100 Jahre Berliner S-Bahn: Große Zukunftsfragen zum Jubiläum

Berliner S-Bahn feiert Jubiläum – und im Hintergrund wird um die Finanzierung gerungen

Der historische Sonderzug im Bahnhof Bernau
Der historische Sonderzug im Bahnhof Bernau

Zum 100. Jubiläum versprüht S-Bahn-Chef Peter Buchner Optimismus: »Ich bin davon überzeugt: Das beste Jahrhundert der Berliner S-Bahn steht noch bevor«, schreibt er auf der Plattform Linkedin. Was er nicht schreibt, das Unternehmen aber sehr bewegt, ist die laufende Ausschreibung für zwei Drittel des Berliner S-Bahn-Netzes. Der Termin für die Abgabe der definitiven Angebote ist laut Beobachtern erneut verschoben worden. Zum x-ten Mal. Statt am 3. September, wie es noch kürzlich der Stand war, ist Abgabeschluss nun am 7. Oktober.

Am Montag bestätigt Petra Nelken, die Sprecherin der Senatsverkehrsverwaltung, dass die definitiven Angebote der Bieter am 8. Oktober vorliegen müssen. Nach wie vor soll der Zuschlag allerdings Ende des Jahres erteilt werden. Über die Hintergründe der Verschiebung konnte Petra Nelken keine Auskunft geben.

Diesmal soll es nicht an neuen Bieterfragen im hochkomplexen und juristisch wackligen Vergabeverfahren liegen, sondern an der Berliner Haushaltslage. Dem Vernehmen nach wird geprüft, wie die Finanzierung der neuen Flotte von mindestens 1400 Wagen neu geregelt werden kann. Die Kosten für die neuen Wagen wurden laut einer vertraulichen Hauptausschuss-Unterlage vom Januar auf 5,4 Milliarden Euro geschätzt.

Bisher war der Plan, dass das Land seine Landesanstalt Schienenfahrzeuge Berlin mit einem Grundstock an Kapital ausstattet und diese dann Kredite aufnimmt, um auf die nötige Summe zu kommen. In der Regel sind 20 Prozent Eigenkapital nötig – also rund 1,1 Milliarden Euro. Solche sogenannten Transaktionskredite werden nicht auf die Schuldenbremse angerechnet. Das Geld kommt wieder rein durch Nutzungsentgelte über die erwartete 30-jährige Betriebszeit der Fahrzeuge.

Dem Vernehmen nach soll die Landesanstalt weiter Eigentümerin der Fahrzeuge werden. Allerdings werde nun geprüft, ob das Land dem Unternehmen zunächst Mittel vorschießen muss oder ob alle Zahlungsflüsse direkt von einem Kreditgeber geleistet werden können. Letztlich scheint es unklar, ob aus diesem Manöver jenseits einer optischen Verschlankung der Ausgaben ein tatsächlicher Effekt für den Landeshaushalt erwächst.

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Die zum Jahresanfang noch bestehenden Rücklagen der Anstalt von 200 Millionen Euro werden im aktuellen Doppelhaushalt 2024/2025 schon planmäßig geplündert. Mit einer Neuregelung könnten 2025 weitere 80 Millionen Euro frei werden. Ende Juni hatte die Landesanstalt eine Ausschreibung für »Beratungsleistungen zur Strukturierung und zum Vertragsmanagement von Fahrzeugfinanzierungen« veröffentlicht.

Doch bei den Feierlichkeiten ist von den nicht abreißenden Schwierigkeiten bei der Ausschreibung kaum etwas zu spüren. Allerdings sind das Land Berlin und die Stadt Bernau die Ausrichter des Programms, nicht die DB-Tochter S-Bahn Berlin GmbH. Für das Unternehmen gebe es angesichts der Unsicherheit wenig zu feiern, erklärt dessen Chef Peter Buchner seit Monaten.

Die Augen fast aller Ehrengäste leuchten, als sie im Berliner Tunnelbahnhof Nordbahnhof am Donnerstag den Sonderzug des Vereins Historische S-Bahn Berlin erblicken. Zwei Wagen sind 86 Jahre alt, die anderen zwei sogar stolze 96 Jahre. Es gibt Abteile 2. Klasse – mit Mahagonifurnier und dick gepolsterten Bänken und die Holzklasse 3. Klasse, außerdem Raucher- und Nichtraucherabteile.

Der Zug kann überhaupt nur fahren, weil das Land Berlin die hohen Kosten für die Ausrüstung mit dem aktuellen Signalsystem ZSB übernahm, die der Verein der S-Bahn-Liebhaber nie hätte stemmen können.

100 Jahre und ein paar Stunden nach der ersten elektrischen Fahrt vom damaligen Stettiner Bahnhof in Berlin nach Bernau setzt sich der Sonderzug in Bewegung. Der Empfang am Ziel ist beeindruckend. Hunderte erwarten den Zug am Bahnhof, auf dem Vorplatz ist ein Stadtfest organisiert, das bis Sonntag dauern soll. Man hat den Eindruck, dass man sich in Bernau wirklich sehr über das Jubiläum freut, während in Berlin eher pflichtgemäß gefeiert wird. Im Kantorhaus am Rathaus wurde auch eine liebevolle kleine Ausstellung zur S-Bahn eröffnet, in der man sich sogar in einem originalen Fahrsimulator in die Rolle des Lokführers begeben kann.

