsse das mit Intelligenz kompensieren, sagte er: »Zur Intelligenz gehört aber auch, nicht einfach nur Protest zu wählen. Das interessiert in Berlin keinen.« Vielmehr sollten die Menschen sagen, welche Politik, welche Partei und welchen Ministerpräsidenten sie wollen. Das könnten sie »nach Möglichkeit auch an den Balkon oder den Gartenzaun ranschreiben mit einem Plakat«. Sie könnten es auch mit einer Kettensäge in einen Holzklotz schnitzen. Das Werkzeug, mit dem unter Kretschmers und Söders Augen an dem Kauz gearbeitet wurde, war im Übrigen batteriebetrieben und kam ohne Verbrennermotor aus.
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