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Das Herz einer Boxerin: Refugee Ngamba wollte mehr als Bronze

Medaillenpremiere für das Refugee-Team: Cindy Ngamba, geboren in Kamerun, verliert nach großem Kampf ihr Halbfinale

Knappe Entscheidung nach einem wilden Kampf: Cindy Ngamba, in Rot, unterlag Atheyna Bibeichi Bylon aus Panama 1:4 nach Punkten.
Knappe Entscheidung nach einem wilden Kampf: Cindy Ngamba, in Rot, unterlag Atheyna Bibeichi Bylon aus Panama 1:4 nach Punkten.

Am Ende ihres Halbfinalkampfes war Cindy Ngamba einfach nur wütend: Es war eine Stunde vor Mitternacht, im rosa-gelb beleuchteten Roland-Garros-Stadion jubelten 15 000 Menschen ihr und ihrer Kontrahentin Atheyna Bylon aus Panama zu. Doch die 25-Jährige aus dem Refugee-Team des IOC lief schnurstracks aus der Arena. Nur weg. Fernsehleute gestikulierten, Reporter riefen ihren Namen, Ngamba indes reagierte nicht. Stoisch stapfte sie Richtung Umkleidekabine. Kein Wort mehr. Das Herz einer Boxerin, es war gebrochen.

Aus der Traum vom Olympiagold: Mit 4:1 hatten Wertungsrichter am Ende die Gegnerin aus Panama auf ihren Punktzetteln vorn. Dabei hatte die Refugee-Starterin, die in Kamerun geboren ist, aber seit 2009 in Großbritannien lebt, einen wirklich großartigen Kampf geboten. Und in ihrer Sicht der Dinge wohl den Sieg im zweiten Halbfinalkampf der Gewichtsklasse bis 75 Kilogramm verdient.

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Zwar hatte ihre 35-jährige Rivalin aus Panama-City die erste Runde klar für sich entscheiden können. Die Weltmeisterin von 2014 wusste sich mit ihren 1,79 Metern die ungestüme Ngamba gut vom Leib zu halten. Immer wieder setzte sie ihre Treffer, während sich Ngamba (1,73 Meter) kaum durchzusetzen vermochte. Doch in der zweiten Runde agierte die Refugee-Starterin klüger und kam immer öfter durch die Deckung der Mittelamerikanerin hindurch. Die Runde ging an sie.

In den abschließenden drei Minuten warf die Refugee-Starterin alles in die Waagschale, denn in Sachen Ausdauer war sie klar überlegen. Es wurde ein wildes Durcheinander aus Haken, Jabs und Geraden, bei dem beide Boxerinnen Treffer kassierten. Einmal waren beide Kämpferinnen so im Seil verhakt, dass die vornüber zu stürzen drohten. Die sichtbar erschöpfte Bylon kassierte noch eine Verwarnung mit Punktabzug. Beim Schlusssignal umarmten sich die Rivalinnen innig, beide siegessicher. Als der Ringrichter schließlich Bylons Hand nach oben riss, vollführte die Panamaerin Freudentänzchen. Ngamba erstarrte.

In diesem Moment war es Ngamba kaum ein Trost, dass sie eine der großen Geschichten dieser Spiele geschrieben hatte. Mit dem Erreichen des Halbfinales hatte sie sich bereits die Bronzemedaille gesichert, die ihr nun nach dem Finalkampf am Samstag um den Hals gehängt werden wird. Ein historischer Moment: Erstmals hat es eine Athletin aus dem Refugee-Team des IOC aufs olympische Podium geschafft. Seit Rio 2016 bildet das IOC ein Team aus geflüchteten Menschen. In Paris sind 37 Menschen unter dem Olympiakürzel EOR (Équipe olympique des réfugiés) bei den Wettkämpfen dabei. Sie sollen jene 100 Millionen Menschen repräsentieren, die weltweit auf der Flucht sind.

Cindy Ngamba kam als Kind aus Kamerun nach Großbritannien. Aus einem fröhlichen Mädchen wurde in der neuen Heimat bald eine übergewichtige, schüchterne Teenagerin – von den Mitschülern gehänselt für ihr radebrechendes Englisch und dafür, dass sie nicht wusste, was ein Deodorant ist. Erst als sie mit 15 in ihrer Heimatstadt Bolton in einem Box-Gym mit dem Training anfing, änderte sich ihre Welt: Sie trainierte wie besessen mit den gleichaltrigen Jungen und wurde zu einer der besten Boxerinnen des Landes.

Mittlerweile hat sie Großbritannien drei nationale Titel in drei verschiedenen Gewichtsklassen gewonnen, sie trainiert bei GB Boxing am English Institute of Sport in Sheffield und studiert Kriminologie in Bolton. Mehrere Versuche sie einzubürgern, scheiterten allerdings. Bei einer Routinekontrolle wurde sie einmal sogar festgenommen und anderthalb Tage in einem Abschiebezentrum festgehalten, ehe die Behörden anerkannten, dass der offen lesbisch lebenden Ngamba eine Verfolgung durch Kameruns Justiz droht. Dort sind homosexuelle Handlungen strafbar.

Der Zeitung »Guardian« verriet Ngamba vor den Spielen, ihr Flüchtlingsstatus sei ihr anfangs peinlich gewesen. Doch längst sei sie stolz darauf: »Wenn man älter wird, lernt man, was manche Menschen durchgemacht haben, um zu Flüchtlingen zu werden, die vor Krieg und Mord fliehen.« Sie selbst sei eine der wenigen, die eine Chance bekommen haben: »Manche bekommen sie nie. Deswegen will ich meine Chance nutzen.«

Bei Olympia hat sie das getan, auch wenn es nicht zu Gold reichte: Immer wieder hat sie die Not der Flüchtlinge ins Rampenlicht gerückt. Und versucht, Hoffnung zu verbreiten: »Ich möchte allen Flüchtlingen auf der ganzen Welt und allen Flüchtlingen, die keine Sportler sind, und vor allem allen Menschen auf der Welt sagen, dass ihr weiter hart arbeiten und an euch glauben müsst. Ihr könnt alles erreichen, was ihr euch vornehmt.«

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