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Spanien: »Kein ausreichender Schutz bei Entlassungen«

Europarat: Arbeitsmarktpolitik Spaniens verstößt gegen die Europäische Sozialcharta

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 3 Min.
Arbeitsministerin Yolanda Díaz und Ministerpräsident Pedro Sanchez
Arbeitsministerin Yolanda Díaz und Ministerpräsident Pedro Sanchez

»Grundlos und willkürlich zu kündigen, ist zu einfach«, meint Fernando Luján, Sprecher der spanischen Gewerkschaft UGT. Vor wenigen Tagen hatte ein wichtiges Gremium des Europarates einer Beschwerde der UGT Recht gegeben. Der Ausschuss für soziale Rechte, der über die Einhaltung der Europäischen Sozialcharta wacht, erklärte, »dass die spanische Gesetzgebung Arbeitnehmern keinen ausreichenden Schutz bei Entlassungen ohne triftigen Grund bietet und daher nicht mit der Revidierten Europäischen Sozialcharta vereinbar ist«.

Auch nach der Arbeitsmarktreform von Arbeitsministerin Yolanda Díaz aus dem Jahr 2022 wird demnach Artikel 24 des völkerrechtlich verbindlichen Abkommens weiter verletzt. Der Entschädigungsmechanismus und die Auslegung durch Gerichte ermöglichen es den Opfern nicht, »eine ausreichende Entschädigung zu erhalten, die den erlittenen Schaden deckt und eine abschreckende Wirkung auf die Arbeitgeber hat«, erklärt der Ausschuss. Arbeitnehmer haben aber ein Recht auf eine angemessene Entschädigung, die im Bezug zum tatsächlich erlittenen Schaden steht.

Vordergründig geht es nur um Abfindungen, real steht aber der unzureichende Kündigungsschutz dahinter, worauf die UGT hinweist, die der sozialdemokratischen Regierung nahesteht. Vor einer Arbeitsmarktreform der Vorgängerregierung der konservativen Volkspartei (PP) im Jahr 2013, gegen die es massive Proteste und auch einen Generalstreik gab, waren Abfindungen noch zentraler Teil des Kündigungsschutzes. Die Sozialdemokraten (PSOE) hatten versprochen, diese Neuregelung wieder zu streichen. In Sozialpaktgesprächen mit Arbeitgebern und Gewerkschaften wurde indes nur ein Reförmchen ausgehandelt, das Unternehmerverbände beklatschten. »95 Prozent« der PP-Reform seien nun bestätigt, hieß es aus ihren Reihen. Scharfe Kritik kam indes von linken Parteien, die die Regierung ansonsten stützten, und von den Gewerkschaften.

Mit ihrer Beschwerde beim Europarat machte die UGT klar, wie mangelhaft auch sie die mit knapper Mehrheit im Parlament angenommene Reform sieht. Es sei »nicht akzeptabel«, dass Abfindungen im Durchschnitt um mehr als 50 Prozent auf etwa 9000 Euro gekürzt wurden, wie Sprecher Luján vorrechnet. Da unbegründete Kündigungen billig sind, wird das genutzt, um sich älterer Beschäftigter zu entledigen, die gemäß den Lohngruppen-Anpassungen bei langer Betriebszugehörigkeit relativ hohe Gehälter erhalten. Neuangestellte Arbeiter erhalten hingegen oft nur den Mindestlohn. Hinzu kommt, dass das »Übergangsgehalt« für die Zeit zwischen Kündigung und einem Urteil des Arbeitsgerichts nicht gezahlt werden muss.

Die Justiz wiederum ordnet eher selten die Wiedereinstellung nach einer Kündigung an. Bisweilen geschieht das nur, wenn die Belegschaft dagegen streikt. Streiks über Jahre können sich spanische Gewerkschaften aber nicht leisten, die keine Streikkassen haben.

Statt nach dem Spruch des Europäischen Ausschusses für soziale Rechte nun Druck zu machen, setzt UGT-Chef Pepe Álvarez auf neue Sozialpaktgespräche nach dem Sommer. Dort solle darüber verhandelt werden, »wie die Entscheidung ins spanische Recht überführt werden kann«. Álvarez hofft auch darauf, dass Gerichte nun Abfindungen hochsetzen.

Arbeitsministerin Yolanda Díaz von der Linkspartei Movimiento Sumar will mit »völliger Ruhe« das Thema angehen. Kündigungen seien »kein Problem« in Spanien, behauptet sie. Die Bereitschaft zu Änderungen sind in der PSOE noch geringer, und das Arbeitgeberlager reagiert schon gereizt. Allerdings hatte das Justizministerium bereits vor der Ratifizierung der Sozialcharta in Spanien in einem Gutachten festgestellt, dass die Entscheidungen des Ausschusses »zwingend« umgesetzt werden müssen.

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