Doku »Partyschlager«: Chartsturm dank Shitstorm

Die ZDF-Doku »Partyschlager« erklärt das hochprofitable Phänomen sexistisch versoffener Ballermann-Hits

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Schlager, das sei ein Märchen für Erwachsene, sagte Dieter Thomas Heck. Für besoffene, überarbeitete Erwachsene.
Ein Schlager, das sei ein Märchen für Erwachsene, sagte Dieter Thomas Heck. Für besoffene, überarbeitete Erwachsene.

Es gibt nur wenig im menschlichen Miteinander, das leichter auffliegt als offensichtliche Heuchelei. Mitte 2022 zum Beispiel besang der Ballermann-Poet Schürze zum Kirmestechno von DJ Robin eine Puffmutter namens Layla, die »schöner, jünger, geiler« sei. Das war weder subtil noch sonderlich emanzipiert. Vor allem aber war es nur mäßig erfolgreich – bis das bundesdeutsche Spießbürgertum den Einwegsong zum Evergreen der eigenen Scheinheiligkeit kürte.

Drei Titelstorys der »Bild« und zahllose RTL-Berichte, 30 Wochen Hitparade am Stück, bei gut 143 Millionen Streams und Downloads: Ohne die Erregung vieler Tugendwächter und noch mehr Tugendwächterverächter, sagt Schürze in der ZDF-Mediathek, hätte sich sein vergleichsweise gedämpft sexistisches Schunkellied kaum zweieinhalb Monate auf Platz 1 gehalten. Doch »je mehr es verbiete wolltet«, schwäbelt Michael Müller, wie er im Ausweis heißt, »desto mehr haben direkt gegengesteuert«. Also geladen, gehört und mitgebrüllt.

Chartsturm dank Shitstorm: für diese Theorie kriegt der, nun ja, Künstler sogar akademische Unterstützung. In der dreiteiligen Doku »Partyschlager« redet Professor Gregor Herzberg, Dozent für populäre Musik an der Uni Regensburg, von einem »Stellvertreterkrieg«, den die Mehrheitsgesellschaft gegen ihre kulturellen Ränder führt. Ein Stück wie »Layla« dient demnach nur als Ventil für die generelle Geringschätzung der Titelmelodie von Maria Burges’ sehenswerter Serie.

Wer »Partyschlager« gar nicht kennt: so heißen Volkslieder von Helene Fischer bis Roland Kaiser mit einer hochbeschleunigten Extraladung Sex’n’Alk’n’Ballermann. Ein kulturelles Phänomen. Vor allem aber ein betriebswirtschaftliches. Obwohl sich absolut jeder Malle-Song mit 119 bis 125 Beats per minute im Viervierteltakt um dasselbe (meist das eine) dreht, verdienen sich Bierzeltlegenden wie Ikke Hüftgold, Isa Glück oder Micky Krause damit dumm und dämlich.

Allein die zehn Tophits der Spitzenverdiener zählen bei minimalen Herstellungskosten sagenhafte 758 Millionen Spotify-Abrufe. Plus Merchandising, Lizenzabsätze und 2500 Festivals vom Mecklenburger Schützenhaus bis zur Arena auf Schalke. Da summiert sich der jährliche Gesamtumsatz zur halben Milliarde Euro aufwärts. Und zwar dank zotiger Texte, die Matthias Distel zufolge »mit drei Promille so leicht sein« sollten, dass »selbst der Vollste an der Playa« sie noch mitgrölen könne. Er muss es ja wissen.

»Ich muss für den Veranstalter Umsatz bringen, nicht mehr und nicht weniger.«

Lorenz Büffel   Schlagersänger

Distels Label Summerfield produziert nicht nur misogyne Marschmusik a la »Layla«, sondern auch sein Alter Ego Ikke Hüftgold – eine Kunstfigur mit Zottelperücke, der Deutschlands Schnapsbrennereien vermutlich Altare errichten, so sehr fördert sie toxischen Alkoholmissbrauch enthemmter, meist junger Kerle. Alles richtig, alles aber auch etwas wohlfeil für eine 135-minütige Milieustudie auf der Suche nach soziokultureller Einsicht.

Deshalb dringt Maria Burges tiefer ins Metier lukrativer Nach-mir-die-Sintflut-Hymnen ein und entdeckt Überraschendes. Die »erste farbige Partyschlagerkünstlerin in der Branche seit Roberto Blanco«, wie sich Malin Mensah alias Malin Brown bezeichnet. Oder ihre Kollegin Nancy Franck, die es mit Partykrachern ohne Saufen in obere Gehaltsklassen bringt, wo Stefan Scheichel-Gierten, Kampfname Lorenz Büffel, verblüffend offen einräumt: »Ich muss für den Veranstalter Umsatz bringen, nicht mehr und nicht weniger.«

Diese klaren Worte verleihen »Partyschlager« Wahrhaftigkeit in einer Branche, an der sonst das wenigste echt und die gerade deshalb profitabel ist. Noch. Denn im dritten Teil, der passenderweise »schöner, jünger, geiler« heißt, sprechen die Profiteure Tacheles. »Der Zenit ist erreicht«, unkt Ikke Hüftgold und erklärt es mit »vielleicht noch drei Millionen Umsatz«, die er 2024 »mit ’ner Tour und 164 Auftritten macht«. Da selbst Nachwuchskräfte nun vierstellige Gagen pro Auftritt verlangen, werde sich ein Markt bereinigen, »der seit Layla völlig aufgeblasen wurde«. Einerseits.

Andererseits lehrt uns schon die erste Folge »Gute-Laune-Hits vom Fließband« viel übers Preis-Leistungs-Verhältnis im Ballermann-Biz. Zwischen Après-Ski und El Arenal lädt Distels Label schließlich jedes Frühjahr 30 Fabrikanten und Interpreten auf die Almhütte, um in Windeseile 100 Partyschlager herzustellen. Klingt verwegen, ist realistisch. Immerhin klingt jeder exakt wie der nächste, alles andere als schöner, jünger, geiler also. Aber variabel genug für die (längst nicht mehr nur männliche) Stammklientel von 15 und 35 mit 1,5 bis 3,5 Promille im Blut. Oder wie der Szenestar Isa Glück singen würde: »Das Leben ist ’ne Party, dabdadadab«.

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