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Dietmar Dath: Nicht aufs Messer schauen
Dietmar Dath im Gespräch über sein neues Theaterstück, die Parodie des Fortschritts und die Krise der Linken
Brecht, in dessen Geburtsstadt Augsburg Ihr Stück uraufgeführt wird, hat geschrieben: »Eine Photographie der Kruppwerke oder der AEG ergibt beinahe nichts über diese Institute. Die eigentliche Realität ist in die Funktionale gerutscht.« Die Wirklichkeit im Arbeitsleben und ökonomische Zusammenhänge ließen sich bereits vor fast 100 Jahren schlecht künstlerisch fassen. Sie versuchen mit Ihrem Text, den Begriff von Arbeit im neuen Jahrtausend und den Wahnsinn Künstliche Intelligenz ins Theater zu bringen. Kann das funktionieren?
Ein Versprechen oder eine Lüge konnte man noch nie fotografieren, auch nicht malen, zeichnen oder in Stein hauen. Aber man konnte sie immer schon als Spiel nachahmen, satirisch oder realistisch, als Kritik oder zunächst mal als Darstellung durch ein Schauspielensemble. Das erlaubt einem Publikum eine Übersicht, die die Einzelnen selbst, wenn sie bei solchen Verhaltensweisen im Erwerbsleben mitmachen und die Verhaltensstörungen, die das erzeugt, auch ins Privatleben einschleppen, aufgrund mangelnder Distanz nicht erringen können. Brechts Feststellung sagt, dass nicht die Instrumente entscheidend sind, mit denen die Entfremdung organisiert wird, sondern das bewusstlose Zurichten der Leute zu Zwecken, die nicht ihre sind, als eine todernste tägliche Parodie des Fortschritts durch das Immergleiche. Diese Wahrheit wird immer wieder vergessen, von der Dampfmaschine übers Fließband und die ersten Computer bis zur Vernetzung und zur KI.
Wenn man Brechts Satz ganz genau nimmt, sagt er eigentlich, dass die Übersicht, die Kritik oder die Satire fürs Theater gerade nicht unmöglich, sondern gerade für diese Kunstform viel leichter zugänglich sind als, beispielsweise, für ein bloßes inbegriffliches Sinnbild mit schmissiger Parole (Idioten-Universitätsdeutsch für »Online Meme«). Je bekloppter das ist, was Leute einander antun, und je konsequenter es von Apparatur begrenzt und koordiniert wird, wie das Geschehen auf einer Bühne, desto mehr schreit es nach Theater. Ich konnte dieses Geschrei einfach nicht mehr untätig ertragen, ich habe halt nachgegeben. Vor allem, weil Augsburg, der Regisseur und die Leute, die da bei ihm spielen, für das alles sogar noch geeigneter sind als der Stoff (»neueste Formen der Ausbeutung«), das Thema (»mehrere verschiedene falsche Möglichkeiten, auf die neuesten Formen der Ausbeutung zu reagieren«) oder gar ich.
Dietmar Dath ist Publizist und arbeitet als Redakteur der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Neben zahlreichen Romanen und Sachbüchern schreibt und bearbeitet er auch Texte für das Theater, die unter anderem am Schauspielhaus Zürich, am Theater Heidelberg und am Staatstheater Augsburg zur Uraufführung kamen.
Brecht kommt – zunächst maskiert – auch als Figur in Ihrem Stück vor. Was ist das für eine Stimme, die sich da Gehör zu verschaffen versucht – zwischen Technokratensprech aus dem Business-Universum, esoterischer Weltsicht und neualtem Faschismus?
Zu den grusligen Wahrheiten über die Figuren gehört, dass ihr Tun und Lassen nicht in der jeweiligen Sozialfunktion aufgeht – es gibt nicht einfach »die Denunziantin«, »den Mitläufer«, »den Antreiber«, »den Bummelstreikexperten«, es sind Mischungen; sogar der Faschist ist am Ende verunsichert, nämlich von seinem Erfolg. Aber der Überschuss ist nicht rein psychologisch. Etwas an den Sozialfunktionen selber hat ein Leck, einen Fehler. Fragt sich also: Sind das nicht zu komplizierte Leute fürs Theater? Das muss man das Theater fragen, und da dachte ich, fragen wir Brecht, der kennt die Probleme ja.
