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»Es muss um reale Fragen wie Löhne oder Mitbestimmung gehen«

Sachsens stellvertretende DGB-Vorsitzende Daniela Kolbe über gewerkschaftliche Ansätze gegen Rechts und erfolgreiche Streikbewegungen im letzten Jahr

Bei der AfD liegen Beschäftigte falsch: Wer sie wählt, handelt gegen das eigene Interesse.
Bei der AfD liegen Beschäftigte falsch: Wer sie wählt, handelt gegen das eigene Interesse.

Die völkische Partei AfD könnte bei der Landtagswahl in Sachsen die meisten Stimmen bekommen, auch unter Beschäftigten findet sie Zustimmung. Wie bewerten Sie das?

Es ist beunruhigend. Aber viele Menschen stehen unter Druck und wählen in dieser Stresssituation vermeintlich sichere und populistische Wege. Dahinter verbergen sich aus meiner Sicht oft soziale Fragen. Die AfD-Ergebnisse korrelieren nicht mit dem Anteil von Migranten oder mit der Aufnahme von Geflüchteten, sondern mit niedrigen Löhnen und fehlender Mitbestimmung. Das heißt, eigentlich muss es um reale Fragen gehen, um sichere Arbeitsplätze, gute Löhne, soziale Sicherheit, Rente, Gesundheit und Krankenhäuser. Das brennt den Menschen unter den Nägeln. Und man muss es ganz klar sagen: Lohnabhängig Beschäftigte, die die AfD wählen, handeln gegen das eigene Interesse, dass Arbeitsplätze dauerhaft sicher und gut bezahlt sind. Denn damit das gelingt, muss die Politik Transformationsprozesse gestalten, von der Energiewende bis zur Digitalisierung. Und zentral ist auch, dass Beschäftigte diese mitgestalten können. Da haben die rechten Parteien nichts anzubieten, am allerwenigsten die AfD, die Veränderungsnotwendigkeiten einfach leugnet. Man versucht, mit Rassismus und Nationalismus die Leute einzufangen und bietet nur die unhaltbare Behauptung, dass früher alles besser war.

Haben es nicht auch die Gewerkschaften in den letzten Jahren versäumt, den Klassenkonflikt in den Vordergrund zu rücken?

Wir stellen die Verteilungsfrage immer wieder, wenn es um Steuern geht oder um Energiepreise. Aber wir haben ein ähnliches Problem wie andere Akteure: Es wird über Corona, übers Impfen, über Migration oder Gender diskutiert, aber wenig über die zugrunde liegenden Konflikte und die daraus resultierenden unterschiedlichen Politikansätze. Dadurch entsteht bei vielen Menschen der Eindruck, dass alle dasselbe wollen. Das Gegenteil ist aber der Fall.

Interview

Daniela Kolbe ist seit 2022 stell­ver­tretende Vorsitzende des DGB-Bezirks Sachsen. Sie saß von 2009 bis 2021 für die SPD im Deutschen Bundestag und war von 2015 bis 2018 Generalsekretärin der SPD Sachsen.

Als eine Ursache für den Erfolg der AfD gilt, dass die Mitbestimmung und die Tarifbindung in Sachsen schlecht ausgeprägt sind. Wie kommt es, dass die Gewerkschaften so einen schweren Stand haben?

Das hat auch mit der DDR und den Erfahrungen mit dem damaligen Freien Deutschen Gewerkschaftsbund zu tun. Die Älteren haben dadurch oft ein distanziertes Verhältnis zu den Gewerkschaften. Aber es hängt auch mit den Erfahrungen in den Nachwendejahren zusammen, etwa mit der Massenarbeitslosigkeit. In Sachsen gibt es eine lange tarifvertragsfeindliche Tradition, die auf Niedriglöhne gesetzt hat. Die wurde lange auch von der CDU propagiert. Es gab gewissermaßen einen informellen Pakt zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten. Der Arbeitgeber hat eine patriarchale Sicherheit geboten und gesagt: »Ich beschütze dich, aber du bist bitte schön leise.« Die Beschäftigten waren froh, überhaupt einen Arbeitsplatz zu haben, und forderten entsprechend wenig. Das wirkt aus meiner Sicht immer noch fort. Der Präsident der Vereinigung der sächsischen Wirtschaft etwa, Jörg Brückner, spricht sich offen gegen Tarifverträge aus und ist stolz darauf, dass er in seinem Unternehmen keinen hat.

