»Touch«: Unvergessenes Glück

Baltasar Kormákur erzählt in »Touch« auf bewegende Weise von einer großen Liebe und einem folgenschweren Geheimnis

  • Susanne Gietl
  • Lesedauer: 4 Min.
Es ist nie zu spät für schöne Erinnerungen.
Es ist nie zu spät für schöne Erinnerungen.

Wahrscheinlich besitzt sie jeder Mensch. Diese Kiste mit besonderen Erinnerungen aus der Kindheit oder Jugend. Regisseur Baltasar Kormákur öffnet sie in dem berührenden Drama »Touch«, in dem er in vielen Rückblicken nicht nur von einer großen Liebe erzählt, sondern von einem Ereignis, das Generationen später noch nachwirkt.

»Touch« basiert auf dem Roman »Snerting« von Ólafur Jóhann Ólafsson, mit dem Kormákur das Drehbuch schrieb. Nicht nur wegen des liebevollen japanischen Dekors des Restaurants, wo ein großer Teil des Filmes spielt, und der hervorragenden Darsteller, die auch das stille Spiel beherrschen, wird »Touch« zum Wohlfühlort.

»Touch« ist keine von Trauer geprägte Geschichte. Den ganzen Film über strahlt Kristófer auf seiner großen Reise eine gewisse Zuversicht aus.

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Die Handlung setzt in Reykjavík an. Kristófer (Egill Ólafsson) führt dort ein isländisches Restaurant und lebt seit dem Tod seiner Frau allein. Seine große Liebe Miko (Kōki) hat er vor rund 50 Jahren aus den Augen verloren. Die Tochter des japanischen Restaurantbesitzers Takahashi-san (Masahiro Motoki) lernte der junge Kristófer (Pálmi Kormákur) durch Zufall während seiner Studienzeit in London kennen und war seit ihrer ersten Begegnung von der jungen Frau fasziniert. Als Kristófer kurz vor dem Covid-Lockdown Demenz im Anfangsstadium attestiert wird, reist er kurz entschlossen aus dem schneebedeckten Island nach London, um zu verstehen, was sie damals trennte.

Zumeist wird Kristófer – auch pandemiebedingt – allein gezeigt. Die Räumlichkeiten des ehemaligen japanischen Restaurants von Takahashi-san, die mittlerweile zum Tattoostudio umgewandelt wurden, besucht der Senior allein. Auch im Hotel ist er der einzige Gast. Dass er nicht im Hotel-Restaurant telefonieren darf, ist ein unfreiwillig komischer Moment, da er mit dem Klavierspieler im Saal allein ist. Das passt, denn »Touch« ist keine von Trauer geprägte Geschichte. Den ganzen Film über strahlt Kristófer auf seiner großen Reise eine gewisse Zuversicht aus.

Die Bilder aus der Vergangenheit sind warmherzige Rückblicke. Kristófer entdeckt durch Zufall ein Restaurant namens »Nippon«. Er bewirbt sich dort aus einem Jux seiner Kommilitonen heraus als Tellerwäscher und betritt eine feine kleine Welt. Den Mittelpunkt bilden Miko und ihr behutsames Kennenlernen, geprägt von flüchtigen Berührungen, Blicken und kleinen Gesprächen im Hinterhof.

Nebenbei spürt man das Flair der 60er Jahre. Kristófer nimmt anfangs an Studentenprotesten teil, er trägt Schlaghosen und hört John Lennons »Give Peace a Chance«. Kristófer liest einen Zeitungsbericht über den gewaltfreien Protest von John Lennon und Yoko Ono, während Miko mehr Gründe hätte, für den Frieden auf die Straße zu gehen. Sie ist eine »Hibakusha« (was das bedeutet, wird hier nicht verraten). Nach und nach offenbart die Japanerin Kristófer, dass sie ihre Heimat aus der Not heraus verlassen musste. Warum Miko ihre Liebe vor ihrem strengen Vater geheim hält, wird der Isländer erst später verstehen.

Regisseur Baltasar Kormákur wechselt ständig zwischen Vergangenheit und Gegenwart, was erstaunlich gut funktioniert. Kameramann Bergsteinn Björgúlfsson benutzte für alle Szenen aus der Vergangenheit alte Linsen, wodurch sie sich durch einen angenehmen Sepiastich klar von der kälteren Realität des alten Kristófer abgrenzen.

Orte und Situationen verwebt der Regisseur meisterhaft miteinander. Eine Tür in der Vergangenheit öffnet sich, im nächsten Moment befindet man sich mit dem Senior in einem Zimmer in der Gegenwart. Auch die Musik nutzt Kormákur, um von einer Zeit in eine andere überzugehen. Komponist Högni Egilsson las das Drehbuch, besuchte das Filmset und schrieb dann den Soundtrack zum Film. Und so wirkt es, als wäre man Teil des Bewusstseinsstroms des alten Kristófer.

Für Schauspieler und Sänger Egill Ólafsson, der an Parkinson erkrankt ist, ist es sein letztes Projekt als Schauspieler, was dem Film eine ganz besonders persönliche Note verleiht. Ólafssons Mutter ließ sich in späten Jahren von seinem Vater scheiden, um ihre erste Liebe wiederzufinden. Sie verbrachten ihre letzten Lebensjahre miteinander. »Touch« verwehrt sich eines klassischen Happy Ends wie diesem, sondern folgt zwei Menschen zwischen zwei Kontinenten, die sich ineinander verlieben, sich verlieren und doch nie vergessen haben, was einst war.

In Kormákurs Sohn Pálmi fand das Team den jungen Kristófer, der auch in jungen Jahren Sanftmut und Bescheidenheit ausstrahlt. Pálmi hatte nur wenig Schauspielerfahrung; Model und Songwriterin Kōki, die Miko verkörpert, gab 2022 ihr Debüt in einem Horrorfilm.

Eine andere Rolle besetzte der Regisseur aus seinem Gefühl heraus. Als Castingdirektorin Yoko Narahashi eine Szene vorlas, gab er ihr eine bedeutende Rolle in »Touch«. »Ich caste mit meinem Herzen und mit meinem Instinkt«, hat Kormákur in einem Interview mal gesagt. Diese Liebe spürt man von Anfang an.

»Touch«, Island 2023. Regie: Baltasar Kormákur. Drehbuch: Ólafur Jóhann Ólafsson, Baltasar Kormákur. Mit: Egill Ólafsson, Pálmi Kormákur, Kōki, Masahiro Motoki. 121 Min. Start: 8.8.

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