Erst habe ich also in den Arbeitsbüchern, in der Theorie nachgeguckt, die er hinterlassen hat, und habe aus dem, was da in der Theorie stand, Dialoge gemacht. Das war nix; es klang alles weder hilfreich noch wenigstens anregend, anstößig, irgendwas. Es klang wie von heute, aus dem Seminar irgendwo. Und die irre Lösung: Je mehr ich direkte Zitate nicht aus den theoretischen Schriften, sondern aus den Kunstwerken von Brecht reingelassen habe, desto mehr wirkte es, als ob er jetzt wirklich mit meinen Figuren redet. Denen was sagt. Ob sie in der Lage sind, das überhaupt zu hören: Das ist ein Teil ihrer Schwierigkeiten, kein ganz kleiner.
Der Zuschauer darf die Figuren also vielleicht auf Zeit als Identifikationsflächen ausprobieren: Hört sich der Faschist im Stück nicht manchmal an wie ich selbst, oder erwische ich mich beim Nicken, wenn die Esoterikerin – vielleicht aus falschem Grund – die falsch eingerichtete Arbeit ablehnt? Kann man so das Brecht’sche Lehrstück in die Gegenwart katapultieren?
Es ist mit voller Absicht eher Brieftaube als Katapult. Es verlangsamt etwas, das viele im Publikum bei Netflix als Blitzversion gelernt haben: Ah ja, der oder die ist wie ich – na, dann mal sehen, was der Figur jetzt passiert. Also: Identifikation wird bei mir sofort gebremst, belastet und zugleich verlangt, weil man sonst buchstäblich nicht folgen kann. Man könnte sagen, das böse Spiel erzählt statt einer Geschichte mit einer Moral lieber davon, wie ein paar Leute versuchen, zunächst mal die Voraussetzungen einer Geschichte mit Moral zu erfinden, nämlich die überhaupt noch moralfähige, zurechnungsfähige Person. Und was sie da dann so alles dran hindert und wie heroisch sie dann immerhin faszinierenden Mist bauen usw.
Noch mal einen Schritt zur Seite, von der Form zum Motiv: Was steckt hinter dem Zauberwort Künstliche Intelligenz? Und wo setzt Ihre Kritik an?
Als KI gelten heute weithin nur noch bestimmte künstliche neuronale Netze, viele andere Ansätze zur Maschinenmodellierung des Denkens werden abgedrängt. Die künstlichen neuronalen Netze werden an Arbeitsergebnissen von Menschen trainiert. Dann stellt man die Netze so dar, als wären sie Subjekte. Die Menschen, deren Arbeit das vergegenständlicht, sind damit unsichtbar gemacht. Es handelt sich um eine Sorte Zusammenarbeit von Menschen, verkleidet als Zusammenarbeit von Mensch und Maschine. Meine Kritik daran braucht es gar nicht, ich nehme einfach die von Marx, die hält noch: »All unser Erfinden und unser ganzer Fortschritt scheinen darauf hinauszulaufen, dass sie materielle Kräfte mit geistigem Leben ausstatten und das menschliche Leben zu einer materiellen Kraft verdummen.« Das stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Beschämend, dass den Leuten seither so viel Neues eingefallen ist und nichts davon ist neu, wenn man es neben diese Diagnose stellt, weder Fließband noch Atomkraft oder KI.
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In ferner Vergangenheit gab es so etwas wie einen linken Technikoptimismus. Ist dafür heute überhaupt noch Raum? Oder müssen wir warten, bis Elon Musk enteignet ist und die selbstverwalteten Tesla-Werke Einheitslohn zahlen?
Eine gute Freundin sagt: Pessimismus ist Unterwerfung, Optimismus ist Idiotie. Die Kämpfe werden, wenn sie auf irgendeine Art Emanzipation hinauslaufen sollen statt auf sinnlose Kriege um erbärmliche Reste, immer noch »Arbeitskämpfe« heißen müssen, selbst bei 90 Prozent Arbeitslosigkeit, nicht »Maschinenkämpfe«. Schau nicht auf das Messer in der Hand des Klassenfeindes, schau auf seine Bewegungen.
»Unsere Hoffnung heute ist die Krise«, sagt Brecht, der offenbar ein Gefühl für das richtige Maß an Optimismus wie Pessimismus hatte.
Sehr gut – aber umgekehrt: Die Krise der Linken heute ist, dass sie ein bisschen zu gern nach Hoffnung sucht und sich ein bisschen zu sehr freut, wenn sie wieder mal irgendeinen kleinen Grund für Hoffnung irgendwo findet. Statt sich in Tugenden wie Beharrlichkeit, Illusionslosigkeit, Zielstrebigkeit usw. zu üben und darauf zu setzen, sich selbst und den Gegner auch mal mit Handlungen zu überraschen, für die man nicht erst mit Hoffnung motiviert werden muss.
Premiere: 22. Februar
Weitere Vorstellungen: 25. Februar, 2. und 21. März
www.staatstheater-augsburg.de
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