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Strandbad Weißensee: Am Ende siegt das Blesshuhn
Für die nd-Kolumne »Über Wasser« teilt sich unsere Autorin diesmal sogar mit einer Freundin den Badeanzug
Ein Rosenbusch betupft das Gartentor mit zartrosa Blüten. Am Zaun wuchern Goldrute und Wicken, in den Beeten leuchten Beeren und Tomaten. Wir essen Erdbeerkuchen, beschirmt von tellergroßem Weinlaub. Berlin-Heinersdorf, Mitte Juli. Ich besuche meine Freundin im frisch gepachteten Garten. Beim Abendläuten wandern wir durch Kleingartenanlagen gen Friedhof, Parkklinik und Weißensee. Gelangen zur »Seebrücke«, die von einer männlichen und einer weiblichen Skulptur flankiert wird, jede halb Mensch, halb Delfin. Im See sprudelt eine Fontäne.
Das Strandbad liegt am Ostufer, an dem Jäger und Fischer vor Jahrhunderten das Dorf Weißensee gründeten. Hier stand ein Schloss, eine Brauerei und ein Volkshaus am See. Geblieben sind Freilichtbühne, Tiergehege und das über hundertjährige Strandbad auf Holzpfählen, 1980 mit Ostseesand aufgeschüttet.
Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.
Spätschwimmer zahlen fünf Euro, mit Bändchen am Handgelenk betreten wir die Terrasse. Sonnenschirme, Sand und Liegestühle. Breite Treppen führen einige Stufen ins Wasser hinab. Der Boden ist glitschig, das Wasser kühl und dunkel. Von hier aus wirkt die Fontäne riesig und sehr weit weg. Eine Steh-Paddlerin, ein Haubentaucher und fünf Schwäne tummeln sich auf dem Wasser, gegenüber liegt die »Parkgaststätte Milchhäuschen« – ein Flachbau mit Glasfassade, der 1966 von der Stadtbezirks-Architektin Ludmilla Herzenstein entworfen wurde.
Der bis zu zehn Meter tiefe Weißensee gilt als gefährlichster der Stadt. Meine Freundin erzählt, letztes Jahr sollen hier wieder vier Menschen ertrunken sein. Vielleicht wollten sie die Fontäne erreichen und schafften es nicht? Generell verschätzen sich die meisten beim Schwimmen in Seen und Flüssen.
Die Leute auf der Terrasse lesen, sonnen sich, trinken Cocktails und reden in vielen europäischen Sprachen miteinander. Ich kreuze den gut gefüllten geleinten Bereich. Rückenschwimmen ist wegen der Kollisionsgefahr schwierig, Brustschwimmen im dunklen Wasser unheimlich. Ich starre durch die Schwimmbrille und sehe nichts. Dann lieber Kraulen, das geht schon besser. Da eine von uns den Badeanzug vergessen hat, teilen wir uns einen. Als meine Freundin ihre Bahnen zieht, ist es schon so spät, dass sich der Badebereich allmählich leert.
Wir schauen von einem Stehtisch an den Treppen den Kindern zu, die ein hundertstes letztes Mal ins Wasser klettern. Wolken ziehen auf, die Straßenbahn grummelt wie ein Gewitter am Park vorbei, vor der Bar bildet sich eine Schlange. Das Prozedere von Bezahl- und Ausgabeluke inklusive Bestellchaos erinnere meine Freundin an den Müggelsee 1987, meint sie, als sie endlich mit zwei Aperol Spritz wiederkehrt. Wir betrachten den Sonnenuntergang über dem See. Die Paddlerin ist verschwunden, ein halbstarkes Blesshuhn spielt mit den Kindern Fangen, vom Park wehen Joint-Schwaden herüber. Die Fontäne erlischt, ein tätowierter Hüne sammelt die Sonnenschirme wie Stöckchen ein und leint den Badebereich ab. Das Blesshuhn kreuzt als Sieger vor den Stufen. »Am liebsten schwimme ich im Dunkeln raus«, sagt meine Freundin. »Dann kann man den Sternenhimmel über Berlin sehen.«
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