Der Radsport der Frauen leidet unter Wachstumsschmerzen

Die Tour de France Femmes kaschiert den fragilen Zustand des Frauenradsports

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Demi Vollering (l.) verlor durch den Sturz auf der fünften Etappe viel Zeit und das Gelbe Trikot der Gesamtführenden.
Demi Vollering (l.) verlor durch den Sturz auf der fünften Etappe viel Zeit und das Gelbe Trikot der Gesamtführenden.

Die Tour de France Femmes ist ein großer Erfolg. Sportlich ist sie spannender als erwartet, selbst wenn ein Sturz von Titelverteidigerin Demi Vollering am Donnerstag vor dem Abschlusswochenende zum Mitauslöser des Nervenkitzels wurde. Aber auch vor Vollerings Pech erwies sich die Tour zumindest an der Strecke als Zuschauermagnet. Auf insgesamt 415 000 Besucher für den Grand Depart in den Niederlanden schätzten die Organisatoren den Publikumszuspruch ein. Das ist ein Rekord für den Frauenradsport. Allein 246 000 Fans verfolgten die erste Etappe von Rotterdam nach Den Haag vom Straßenrand aus. Knapp 80 000 Menschen drängten sich tags darauf beim nur sechs Kilometer langen Zeitfahren am Rande der Strecke durch Rotterdam. Das kann sich sehen lassen.

Mit dem Wachstum nehmen aber auch die Sorgen zu. Die Zukunft von gleich vier sogenannten Continental-Teams, der zweithöchsten Kategorie im Frauenradsport, ist ungewiss. Lifeplus Wahoo, das traditionsreichste britische Frauenteam, gegründet 2015 unter dem Namen Drops Cycling, gab seine Auflösung zum Ende des Jahres bekannt. Als Gründe gab der Rennstall ständig steigende Kosten und ausstehende Ratenzahlungen der Sponsoren an. Auch der Diebstahl aller Räder bei der Tour of Britain im Juni spielt eine Rolle. Die anderen Teams halfen damals zwar solidarisch mit ihren Ersatzrädern aus. Insgesamt ist aber die finanzielle Decke offenbar zu dünn. Dass das Team in diesem Jahr keine Wildcard für die Tour de France der Frauen erhielt – trotz des zweiten Platzes in der Nachwuchswertung 2023 – war ein weiterer Rückschlag.

Ein ähnliches Schicksal zeichnet sich beim langjährigen US-Rennstall DNA Procycling ab. Der wurde schon 2012 gegründet, unter anderem fuhr Weltmeisterin Amber Neben für ihn. »Der finanzielle und zeitliche Aufwand, ein Continental-Team in Nordamerika zu betreiben, wird zu groß. Deshalb haben wir beschlossen, unsere Tätigkeit einzustellen«, teilte das Management mit. Ebenso wird der niederländische Nachwuchsrennstall GT Krush Rebellease aufgrund finanzieller Probleme aufgeben. Er führte unter anderem die aktuelle Olympiadritte im Madison, Maike van der Duin, an den Profizirkus heran; jetzt fährt sie beim deutschen Team Canyon-SRAM.

Und selbst für manche Teams, die es ins erlesene Feld der Tour de France Femmes geschafft haben, sieht die Zukunft düster aus. Bei Saint-Michel-Mavic-Auber93 zieht sich zum Saisonende Ko-Sponsor Mavic zurück. »Uns fehlen 500 000 Euro, um weitermachen zu können«, beklagte Ex-Profi Pierre Roland, der sich inzwischen für das schon 1994 gegründete Frauenteam engagiert.

Ein Grund für den Rückzug der Teams ist die vom Weltverband UCI um eine Saison vorgezogene Einführung des Pro-Continental-Niveaus im Frauenradsport. Das sieht in der zweiten Reihe künftig ein Mindestgehalt von 20 000 Euro als finanzielle Sicherheit für die Fahrerinnen vor. Auf der World Tour sind es 38 000 Euro, in den Männerteams übrigens 44 000 Euro. So notwendig der Schritt für die Existenzgrundlage der Radsportlerinnen auch ist, für viele kleinere Frauenteams dürfte der Sprung zu groß werden. Schließlich muss auch ein Teil der Betreuerinnen und Betreuer für den Erhalt der neuen Lizenz künftig fest angestellt werden. »Ich glaube, neben uns werden sich aufgrund dieser Hürden nicht allzu viele Teams für diese Lizenz bewerben«, spekulierte Lotto-Dstny-Chef Kurt van de Wouwer. Wichtigster Anreiz für ihn, dennoch den Antrag zu stellen, sind die besseren Chancen, als Pro-Continental-Team an eine Wildcard für die Tour de France Femmes zu kommen.

Die wurden in diesem Jahr nach einem umstrittenen Punktesystem der UCI vergeben. Weil der usbekische Rennstall Tashkent Cycling Team vor allem bei ungewöhnlich hoch gewerteten nationalen Rennen punktete, nehmen seine Fahrerinnen zurzeit an der Tour teil. Auf der ersten Etappe wurden aber gleich drei von ihnen vom berüchtigten Besenwagen eingesammelt, weil ihnen das Tempo des Pelotons zu hoch war. Wohlgemerkt auf Flachetappen. Zur fünften Etappe ging Janina Kuskowa als einzige ihres Teams überhaupt noch an den Start. Kuskowa, die mit ihren blau gefärbten Haaren auch optisch heraussticht, schreibt als Solistin jetzt eine ganz besondere Heldinnengeschichte. Anderen Teams, denen Tashkent Cycling den Startplatz wegnahm, geht aber genau deswegen nun das Licht aus, weil sie ohne die medial erhöhten Sichtbarkeit während der Tour die Sponsoren weglaufen.

Wie prekär die Lage im Frauenradsport unterhalb der Ebene der World-Tour-Teams ist, illustriert auch der Fall Cynisca. Weil dem US-Rennstall Ende Februar bei der Argenta Classic in Belgien eine Fahrerin krankheitsbedingt fehlte und daher der Ausschluss des gesamten Teams drohte, wurde kurzerhand eine Mechanikerin unter eine Gesichtsmaske gesteckt und zum Einschreiben geschickt. Eine Ersatzfahrerin war aufgrund der dünnen Personaldecke nicht aufzutreiben. Das Manöver flog auf, Cynisca erhielt für einen Monat ein komplettes Rennverbot. Die leuchtenden Bilder dieser Tour de France Femmes kaschieren daher nur den fragilen Zustand des gesamten Gebildes des Frauenradsports.

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