Haben die Gewerkschaften zu spät darauf reagiert, dass die Arbeitgeber die Sozialpartnerschaft aufgekündigt haben?

Es stimmt, dass die Arbeitgeber teilweise die Sozialpartnerschaft aufgekündigt haben. Zum Beispiel, indem Unternehmen Mitglied in den Arbeitgeberverbänden werden konnten, obwohl sie gar nicht tarifgebunden sind (OT-Mitgliedschaften, Anm. d. Red.). Wir sehen zum Teil sogar Unternehmen, die in anderen Bundesländern Tarifverträge aushandeln, aber in Sachsen nicht. Trotzdem sind Sozialpartnerschaftlichkeit und Tarifverträge nicht aus der Mode gekommen. Wir üben sie gerade wieder neu ein und erwecken sie zu neuem Leben. Dazu muss die Arbeitgeberseite aber OT-Mitgliedschaften abschaffen und dafür werben, dass die Unternehmen in die Verbände kommen.

Warum sollten sie daran ein Interesse haben?

Es geht darum, gute Arbeitsbedingungen zu organisieren, am besten für ganze Branchen. Dann werben sich auch die Unternehmen in Anbetracht des Personalmangels nicht gegenseitig die Leute ab.

Müssen die Gewerkschaften kämpferischer und beteiligungsorientierter werden, um hier mehr Druck aufbauen zu können?

Wir sind zugewandt und kämpferisch. Die Gewerkschaften sind der Ort, wo man gemeinsam für seine Interessen kämpft. Die Ansätze der NGG oder von Verdi in den letzten Tarifverhandlungen sind dafür gute Beispiele. Es gab starke Bewegungen, und die Arbeitskämpfe haben eine sehr gute Wirkung erzielt. Die Menschen merken, es bringt etwas, wenn sie sich einbringen.

Die Tarifkonflikte der NGG drehten sich in der Regel um Haus- und nicht um Flächentarifverträge. Können die überhaupt als Vorbild dienen?

Natürlich wollen wir als Gewerkschaft am liebsten Flächentarifverträge, die für möglichst viele Beschäftigte gelten. Auch weil solche Flickenteppiche für uns als Selbsthilfeorganisationen arbeitsintensiv sind. Andererseits brauchen wir eine stärkere Mitgliederbasis. Und da ist der Kampf um einzelne Unternehmen ein spannender Ansatz, weil man Belegschaften einzeln organisieren und motivieren kann, für einen eigenen Tarifvertrag zu streiten.

Das scheint mit Blick auf die ökologische Transformation und aktuelle ökonomische Verwerfungen nicht leichter zu werden. Unternehmen drohen mit Standortverlagerungen, vielfach sind davon Beschäftigte mit tarifgebundenen Jobs betroffen.

Viele ostdeutsche Betriebe sind leider nach wie vor eine verlängerte Werkbank, und wenn die Lage schwieriger wird, schaut man bei Investitionsentscheidungen im Zweifel eher auf die Hauptstandorte. Niederlassungen bei uns werden dann zur Disposition gestellt, obwohl sie nicht schlecht dastehen. Und wir sehen mit Sorge, dass Unternehmen, die bei der Energiewende ins Risiko gegangen sind, in unruhiges Fahrwasser kommen. Wie VW in Zwickau, wo das Werk komplett auf Elektromobilität umgestellt wurde.

Was kann die Landesregierung tun?

