• Sport
  • Olympische Spiele

Der deutsche Sport im Olympia-Tief

Die Bilanz des deutschen Teams fällt auch in Paris durchwachsen aus

  • Patrick Reichardt
  • Lesedauer: 6 Min.
Die deutschen Basketballer hatten sich bei Olympia eine Medaille fest vorgenommen.
Die deutschen Basketballer hatten sich bei Olympia eine Medaille fest vorgenommen.

Thomas Weikert schwärmte voller Euphorie – allerdings nicht von der Ausbeute des deutschen Teams bei Olympia. »Paris hat sein Versprechen gehalten. Die Begeisterung, die hier geherrscht hat: das ist großer Sport gewesen«, sagte der Verbandspräsident im Deutschen Haus, für das der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) in froher Erwartung ein kleines Stadion nahe der Tennisanlage von Roland Garros angemietet hatte.

Großen Sport – den bot das deutsche Team in den vergangenen 16 Tagen nicht so häufig wie erwartet. Zwar wurden bei imposantem Ambiente und ausgelassener Atmosphäre fast jeden Abend die deutschen Medaillengewinnerinnen und Medaillengewinner gefeiert. Doch die Gesamtbilanz von Team Deutschland fällt eher durchwachsen aus. Die medaillenlosen Fechter, Sportschützen, Ringer, Segler, der enttäuschende Schwimmweltmeister Florian Wellbrock sowie das historisch schwache Radteam wurden zu Symbolen des Misserfolgs.

»Handlungsbedarf auf vielen Ebenen«

Noch einmal deutlich weniger Medaillenglanz als vor drei Jahren in Tokio, trotz eines XXL-Teams das schlechteste Abschneiden seit der Wiedervereinigung und einstige Paradedisziplinen als Totalausfall zeigen: Auf dem langen Weg bis zu den Sommerspielen 2028 in Los Angeles hat der deutsche Sport sehr viel Arbeit vor sich.

Jörg Bügner, Sportvorstand im Deutschen Leichtathletikverband, fasste die Problematik in einem Satz treffend zusammen: »Wir schreiben Exceltabellen, die anderen trainieren – und das kann nicht sein.« Schon die 37 Medaillen bei den Corona-Spielen von Tokio waren ein Tiefpunkt der vergangenen Jahrzehnte. Diesmal wurde es nach einer schwachen ersten Woche sogar mit dem Minimalziel 30 schwierig. Am Ende standen zwölf Gold-, dreizehn Silber- und acht Bronzemedaillen. Rang zehn im Medaillenspiegel ist das schlechteste Ergebnis seit der Wiedervereinigung.

Überbelastete und unterbezahlte Trainer, die Sportförderung in der Kritik: Nach Paris wird im deutschen Sport vieles auf den Prüfstand kommen. »Es gibt Handlungsbedarf auf vielen Ebenen. Wir benötigen mehr Trainer und eine bessere Besoldung der Trainer. Das versuche ich seit vielen Jahren voranzubringen. Es ist noch nicht ganz gelungen«, räumte Weikert am Sonntag im ZDF ein. Auch der Sport in der Schule und im Kindergarten sowie fehlendes Geld seien Probleme, fügte der DOSB-Präsident an.

»Wir sind mit einem anderen Ziel in diese Spiele gestartet«, konstatierte Olaf Tabor als Chef de Mission mit Blick auf die Medaillenanzahl. Das Teilziel, es erneut unter die besten zehn Nationen im Medaillenspiegel zu schaffen, wurde erreicht. Doch während der gefeierte Gastgeber Frankreich Edelmetall in Serie feierte und selbst das deutlich kleinere niederländische Team zur echten Konkurrenz wurde, ist im deutschen Sport eine Debatte über die möglichen Konsequenzen und vor allem die Ursachen entbrannt.

Boll, Kerber und Dauser hören auf

Die Medaillengaranten beim Reiten und Kanu bewahrten das Team vor noch größerem Übel. Zudem lieferten die 3x3-Basketballerinnen, das Triathlon-Mixedteam, Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye und die Handballer denkwürdige Olympiamomente. Doch die Kritik am deutschen Sport wächst – und richtet sich nicht einmal vorrangig an die Athletinnen und Athleten. »Es müssen Prioritäten in der Spitzensportförderung gesetzt und vor allem klare und widerspruchsfreie Ziele formuliert werden«, sagte Frank Ullrich als Chef des Sportausschusses im Bundestag dem »Spiegel«.

Der 66-Jährige bemängelte, dass sich der DOSB für die Olympischen Spiele nur »Minimalziele« gesetzt habe. »Ich persönlich hätte mir ein anderes Anspruchsdenken vom DOSB gewünscht. Wir brauchen den Druck nach vorn.« Zwar rief der DOSB zum Abschluss der Spiele von Paris das »perspektivische Ziel Platz fünf im Sommer« aus. Wie das realisiert werden soll, bleibt aber unklar. Tabor gestand immerhin ein, dass der DOSB größere Veränderungen »für notwendig« hält.

Aufwärtstrend in Mannschaftssportarten

Nachdem Tischtennisstar Timo Boll, Tennisass Angelique Kerber und Turnweltmeister Lukas Dauser ihre Karriere beendet haben, braucht der deutsche Sport neue Vorbilder. Nach Meinung von Experten wäre eine eigene Bewerbung um die Sommerspiele ein Weg zu mehr Erfolg. Frühestens 2036, eher 2040 könnte eine deutsche Bewerbung für die Sommerspiele ins Auge gefasst werden. Die Regierung befürwortet die Absicht, Bundeskanzler Olaf Scholz war während der Tage von Paris zweimal im Stade Jean-Bouin zu Gast und sprach auch mit Athleten.

»Wie sie wissen, ist es auch unser Plan, Olympische Spiele in Deutschland mal wieder in den Blick zu nehmen. Insofern ist es eine große Inspiration, die wir hier gemeinsam erleben«, sagte Scholz über die gelungenen Spiele in Frankreich, bei denen auch die Athleten um Schwimmer Leon Marchand und Judoka Teddy Riner glänzten. Sie wurden zu Botschaftern dieser Spiele.

Einen bemerkenswerten Aufwärtstrend gab es in den Mannschaftssportarten. Zahlreiche deutsche Auswahlteams qualifizierten sich für Paris. Das Beachvolleyballduo Nils Ehlers und Clemens Wickler holte genauso eine Medaille wie die Fußballfrauen, die Hockeymänner, die 3x3-Basketballerinnen und die Handballer, die beim erfolgreichen Viertelfinal-Krimi gegen Gastgeber Frankreich für einen der Höhepunkte dieser Spiele sorgten.

Doch während bei den Teams nur wenige Medaillen vergeben werden, gibt es zahlreiche Sportarten mit vielen Entscheidungen, bei denen die Deutschen völlig chancenlos blieben. »Wir können nicht über Nacht die Veränderung herbeiführen. Es ist ein mittelfristiger Prozess, hoffentlich kein Marathon«, sagte Tabor. Bis zu den Spielen in Los Angeles bleiben vier Jahre Zeit. dpa/nd

Olympia-Medaillenspiegel

Stand nach 329 von 329 Wettbewerben:

Gold Silber Bronze Gesamt
1. USA 40 44 42 126
2. China 40 27 24 91
3. Japan 20 12 13 45
4. Australien 18 19 16 53
5. Frankreich 16 26 22 64
6. Niederlande 15 7 12 34
7. Großbritannien 14 22 29 65
8. Südkorea 13 9 10 32
9. Italien 12 13 15 40
10. Deutschland 12 13 8 33
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.