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Kulturkampf als Klassenkampf mit anderen Mitteln
Natascha Strobl über verbreitete Verachtung gegenüber Menschen in Armut
Wie sich doch die Debatten gleichen. In Österreich wie Deutschland wird pünktlich vor wichtigen Wahlen eine Debatte um Kürzung der Sozialhilfe aufgemacht. In Österreich die Mindestsicherung, in Deutschland das Bürgergeld. Dahinter steckt die übliche Verachtung von oben gegen unten, garniert mit Rassismus.
In Österreich hat ein Vermieter die privaten Einkommensdaten einer Familie mit sieben Kindern geleakt. Das ist der eigentliche Skandal, aber weil die Familie zum einen aus Syrien kommt und zum anderen von der Mindestsicherung lebt, wird das als breite Diskussionsgrundlage akzeptiert. Die Erregung in den Zeitungen und bei den wichtigen Kommentator*innen speist sich aus dem Vergleich mit arbeitenden Menschen, die angeblich schlechter aussteigen, als eine Familie auf Sozialhilfe.
Natascha Strobl ist Politikwissenschaftlerin und Autorin aus Wien. Auf Twitter schreibt sie Ad Hoc-Analysen zu rechtsextremer Sprache und faschistischen Ideologien, für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Rechte Umtriebe«. Darin widmet sie sich der Neuen und Alten Rechten und allem, was sich rechts der sogenannten Mitte rumtreibt. Alle Texte auf dasnd.de/umtriebe.
Das stimmt natürlich nicht, denn die angestellten Vergleiche sind unlauter, etwa wenn zwei kinderlose Vollzeiteinkommen mit der Familie verglichen werden. Oder wenn nur das Lohneinkommen mit der gesamten Sozialhilfe plus Familienleistungen (die selbstverständlich auch jedes Kind einer lohnarbeitenden Familie bekommt) verglichen wird. Oder wenn allen Ernstes behauptet wird, die Eltern sollen beide Vollzeit arbeiten gehen. Jeder Elternteil mit ein bis drei Kindern, der nicht das Privileg hat, von Kindermädchen die Arbeit abgenommen zu bekommen, wird an dieser Stelle ungläubig lachen. Denn nirgends wird es funktionieren, dass zwei Elternteile mit sieben Kindern, davon die Hälfte unter 10 Jahren, Vollzeit arbeiten gehen. Aus allen Studien, die messen, wie erwachsene Menschen ihre Zeit aufbrauchen, wissen wir, dass der größte Teil der unbezahlten Hausarbeit an Frauen hängt. Zu behaupten, eine Mutter von sieben Kindern, die Mindestsicherung bezieht, arbeitet nicht, ist die Spitze des Zynismus.
Auch in Deutschland wird ähnlich diskutiert. Das Bürgergeld muss gekürzt werden, um Menschen zu »motivieren«. Jedes kleine bisschen Spaß und Freude (etwa ein Besuch im Schwimmbad) ist verdächtig und muss sanktioniert werden. Auch hier hält sich die Mär von der Zuwanderung ins Sozialsystem. Auch hier stehen Menschen, die finanziell ganz unten stehen, unter Generalverdacht auf Kosten der Gemeinschaft zu leben und eine Last für eben diese zu sein.
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Jeder mickrige Euro wird missgönnt. So fordert die FDP ernsthaft, dass das Bürgergeld um 20 Euro gesenkt wird. Diesen 20 Euro schnüffelt man hinterher, während gleichzeitig Milliarden Euro in Steuersümpfen an der Gemeinschaft vorbeigeschmuggelt werden. Auf die Milliarden Euro Vermögenssteuer verzichtet man, aber 20 Euro möchte man denen abknöpfen, die ohnehin schon von der Hand in den Mund leben.
Das ist Klassenkampf. Klassenkampf von oben. Er wird als Kulturkampf geführt, vor allem gegen »Ausländer«, denn das funktioniert im aktuellen Klima in jedem europäischen Land. Die wirklich Bedürftigen sind weiß und europäisch, aber eine Mutter mit Kopftuch kann man auch medial gut ausrichten. Dabei gibt es einen anderen Zusammenhang, der gerne verschwiegen wird: Die größte Korrelation zum Bezug von Sozialleistungen besteht aus der Anzahl der Kinder und mit dem Faktor Alleinerzieherin.
Das bedeutet, dass Sozialleistungen überproportional Familien und Kindern zugutekommen. Sie sind ein Prellbock gegen noch mehr und noch manifestere Kinderarmut. 20 Euro mehr oder weniger bedeutet da die Teilnahme an einem Ausflug, die gesunde Mahlzeit oder auch außerschulische Aktivitäten. Mit anderen Worten: Sie bedeuten Gesundheit, Partizipation und Integration. Der Klassenkampf ist ein Kulturkampf und der Kulturkampf ist ein Klassenkampf.
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