Wir stehen gerade an einem schwierigen Punkt: Eine Zeit lang hatten wir sehr hohe Energiepreise, und die Unternehmen hielten sich bei Investitionen zurück. Wir wollen, dass die Transformation gelingt, dass in Zukunft investiert wird. Dabei wäre es schon viel geholfen, wenn die Regierung nicht reingrätscht und Schaden anrichtet wie Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der mit seinem Vorstoß gegen das Verbrenner-Aus faktisch gegen die Interessen der Beschäftigten in Zwickau argumentiert. Und wir wünschen uns einen Innovationstopf, mit dem Unternehmen abgesichert werden können, die durch die Transformation oder durch Entscheidungen von Gesellschaftern, die woanders sitzen, in Schwierigkeiten kommen. Aber im Moment sehen wir einen Staat, der zu wenig investiert.

Dem steht auch die Schuldenbremse im Weg, die in Sachsen besonders streng ist.

Dass wir die Schuldenbremse reformieren oder abschaffen wollen, ist keine Frage. Wir haben ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die Investitionsbedarfe in Sachsen auf über 40 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren taxiert. Darin gibt es auch Hinweise darauf, was der Staat tun kann, wenn man die Zweidrittelmehrheit für die Reform der Schuldenbremse nicht zusammenkriegt. Selbst dann könnte man viel mehr tun, um Ressourcen zu mobilisieren und zu investieren. Es geht darum wahrzunehmen, dass es Veränderungsprozesse gibt, die man gestalten kann. Bei den Solarpanelherstellern ist das zu spät passiert.

Von links wird gefordert, dass Schlüsselindustrien für die Transformation notfalls vergesellschaftet werden sollen, wenn es etwa darum geht, Standortschließungen zu verhindern.

Der Staat muss viel agiler, innovativer und schlagkräftiger werden, um die Arbeitsplätze auf Dauer hier zu halten. Ob man das Vergesellschaftung nennt, weiß ich nicht. Aber wir wollen, dass mehr investiert wird und Betriebsräte unterstützt werden, wenn sie beispielsweise Geschäftsmodelle entwickeln für Unternehmen, deren Existenz gerade bedroht ist.

Die Regierungsbildung nach der Wahl könnte schwierig werden. Worauf stellen Sie sich ein?

Was die Regierungskonstellation angeht, ist die Situation sehr volatil. Ich finde, es ist noch nicht absehbar, ob es eine Fortsetzung der aktuellen Koalition geben kann oder ob es eine Konstellation wird, in der das BSW eine Rolle spielt.

Was würde es für die Gewerkschaften bedeuten, wenn die Linkspartei nicht mehr im Landtag ist?

Bestimmte Parteien sind besser als Partner geeignet als andere, wenn es darum geht, die Transformation zu gestalten. Von daher würde ich mir sehr wünschen, dass wir mehrere progressive Parteien im Landtag haben. Es ist eine bedrückende Situation, dass gerade die Parteien, die Veränderungen gestalten wollen, in den Umfragen so schlecht dastehen. Insofern hoffe ich, dass auch taktisch gewählt wird, damit möglichst viele progressive Kräfte vertreten sind. In Sachsen kommt man auch dann in den Landtag, wenn man mindestens zwei Direktmandate hat.

Würden Sie mit der AfD zusammenarbeiten, wenn sie an der Regierung beteiligt ist?

Es ist unsere dezidierte Position, dass wir nicht mit der AfD zusammenarbeiten, wir sie nicht einladen und nicht den Kontakt suchen. Das ist angesichts einer erwiesenermaßen rechtsextremen Partei plausibel. Die Nationalsozialisten haben relativ zügig 1933 die Gewerkschaftshäuser gestürmt und unsere Funktionäre zum Teil in Haft genommen. Es gibt also sehr gute Gründe dafür, eine kämpferische Haltung einzunehmen und zu sagen: »Nie wieder!« Dabei nehmen wir auch Ministerpräsident Kretschmer beim Wort, dass er eine Zusammenarbeit mit der AfD ablehnt. Das Bekenntnis sollten alle Wählenden auch noch mal deutlich von den lokalen CDUlern einfordern. Denn wenn diese Brandmauer fällt, sieht es für unsere Freiheitsrechte, für unsere Demokratie und für unsere Arbeitnehmerrechte übel aus.

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