»Wir als Bernauer sind natürlich auch stolz, dass wir genau dieses Stück technische Geschichte, Infrastrukturgeschichte mit betreiben konnten«, sagt Bürgermeister André Stahl (Linke). »Was wir uns allerdings natürlich gemeinsam wünschen, ist, dass diese S-Bahn weiterentwickelt wird, dass sie stabil fährt, dass wir es schaffen werden, die Kapazitäten auf dieser S-Bahn auszubauen und dass wir natürlich auch die Taktung dieser S-Bahn in diesem Zehn-Minuten-Takt ausbauen«, so Stahl weiter.

Derzeit fährt die S2 nur alle 20 Minuten nach Bernau – ab der Berliner Stadtgrenze ist die Strecke nur eingleisig. Außerdem ist der Betrieb sehr unzuverlässig, denn auch kleine Verspätungen übertragen sich auf den Gegenzug und schaukeln sich schnell auf, da es nur eine einzige Ausweichmöglichkeit am Bahnhof Zepernick gibt. Nicht viel anders sieht es in Oranienburg, Königs Wusterhausen oder Strausberg aus. Potsdam hat zwar einen Zehn-Minuten-Takt, der wegen langer eingleisiger Abschnitte jedoch ebenfalls nicht verlässlich funktioniert.

»Das beste Jahrhundert der Berliner S-Bahn steht noch bevor.«

Peter Buchner
Geschäftsführer S-Bahn Berlin

Brandenburgs Infrastrukturminister Rainer Genilke (CDU) verweist sogleich auf das Eisenbahn-Infrastrukturprogramm i2030, mit dem zunächst Grundlagenuntersuchungen für die Zehn-Minuten-Takte beauftragt worden sind. »Es geht an der Stelle voran, wenn auch manchmal zu langsam«, sagt er.

Genilke erinnert an die Zeit vor 100 Jahren, als Bernau gerade einmal 9600 Einwohner zählte. Heute sind es über 44 000. Der Erste Weltkrieg war erst sechs Jahre vorbei und Deutschland sei es nicht gut gegangen nach diesem Krieg. »Und man hat sehr großzügig, auch angefangen natürlich mit der Bahn, gedacht und diese Investitionen getätigt, weil man wusste, dass man eine Hauptstadt und die Region um sie nur mit einer guten Mobilität enger miteinander verbinden kann«, so Genilke. »Da müssen wir wieder hinkommen«, fordert er. Heute werde gestöhnt, »weil wir ja ganz besondere Belastungen haben«.

»Extrem wichtig« sei für Brandenburg die Anbindung mit der S-Bahn wegen der Verflechtung mit Berlin, sagt der Minister zu »nd«. »Wir haben einen engen Bezug, obwohl der Brandenburger Anteil an der Gesamtlänge nur zehn Prozent ausmacht«, bekräftigt Genilke. Geplant wird im Rahmen von i2030 unter anderem die Verlängerung der S-Bahn von Teltow nach Stahnsdorf.

Nicht alle wollen die S-Bahn vor der Tür haben. Die Veltener Stadtverordneten sprachen sich 2020 mehrheitlich gegen die Verlängerung der S-Bahn von Hennigsdorf aus. Man wolle keine »Berliner Vorstadt« werden, so die Begründung. Geplant wird weiter.

Auch im Havelland steht man der geplanten S-Bahn-Verlängerung von Berlin-Spandau nach Falkensee kritisch gegenüber, da sich einige Reisezeiten im Vergleich zu Regionalzügen verlängern. Dass die Regionalzüge wegen der Trassenkonkurrenz zum Fernverkehr eher im Stolpertakt fahren, ändert an der Skepsis nichts.

Vor acht Jahren zog die S-Bahn Berlin den Vergleich mit Strausberg. Damals lebten knapp 26 000 Menschen in der Stadt östlich von Berlin, die S-Bahn zählte täglich 13 400 Fahrgäste. In Falkensee mit damals knapp 42 000 Einwohnern nutzen nur 8600 Menschen pro Tag die Regionalzüge.

Und obwohl Berlin und Brandenburg sich vor Jahren auf die Planung der S-Bahn-Verlängerung verständigt haben, zeigt sich auch Infrastrukturminister Rainer Genilke zurückhaltend. »Die Falkenseer bevorzugen natürlich die Regionalverbindungen, ist gar keine Frage, weil es natürlich auch die schnellere Verbindung ist«, sagt er zu »nd«. Die Reisezeiten müssten »natürlich auch ein Begutachtungsgrund sein«, so Genilke weiter. Es müsse auch klar sein, dass vorausschauend diese Infrastruktur dasteht, wo wir sie auch brauchen. »Und dass wir uns nicht darüber ärgern, dass wir an der falschen Stelle investieren.«

»Wo das weiße S auf grünem Grund zu sehen ist, da ist Berlin«, sagt Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband IGEB zu »nd«. Für Umlandgemeinden sei ein S-Bahn-Anschluss ein untrügliches Zeichen, gut an die Hauptstadt angebunden zu sein. »Strausberg kann das für sich reklamieren, Falkensee bisher nicht«, so Wieseke weiter.

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