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Imane Khelif: Wer Frau ist, bestimmt der transfeindliche Mob
Veronika Kracher zur Debatte um die Boxerin Imane Khelif
In einer besseren Welt würde die Berichterstattung über den olympischen Boxkampf zwischen Imane Khelif und Angela Carini ungefähr so aussehen: »Algerierin Khelif besiegt Italienierin Carini im Boxen«. Und niemand außer Sport-Fans und Boxer*innen würde sich groß für diese Meldung interessieren, weil, seien wir ehrlich: Die meisten von uns kriegen von den Olympischen Spielen nur das Meme-Material mit. Aber wir leben in einer Welt, die vom Perpetuum Mobile rechter Empörungskultur angetrieben ist, und da kann eine Frau nicht einfach einen Boxkampf gewinnen, ohne dass ihr Körper zum Schlachtfeld eines frauenfeindlichen Kulturkriegs gemacht wird.
Denn die 25 Jahre alte Sportlerin habe erhöhte Testosteronwerte, und der Kreml-nahe Präsident der International Boxing Association (IBA), Umar Nasarowitsch Kremlew, gibt an, dass DNA-Tests eine Chromosomenstörung bei Khelif nachweisen würden: Sie sei intergeschlechtlich und hätte einen XY-Chromosomensatz. Khelif wurde deswegen von den Box-Weltmeisterschaften 2023 ausgeschlossen, das Internationale Olympische Komitee hingegen vertritt die Ansicht, dass der Ausschluss »willkürlich« und nicht ordnungsgemäß gewesen sei. Auch die Taiwanesin Lin Yu-ting sieht sich trans- und interfeindlichen Vorwürfen der IBA ausgesetzt, auch sie darf in Olympia antreten. Beides sind cis Frauen.
Trotzdem behaupten seit dem Boxkampf die Spitzenreiter der Rechten, und da vor allem transfeindliche Meinungsmacher, dass Khelif »ein Mann« sei, der »eine Frau im Boxring verprügelt« hätte. Der Vater der Boxerin sah sich inzwischen sogar dazu genötigt, Kinderfotos seiner Tochter – die in Algerien nicht einmal legal eine Transition durchführen dürfte, und die trotz misogyner Vorurteile und struktureller Diskriminierung eine Karriere im Kampfsport begonnen hat – zu veröffentlichen, um zu beweisen, dass es sich um ein Mädchen handelt. Auch Angela Carini hat sich mit ihrer Gegnerin solidarisiert.
Veronika Kracher, geboren 1990, hat Soziologie und Literatur studiert und ist seit 2015 regelmäßig als Autorin und Referentin mit den Arbeitsschwerpunkten Antifeminismus, Rechtsextremismus und Online-Radikalisierung tätig. Zudem ist sie Expertin für belastende Männer im Internet. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Jenseits des Patriarchats«.
Die üblichen Verdächtigen wie JK Rowling oder Alice Schwarzer ziehen in den Krieg, um »richtige Frauen« gegen »verkleidete Männer« zu verteidigen. Der notorische Frauenfeind Donald Trump entdeckt plötzlich seine feministische Seite und will nicht, dass Männer die Hand gegen Frauen erheben. Und auch Elon Musk, der immer noch nicht verwunden hat dass seine transgeschlechtliche Tochter nichts mehr mit ihm zu tun haben möchte, nutzt seine Plattform gegen Khelif zu hetzen.
»Trans Frauen raus aus dem Frauensport«, so der Tenor, der seit Jahren immer wieder aufflammt, wenn eine Frau, die nicht feminin genug ist, sportlichen Erfolg hat. Und alle diskutieren begeistert mit: konservative Zeitungen, rechte YouTuber, »besorgte Mütter«, verschwörungsideologische Telegram-Gruppen.
(An der Stelle: Wie viele transgeschlechtliche Profi-Sportlerinnen fallen Ihnen aus dem Stegreif ein? Die ganze Debatte ist verzerrt, da in der Regel nur von erfolgreichen trans Sportlerinnen berichtet wird, nicht über all diejenigen, die Kämpfe gegen cis Frauen verlieren.)
Dass Khelif keine trans Frau ist – egal. Transmisogynie betrifft nicht nur trans Frauen, sondern ALLE Frauen, die nicht genderkonform auftreten. Sie legitimiert eine Bestrafung jener, denen »Männlichkeit« attestiert wird, da diese eine patriarchale und somit herrschaftsförmige Vorstellung von Weiblickeit »beschmutzen« würden. Und da ist es auch egal, ob es sich zum Beispiel um eine maskulin auftretende cis Frau handelt – wer Frau ist, bestimmt der transfeindliche Mob.
Die ideale Dame muss jung, cis, schlank, grazil, zierlich, submissiv und weiß sein. Nichtweißen, und vor allem Schwarzen Frauen wird regelmäßig ihre Weiblichkeit abgesprochen. Es ist auch bezeichnend, dass der südafrikanischen Läuferin Caster Semenya ihr Geschlecht abgesprochen wurde, da auch sie wegen »Differences of Sexual Development« mehr Testosteron hat als andere Frauen.
Im Falle von Imane Khelif fallen also Rassismus, Misogynie, Trans- und Interfeindlichkeit zusammen. Kein Wunder, dass sich so viele Menschenfeinde gerade so begeistert auf die junge Sportlerin stürzen und ihrem Hass so offen freien Lauf lassen. Die Debatte über den Körper von Khelif offenbart, worum es rechten Kulturkriegern eigentlich geht: um patriarchale, biologistisch begründete Herrschaft über den als weiblich definierten Leib.
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